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HOBBY Hinterher dicker

Kochkurse werden immer beliebter. Ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär organisiert im deutschsprachigen Ausland die Seminare für fortgeschrittene Gourmets.
aus DER SPIEGEL 52/1971

Der Staatsanwalt aus Ludwigsburg entsteißt Froschschenkel. Die Steuerberaterin mit der einträglichen Klientel in Koblenz quetscht eine Knoblauchzehe platt. Und der korpulente Wollhändler aus Tübingen zwackt zuckenden Hummern gemütlich die Scheren vom Rumpf und wirft die zerstückelten Schalentiere, mit Safran bestäubt, ins brutzelnde Öl.

»Das«, stöhnt die Graphikerin aus Düsseldorf, »kann ich nicht sehen.« Sie rührt derweil unverdrossen Butter, Eier, Sahne zu Sauce hollandaise.

Die Szene entstammt einem Laienspiel, das von zwölf weißbekittelten Hobbyköchen dargestellt wird: Die Akteure drängeln sich zwischen Hackmessern und Kupfertiegeln, Pastetenteigen und Fasanenbrüsten -- sie dürfen zwei Wochen lang in der Küche des elsässischen Zwei-Sterne-Lokals »Aux Armes de France« in Ammerschwihr bei Colmar herumwursteln. Und sie sind glücklich dabei.

»Denn Kochen«, so harmoniert der Konsens der besseren Leute und die Kunde von Bertelsmanns neuer »Menü«-Gazette: »Kochen ist ,in'.«

Daß der bundesrepublikanischen Freßwelle mit all ihren exotischen Konsumtrends neues Interesse für die Feinheiten der Kochkunst folgen würde, war manchem schon länger klar: so zum Beispiel dem ehemaligen deutschen Rekord-Stenographierer Georg Paucker (480 Silben in einer Minute) aus Bayern.

Paucker, 61, organisiert seit zwei Jahren kleine Gruppen von Kochlustigen und schickt sie in berühmte Küchen, zumeist ins Ausland, aber da, wo es deutsch spricht.

»Denn wenn einer gerne kocht und in einem fabelhaften Restaurant ißt«, so hat Paucker erkannt, »dann hat er doch nur einen Wunsch: in die Küche gehen und gucken, wie die das machen. Aber alleine, da lassen die ihn nicht rein.«

Seinen Drang, den Erkenntnishunger verhinderter Topfgucker in erstklassigen Küchen zu stillen, erklärt sich der quicke Bayer mit seinem »Fortbildungs-Fimmel«. Paucker regierte zwölf Jahre im Berufsfortbildungswerk des DGB. Danach verlegte er sich aufs-Organisieren von Familienanschlüssen ins Ausland und hängte später seinem Europa-Sprachclub in Düsseldorf die Sparte »Exquisite Küche« an.

»Das Schwierige ist nicht, Hobbyköche zu finden«, so weiß Paucker inzwischen. »sondern willige Küchenchefs -- die wollen doch nicht, daß ihnen Deppen über die Füße stolpern, während sie die teuren Menüs für die Gäste kochen.« Paucker ködert die Profis mit dem Versprechen, ihnen mit den Amateuren die tote Saison zu beleben.

Auf Pauckers Warteliste drängeln sich derweil rund 500 Hobbyköche: Chemiker, Rechtsanwälte, Ärztinnen, Ingenieure, Ladenbesitzer -- die kregle deutsche Mittelklasse, die sich Lernferien für ihr Hobby leisten kann, ohne dafür den richtigen Urlaub einzuschränken; Gattinnen von Männern, bei denen besonders ausgekochte Menüs an der heimischen Tafel geschäftlichen Erfolg begünstigen können; schließlich auch Hausfrauen, denen noch an gerührtem Kochtopf-Lob liegt.

Als ersten hatte »der redselige Bayer den Zwei-Sterne-Patron Pierre Gaertner in Ammerschwihr dazu überredet, seine reisenden Amateure -- für 780 Mark Vollpension; Lernen umsonst -- 14 Tage lang aufzunehmen.

Seither ziehen Pauckers Scharen vom trüben November bis in den kalten Februar, zumeist in Zehner-Grüppchen, mit vorschriftsmäßig weißen Kitteln und mit Notizblocks gerüstet, um halb neun in die teuren Küchen.

Sie schlagen Eier zu Soufflés, kneten Gänseleber, mischen Schneckenbutter Lind sind am Abend nur mühsam von den Kochtöpfen zu vertreiben. Sie bereichern sich am Know-how von gefüllten Forellen, Kaninchensülzen und Artischocken à la grecque.

Sorgen um den rechten Teamgeist muß sich Paucker nur selten machen. Wo immer seine Anreiser herkommen, sie haben alle nur eins im Sinn: das Essen. Sie kochen Essen, essen Essen und reden vom Essen.

Der Andrang zu seinen Kochkursen ist so groß, daß Paucker bereits nach neuen Restaurants suchen mußte. Mit dem Volkswagen klapperte er die Ein-Stern-Restaurants im Elsaß ab: »Da esse ich erst mal, dann schleiche ich mich auf dem Weg zur Toilette in die Küche. Wenn die zu klein ist, lohnt es sich erst gar nicht nachzufragen.«

Lohnen tat es sich im »Cerf« in Marlenheim, im »Cheval Blanc« in Lembach und im »Aux Ducs de Lorraine« in Saargemünd. Dort können auch schon in sieben Tagen (für 415 Mark) französische Kochkenntnisse für deutsche Zungen erworben werden. Denn französisch soll es sein: »Von 20 Bewerbern wollen 19 die französische Küche«, weiß Paucker inzwischen: »Einen Menüplan ohne Canard à l'orange und ohne Coq au vin kann ich gar nicht mehr anbieten.«

Dennoch wirbt Paucker auch für Salzburger Nockerln und Wiener Tafelspitz mit Apfelkren. Im Schloßhotel Klessheim bei Salzburg können seine Köche im Juni die Zubereitung von Wiener Ganslsuppe mit Bröselknöderln erlernen.

Kummer macht dem Koch-Apostel nur das auf originalungarisches Gulasch und Esterházy-Torte spezialisierte Restaurant in Jennersdorf im Burgenland. Denn »da will keiner hin. »Sie sagen«, klagt Paucker, »da wird man so fett von.« Dabei kehrt eh jeder ein paar Kilo dicker aus den Koch-Ferien heim.

Für Pauckers nahrhafte Künste interessieren sich derweil auch höchste deutsche Kreise. Die Prestige-Herberge Brenner's Park-Hotel in Baden-Baden bevölkert ihre gästearme Dependance Villa Stephanie mehrmals für 10 Tage (und 1000 Mark) mit Pauckers Eleven. Außerdem greift sie in die eigene Gästekartei und veredelt die Kochklassen mit ein bißchen Adel und Industrie.

Hier fahren die Damen aus ihren weichen Daunenbetten gleich mit dem Fahrstuhl in die Edelstahl-Küche, die »Fleischkunde Kalb/Rind« wird am grünen Konferenztisch zelebriert, die Betonpiste für Privatflugzeuge bleibt nicht unbenützt.

Doch den Fortbildner aus der Gewerkschaft irritiert das nicht. Schnellschreiber Paucker, der -- wenn er nicht den Kochlöffel organisiert -- Manager bei Mercedes eine selbsterfundene Kurzschrift lehrt, ist schon wieder zu neuen gastronomischen Ufern aufgebrochen: In Luzern hat er das China-Restaurant »Li Tai Pe« als Lehrgangsort aufgetan und zugleich einen pensionierten chinesischen Botschaftsrat, der seinen Hobby-Köchen die Rezepte der Formosa-Chinesen verdeutschen will.

»Was mich nur wundert«, so wundert sich der erfolgreiche Paucker heute, »ist, daß vorher noch keiner auf meine Idee gekommen ist.«

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