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Film Herz aus Silikon

aus DER SPIEGEL 25/1995

Es war wohl einer jener Abende, an denen der letzte Whiskey auch nicht hielt, was die ersten paar Flaschen Bier versprochen hatten. Und die Nacht, die dann kam, brachte üble Träume.

Es ist einer jener Vormittage, da klingt der Rasierapparat wie eine Kettensäge, und dem Hirn wird schon schwindlig von kleineren Gedanken, und aus dem Spiegel guckt ein Mann, dem man nie wieder begegnen mag.

John McClane (Bruce Willis) hat einen Kater. Der Cop aus Manhattan, der in den ersten beiden »Stirb langsam«-Filmen mit Dutzenden von Terroristen fertig wurde, ist im dritten Teil der Serie der fertigste von allen: Er trinkt zu viel. Es geht ihm morgens niemals gut. Was er braucht, sind große Mengen Aspirin und eine kalte Dusche. Was er überhaupt nicht brauchen kann, sind Lärm und starke Erschütterungen.

Aber irgendwo in New York sitzt ein Irrer, der hat schon vor dem Frühstück einen halben Häuserblock in die Luft gesprengt. Und jetzt meldet sich der Mann am Telefon, droht mit schlimmeren Explosionen und will nur mit McClane verhandeln. Der Polizist läßt sich darauf ein: Er kann keine Detonationen mehr hören. Der Film ist eine Zumutung für ihn.

So beginnt »Stirb langsam - jetzt erst recht«, und genauso laut geht es weiter: McClane muß mitten im Schwarzenviertel Harlem ein Schild spazierenführen, auf dem »I hate niggers« geschrieben steht. Der Irre läßt ihn Rätsel lösen. Eine Bombe bringt die U-Bahn zum Entgleisen, die Fahrgäste kommen mit Kratzern davon. Eine Bank wird ausgeraubt, ein Mercedes fliegt in den East River, ein Frachtschiff explodiert, ein Hubschrauber stürzt ab, ein Lastwagen rast durch riesige Wasserleitungen und muß vor einer Flutwelle flüchten. Viel Lärm, viel Schrott und nirgendwo ein Aspirin.

Macht kaputt, was euch kaputtmacht - so heißt das heimliche Motto des amerikanischen Actionfilms, und unter gesellschaftskritischen Aspekten war vermutlich der erste »Stirb langsam«-Film auch der konsequenteste: Da ging es um ein postmodernes Hochhaus in Los Angeles und um die Monstren, die in solchen Häusern wachsen. Und McClane betrieb praktische Architekturkritik, haute das Gebäude zu Klump und trotzte allen Betonköpfen.

Die Ängste aller Flugpassagiere wurden wahr im zweiten Film der Serie - und zur Strafe dafür, daß der Mensch wie eine Sardine behandelt wird in Flugzeugen und den Warteräumen am Boden, wurde die Inneneinrichtung eines Airports in Trümmer geschlagen und geschossen. Am Schluß explodierte, zum Vergnügen des Publikums, eine Boeing voller Terroristen in der Luft.

Doch seit dem 19. April, seit dem großen Knall von Oklahoma, gibt es ein paar Leute mehr, die es überhaupt nicht komisch finden, wenn Häuserwände durch die Gegend fliegen. Und den Spaß an Panikattacken in der U-Bahn hat Shoko Asahara den Zuschauern vorerst versaut.

Die Produzenten können froh sein, daß ihr Film erst Wochen nach den Anschlägen in die Kinos kam: Auch in den USA tendiert man neuerdings dazu, die wirkliche Gewalt und den echten Terror nur als Reflex auf mediale Stimuli zu deuten, und die Zeiten, da die Unterhaltungsindustrie alles durfte, solange sie nur das Volksvermögen mehrte, scheinen endgültig vorüberzugehen. Dabei weist der Umstand, daß der Film längst abgedreht war, als in Oklahoma City das Federal Building zu Bruch ging, vor allem darauf hin, daß das Kino ganz gut taugt zum Seismographen künftiger Erschütterungen.

Auf der Leinwand allerdings sehen Terroristen größer, böser, schöner aus: Der Irre heißt Simon, und Jeremy Irons spielt ihn als Mischung aus dem Joker und Joseph Goebbels, schmallippig und wortgewandt; der Mann sei Deutscher, heißt es, geschult von der Stasi und voller Sympathien für die Nazis dieser Welt. Er kommandiert eine kleine Armee von arischen Kampfmaschinen, doch lieber als die großen Waffen sind ihm die kleinen und gemeinen Scherze, mit denen er McClane in die Verzweiflung und den Kopfschmerz treibt. Solche Gangster wurden nicht in der DDR geschult. Solche Schurken werden in den Alpträumen Hollywoods gezeugt.

Auch der Schwarze Zeus (Samuel L. Jackson), der McClanes Leben in Harlem rettet und den Helden fortan als Sidekick durch den Film begleitet, verdankt seine Existenz nur Kinoregeln. Er bringt zwar manchmal die Rassenfrage ins Gespräch, doch meistens meint er das nicht ganz ernst. Seit »Pulp Fiction« hat es sich einfach herumgesprochen, daß Jackson, wenn er bloß viel redet, so ziemlich jede Szene retten kann. Zudem leidet McClane am Hangover, und einer muß ja ausgeschlafen sein.

Es hört nicht auf zu scheppern und zu krachen, es ist nicht gut für seinen Kopf, was McClane da mehr erleidet als erlebt; er taumelt wie ein Schlafwandler durch eine Handlung, die er nicht begreift. Und er gleicht darin eher den Akteuren des Slapstick-Kinos als den Actionhelden vom Schlage Schwarzeneggers und Stallones.

Schon in den Filmen mit Laurel und Hardy stürzten Häuser ein, und Autos fielen auseinander - und daß die Eruptionen heute heftiger sind, liegt nur daran, daß die Entwicklung des Kinos mit der des Sprengstoffs Schritt gehalten hat. Der Effekt aber ist der gleiche geblieben: Ein Gag gilt als gelungen, wenn möglichst viel kaputtgeht.

Und der Gag im Kino ist nichts als angewandtes Unterbewußtsein - die bösen Bilder aus den Köpfen füllen plötzlich die ganze Leinwand aus. In Stummfilmzeiten, so erzählt die Legende, beschäftigte jedes Hollywoodstudio ein paar Deppen, besonders wüste und ungebildete Typen, die sich ohne Rücksicht auf Logik und Geschmack nur die fiesesten Späße und die schlimmsten Katastrophen ausdenken mußten. Heute entdecken auch gewöhnliche Drehbuchautoren das Chaos und das Absurde im eigenen Kopf (was durchaus als Fortschritt zu werten ist).

Wenn die Scheiben splittern, die Mauern stürzen und ein U-Bahn-Wagen von den Gleisen springt, dann scheint das weniger das Werk von Terroristen zu sein als vielmehr das eigentliche Wesen dieser Dinge. So wie der Gegner McClanes in »Stirb langsam I« das Hochhaus war, die vollautomatisierte Büromaschine mit ihren Liften, Schächten, Leitungen, so ist sein Gegner jetzt die ganze Stadt New York: ein urbanes Ungeheuer, das vielleicht kein Herz hat - aber gewaltige Adern hinter den Fassaden und unterm Pflaster; dicke Rohre, Tunnel, Kabel, in denen der Wahnwitz pulsiert.

New York, sagen die Bilder, ist hochexplosiv.

Manchmal schaut der Film auf diese Stadt, als wären die Detonationen nichts anderes als das Schnauben dieses Ungeheuers. Manchmal inszeniert Regisseur John McTiernan solche Szenen, als ob das Filmmaterial selbst ein Sprengstoff wäre, der alles zerstört, womit er in Kontakt kommt. Und manchmal sieht es so aus, als risse der Film die Fassaden weg und die Straßen auf, um nachzugucken, ob das Monster vielleicht doch eine Seele habe - oder zumindest ein Herz aus Silikon.

Mit seinem Hauptdarsteller geht McTiernan nicht ganz soweit: Bruce Willis verliert sein Oberhemd, und sein T-Shirt wird zerfetzt; die Haut kriegt ein paar Platzwunden ab, der ganze Leib wird vom Regen durchnäßt und von Schlamm und Schmutz bedeckt - ein plastischer Striptease, der den Mann am Schluß fast nackt dastehen läßt.

Das Verfahren war früher sehr beliebt, um Darstellerinnen zu entkleiden, ohne die Zensurbestimmungen zu verletzen - und wenn es heute meist Männer sind, die auf diese Weise ausgezogen werden, dann hat das mit Erotik nur am Rande zu tun: Bruce Willis spielt mit seiner Schwäche und Verletzlichkeit, und der Kampf, den er hier noch härter als in den Vorgängerfilmen führt, geht darum, daß er sich als Mensch erhalten will in einer Welt, die nach den Gesetzen der Maschinen funktioniert. Dieser Mann hat nichts gemein mit Stallone oder Schwarzenegger oder Van Damme, deren Muskeln bloß die Fortsetzung jener Apparate sind, an denen sie trainieren. Dieser Mann hat einen Körper voller Schwächen, und sein Hirn ist nicht aufs Töten programmiert. Dieser Mann hat ein eher altmodisches Bedürfnis nach Ruhe und auf diesen ganzen Film keine Lust: Sein Kopfweh macht ihn so sympathisch. Wer Kopfweh hat, der hat auch einen Kopf.

Mag sein, daß im Actionfilm der Zukunft kein Platz mehr sein wird für Schwächlinge und Charakterköpfe wie John McClane; daß es für Säufer und Skeptiker keine Rollen mehr gibt. Aber die Bomben im Kino werden weiterhin explodieren, und es wäre tröstlich, wenn dann einer käme, der diesen Lärm nicht hören kann. Auch wenn der Bursche nur einen Kater hat.

Nach diesem Film jedenfalls ist dem Helden mit Aspirin nicht mehr zu helfen. McClane muß schon in eine Bar gehen und prüfen, ob in dieser Nacht der letzte Whiskey halten wird, was die ersten Biere versprechen. Y

Claudius Seidl

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