PROFESSOREN Herausragende Stellung
Wenn der Frauenarzt und Geburtshelfer Hubertus Buchheit aus Blieskastel (nahe Einöd, Saar-Pfalz-Kreis, Zollgrenzbezirk) im April seine Praxis für ein paar Tage dichtmachen wird, um auf Reisen zu gehen, steht hoch über dem Atlantischen Ozean ein Rollentausch an: In der Luft wird sich Buchheit aus einem biederen Kassenarzt in einen gelehrten Professor verwandeln.
Fernab der Heimat, in der mittelamerikanischen Bananenrepublik Guatemala, wird der Saarländer schon Stunden später der Katholischen Privatuniversität »Francisco Marroquin« aushelfen, so gut er eben kann. Eigentlich sind Forschung und Lehre ja nicht sein Metier. Auch spricht der Medicus nicht Spanisch, und seine Studenten verstehen kein Deutsch. Aber einmal im Jahr, so will es die Pflicht, ist Doktor Buchheit der Jugend eine Unterweisung schuldig. Dafür darf er sich Professor nennen.
Zu Hause, in Blieskastel, Von der Leyen Straße la, künden neuerdings dicke schwarze Buchstaben auf goldenem Grund allen Mitbürgern vom Ehrenamt des Hubertus Buchheit, wer hätte das von ihm gedacht - nicht die Blieskastler und erst recht nicht seine Standesfürsten. Die überziehen den spätberufenen Gelehrten mit mißtrauischen Anfragen. Sanitätsrat Herbert Micka, Chef der Saarländischen Ärztekammer, hat »die ganze Sache« jetzt sogar an die »Staatsanwaltschaft gegeben, zum Überprüfen«. In Köln stöhnt Paul Erwin Odenbach, Sprecher der Bundesärztekammer: »Wenn das so weitergeht, haben wir bald mehr Professoren als Doktoren im Lande.«
Denn der Kleinstadt-Gynäkologe, ansonsten ein jovialer Mann, ist nicht der einzige, den es zu höheren akademischen Weihen drängt, koste es, was es wolle. Allein im Musterländle Baden-Württemberg haben die Guatemalteken mindestens sechs weitere gut verdienende Mediziner für ihre Studenten rekrutiert, und jeder neue Helfer nennt sich nun »Professor«.
Doch der Lehrkörper der Hohen Schule (deren Namenspatron Francisco Marroquin als spanischer Konquistador im 16. Jahrhundert half, die Indios auszurotten) ist offenbar noch lange nicht komplett. Woche für Woche werden in Kleinanzeigen unter Chiffre von einer »ausländischen Universität« »Persönlichkeiten« gesucht, »die sich durch Gastvorlesungen qualifizieren wollen«. Wer sich meldet, dem bringt der Briefträger umgehend einen Bewerbungsbogen der »Universidad Francisco Marroquin de Guatemala« mit eingedrucktem Wappen und den vielversprechenden Losungsworten »Veritas - Libertas - Iustitia« ins Haus.
Im kleingedruckten Text erfährt der Kandidat, wer »befugt« sei, den ausgefüllten Bewerbungsbogen zur »uneingeschränkten Datenverarbeitung« einzusehen:
* a) Universitätsförderkreis für Entwicklungsländer e. V. (Unifo Deutschland e. V.), Geschäftsstelle BRD;
* b) Kuratorium Guatemala, Geschäftsstelle BRD, Personalbeauftragter Peter Bergmann, Stresemannallee 134, D-2000 Hamburg 54, Tel. 040-56 69 65;
* c) alle offiziellen Vertretungen der Republik Guatemala in der BRD.
Doch zumindest die »offiziellen Vertretungen der Republik Guatemala in der BRD« wollen von der ihnen eingeräumten Befugnis keinen Gebrauch machen. »Wir haben damit nichts zu tun«, versichert die Bonner Geschäftsträgerin Silvia Castillo, »das ist ein Geschäft. Das sind Leute, die eine große Bande sind. Mit solchen Menschen muß man wirklich aufpassen.«
Vorsicht heißt auch das Konzept des »Personalbeauftragten« Peter Bergmann vom »Kuratorium Guatemala«. Auf Bütten schlägt er seinen Lehramt-Kandidaten ein »persönliches Gespräch« vor, »da das gesamte Thema zu komplex ist, als daß man es per Telephon, Brief oder Expose abhandeln könnte«. Vertraulichkeit wird zugesichert.
Schließlich scheut auch »Unifo«, der Universitätsförderkreis, das helle Licht der akademischen Welt. Als »Postzustellungsanschrift in der BRD« wird in hektographierten Schreiben an »alle Angehörigen der akademischen Einheit für angewandte Medizin« lediglich das Postfach 1325 im schwäbischen Göppingen und die Telephonnummer 07166-232 genannt. Der Apparat gehört »Sysnorm International, Untern. Planung« und steht zehn Kilometer weiter, im Dorf Adelberg, Kloster 18.
Dort residiert in einem kleinen Bauernhaus der »Universitätsförderkreis für Entwicklungsländer e. V.«. Kein Schild macht Bildungsbeflissene auf das Geisteszentrum aufmerksam. Am Haus vorbei führt ein »Vogellehrpfad« für Kinder, immerhin.
Von hier aus leitet der »Director« des »Instituto de Informatica y Ciencias de la Computacion« der »Universidad Francisco Marroquin de Guatemala« seine deutsch-guatemaltekischen »Professoren für angewandte Medizin und verwandte Fachbereiche«. »Director« ist der Kaufmann Rolf Dieter Thanheiser, der in Guatemala lebt. Seine rechte deutsche Hand heißt Professor Siegfried Rilling, wohnhaft in Stuttgart.
Dieser Doktor hat früher als Homöopath in kleinen braunen Fläschchen das Prinzip Hoffnung geschüttelt, nebenher jedoch als einer der ersten Zeit gefunden, Dritte-Welt-Studenten zu belehren. Rilling an seine Kollegen: »Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen empfehlen, Ihre Vorlesungen in knappe Sätze zu S.143 fassen und das Verb an den Satzanfang zu stellen. Dies erleichtert die Arbeit der Dolmetscher.«
Sprachlose deutsche Dozenten müssen nämlich keineswegs in Person vor ihre Zuhörer treten. Die einmal pro Jahr fällige Gastvorlesung darf in Guatemala auch ein Spanisch sprechender Lektor im Auftrag des verhinderten deutschen Professors halten, der dafür freilich zur Kasse gebeten wird.
Mit der Lektoren-Gebühr allein ist es allerdings nicht getan. Die richtig große Summe wird schon zu Beginn der Karriere fällig. Unter den »einzureichenden Unterlagen« wird deshalb dringend eine »Bescheinigung aus dem Schuldnerverzeichnis neuesten Datums« angefordert, während es über die »Vortragsplanung« milde heißt: »Kann nachgereicht werden.«
Die finanzielle Unterstützung der Universität duldet keinen Verzug. Mindestens 50 000 Mark muß jeder der angeworbenen Ausbilder in die Wissenschaft investieren. Denn nur wer bereit ist, mit dieser Summe via Unifo angebliche »Forschungsvorhaben« zu finanzieren, der ist auch würdig, Professor zu werden.
»Wir verabredeten lose eine Leistung von meiner Seite in Höhe von 50 000 Mark«, erinnert sich Dr. med. Wilfried Dogs, Chefarzt einer Privatklinik für psychosomatische Erkrankungen in Rinteln/Niedersachsen, an ein »Bewerbungsgespräch« im Mai dieses Jahres mit dem Unifo-Beauftragten »Professor« Günter F. Ramachers aus Oldenburg, Platanenallee 19a. Dieser Professor hat zwar nicht mal einen Doktortitel. Auch das Wort »wissentschaftlich« macht ihm Schwierigkeiten (er schreibt es mit »t"). Zu der kleinen Privat-Hochschule in Guatemala unterhält Günter F. Ramachers jedoch eine gute, besitzanzeigende Beziehung: Er nennt sie »unsere Universität«.
Den wohlhabenden Doktor Dogs - »Ich wundere mich, wie viele liebe Kollegen mit einem Mal den Titel 'Professor' führen« - konnte Ramachers nicht S.144 über den großen Teich ziehen. Klinikchef Dogs wollte die 50 000 Mark erst rausrücken, nachdem er seinen Steuerberater konsultiert hatte, »in welcher Form ich das eventuell steuerlich absetzen könne«. Zwar machte auch Titel-Bote Ramachers dem sparsamen Dogs »hierzu einige mögliche Vorschläge, zeigte sich aber nicht ausreichend steuerrechtlich orientiert«. Aus der Professur wurde nichts. Dogs hat mit dem »akademischen Ausverkauf« jetzt nichts mehr im Sinn.
Dabei ist die 50 000-Mark-Offerte unter Professoren-Brüdern preiswert zu nennen. Einem armen Volksschullehrer boten Zwischenhändler im letzten Jahr den mittelamerikanischen Professorentitel für 250 000 Mark an. Der Pädagoge hätte ihn gern genommen, doch wollte er auf Nummer Sicher gehen und fragte deshalb vorher beim Bundespräsidenten an, ob er das Schmuckwort legal führen dürfe. Die Antwort hieß nein. So flog auch dieser Titelhandel auf.
Als deutschen Hintermann in Mittelamerika orteten die »Stuttgarter Nachrichten« einen Bundesrepublikaner, den wiederum Professor Rilling gut kennt. »Bei uns in Guatemala«, erläutert die Diplomatin Castillo, »sagen wir zu jedem Lehrer schon in der ersten Klasse Professor« - unentgeltlich. Die Viertelmillion Mark, die der deutsche Schulmann löhnen wollte, damit sein Sozialschmerz endlich nachläßt, markieren das derzeitige Höchstgebot für importierte Titel. Noch vor fünf Jahren wurden falsche Professorentitel für 10 000 Mark feilgeboten - und Doktorhüte gab es schon ab 2000 Mark.
Seit jedoch Titelhändler Hans Hermann Weyer, genannt »der schöne Konsul«, erst in den Knast und dann nach Südamerika entschwand, sind Angebote und Nachfrage aus dem Lot. Auch das böse Ende der Frankfurter Titel-Fabrik »Anglican Free Church«, deren kreuzgeschmückte Inhaber schon 1976 in ganz profane Zellen des alten Zuchthauses Butzbach wanderten, hat das Angebot verknappt - nur die Nachfrage bleibt konstant.
Free-Church-Chef Paul Nestmann hatte in nur drei Jahren immerhin 12 000 Zuschriften auf seine Titel-Offerten erhalten. Mindestens 500 »Doktoren« und gut 30 »Professoren«, so jedenfalls schätzen Experten, legten sich allein in einem Jahr das begehrte Prädikat zu.
Die Klientel setzt sich vor allem aus Akademikern zusammen, denen Zeit oder Ideen zur regelrechten Doktor-Promotion fehlten. Nestmann: »Wenn ich die Prozentzahlen mal ausrechne: etwa 78 Prozent Ärzte und Zahnärzte, praktische Ärzte und Klinikchefs. Dann zwölf Prozent Leute aus dem Juristenbereich - Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Richter, Staatsanwälte. Die restlichen zehn Prozent haben sich aus der freien Wirtschaft zusammengesetzt. Das waren dann Ingenieure, Techniker, Fabrikanten, Erfinder und solche Leute.«
Wie stark die Sehnsucht des akademischen Fußvolks nach den höheren Weihen ist, hat im letzten Jahrzehnt vor allem die SPD erfahren. In ihren Reihen sind Zehntausende von beamteten Lehrern, Dozenten und akademischen Räten organisiert, von denen die meisten wenig Chancen haben, über Promotion und Habilitation schließlich doch noch ein ordentlicher Professor ("Ordinarius") zu werden.
Weil die Gerichte seit Jahrzehnten den Doktortitel mit großem Engagement verteidigen, so als sei er ein geschützter Vorname für Kinder aus besserem Haus, verfiel die Titel-Lobby auf einen naheliegenden und im Effekt viel schöneren Ausweg: Sie bemächtigte sich des Professorentitels.
Ganz ohne Promotion erhalten jetzt beispielsweise Fachhochschullehrer das begehrte Attribut: In Hamburg waren es im Juni des vergangenen Jahres auf einen Schlag 435, darunter solche, die als Volksschüler Polizist geworden sind und jetzt vor ihrem Nachwuchs über Recht und Ordnung reden.
In Niedersachsen, wo die CDU eigentlich gegen jede »öde Gleichmacherei« ist, unterschrieb der ehemalige Wissenschaftsminister Eduard Pestel, ein Ordinarius, für reichlich 1000 Fachhochschulchargen das Professoren-Zertifikat. Danach jammerte er öffentlich: »Bald ist es wieder wie zu Kaisers Zeiten - jeder Studienrat ein Professor.«
Sein Parteifreund Horst Bourmer, chirurgischer Chefarzt in Köln-Worringen und Vorsitzender des ärztlichen »Hartmannbundes«, profitierte freilich auch von der Titelschwemme. Der dickleibige Medicus, 61, als Wissenschaftler bisher nur durch einen Beitrag über die Einpflanzung harter Kunststoffstäbe in schlaffe Penisse aufgefallen, wurde in Koblenz Honorarprofessor. Bourmer hatte dort hin und wieder angehenden Sozialarbeitern vorgetragen.
Alles in allem hat sich die Zahl der deutschen Professoren in den letzten 20 Jahren versechsfacht. An den Universitäten, beklagt der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft, Professor Heinz Maier-Leibnitz, habe der Staat in diesen Jahren seine »Fürsorgepflicht gründlich mißverstanden«. Zwar liege der Anteil deutscher Wissenschaftler an der Welt-Forschung nunmehr bei acht Prozent, Spitzenleistungen der vielen Professoren seien jedoch extrem selten: ein Prozent, mehr nicht.
Mitglieder des Lehrkörpers einer Universität, die ohne Habilitation zum Professor aufrückten, werden von den Altvorderen deshalb gern als »Discount-Professoren« bezeichnet. Unter Studenten hat sich neuerdings das Kürzel »Dimido« durchgesetzt. Es steht für die mittleren drei Wochentage, an denen die Herren Professoren gewöhnlich zu erreichen sind.
Der neuen Situation hat sich auch die Justiz angepaßt. Staatsanwalt Volker Grünberg, Dr. jur., in Stuttgart von Amts wegen befaßt mit Siegfried Rilling, S.145 dem Professor von Guatemalas Gnaden, kann am importierten Professoren-Titel nichts Arges finden. Eine solche Berufsbezeichnung rechne doch gar nicht zu den akademischen Graden. Deshalb könne eine Genehmigung, ihn zu führen, weder erteilt noch versagt werden.
Außerdem sei es so: Die »herausragende Stellung des Professors im deutschen Recht ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers beendet, mag sie auch in dem Bewußtsein weiter Kreise der Bevölkerung noch andauern«.