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DESIGN Hoch hinaus

High Heels von Christian Louboutin wurden Ikonen der Gleichberechtigung - behaupten Frauen, die darin laufen können.
aus DER SPIEGEL 53/2009

Unter zwölf Zentimetern läuft gar nichts, die Absätze sind schmal und steil, die Sohlen feuerrot. Vielleicht wären die High Heels von Christian Louboutin kein so großer Erfolg - Boutiquen in 46 Ländern, Zierde an den Füßen von Stars und Prinzessinnen -, wenn sie nicht diese roten Sohlen hätten. In einem Jahrzehnt, an dessen Anfang Naomi Kleins Buch »No Logo« erschien, war es schön ironisch, ein Markenzeichen zu tragen, das man mit Füßen trat.

Dabei sind die roten Sohlen das Ergebnis einer Laune. Der Designer Louboutin war unzufrieden, als er einen frühen Schuhentwurf in der Hand hielt. Das Modell glich seiner Zeichnung, doch der Pumps wirkte für seinen Geschmack zu ausdruckslos. Eine seiner Assistentinnen malte sich gerade die Fingernägel an, er bat sie um den Lack, strich ihn auf die Sohle, der Rest ist Geschichte.

Seine erste Boutique eröffnete Louboutin 1992 in Paris. Ein kleiner Eckladen in der Rue Jean-Jacques Rousseau. Heute ist das Geschäft dreimal so groß. Als junger Mann hatte Louboutin in den Varietés des Pigalle-Viertels gejobbt, er bewunderte die Tänzerinnen, versuchte sich an ersten Schuhentwürfen für sie, und manchmal schickten sie ihn in die nah gelegenen Schlachtereien, um sehr dünn geschnittene Fleischscheiben zu kaufen, die sie zwischen ihre wundgetanzten Füße und die drückenden Schuhe legten.

Louboutin weiß von den Tänzerinnen, an welchen Stellen High Heels leicht gepolstert sein sollten. Mag sein. Es ist jedenfalls eine schöne Geschichte, und sie liefert eine Antwort auf die Frage, weshalb Frauen auf Louboutin-Schuhen besser laufen können als auf anderen High Heels. Man kippelt nicht in ihnen, die Statik stimmt, das nötige Handwerk dafür lernte Louboutin in den Werkstätten von Charles Jourdan und Roger Vivier. Trotzdem wäre das Wort bequem übertrieben. Darüber hinaus kosten sie ein Vermögen, unter 500 Euro ist kaum ein Paar zu bekommen.

Wie konnten diese Schuhe in den vergangenen Jahren trotzdem so erfolgreich werden? Selbstbewusstsein und Lust sind im Spiel. Eine Frau, die einen Christian-Louboutin-Schuh trägt, kann sich nicht verstecken. So ein Schuh verleiht Größe und Macht. Er ist das weibliche Accessoire schlechthin. Kein Mann kann ihn tragen, kein Mädchen, er ist für erwachsene Frauen gemacht. Die Rede ist hier übrigens ausschließlich von seinen High Heels. Zwar fabriziert der 45-jährige Designer auch flache Modelle, aber selbst diese Schuhe entwirft er mit hohem Absatz und schneidet ihn dann einfach ab.

Von 12 oder 15 Zentimetern weiter oben sieht die Welt ein bisschen anders aus, es ist die Perspektive vieler Männer, denen man in diesen Schuhen plötzlich auf Augenhöhe begegnet. Zugleich sieht die Welt anders auf eine Frau, die in Louboutins High Heels daherkommt. Ihr Po strafft sich, ihre Brust hebt sich, doch ihr Kopf funktioniert noch genauso gut wie auf flachen Schuhen. Manche vergessen das.

Aus dieser Verwirrung lassen sich Funken schlagen. Charlotte Roche hat es vorgeführt, als sie ihren Roman »Feuchtgebiete« vermarktete. Zum adretten Kleid trug sie gern schwindelerregend hohe Schuhe und brachte alle Vorurteile durcheinander.

Der Feminismus der sechziger und siebziger Jahre sah in High Heels Teufelszeug. Man könne darin nicht in zielstrebigen Schritten durchs Leben gehen und degradiere sich selbst zum Sexobjekt. Der Preis für die Emanzipation bestand darin, all das aufzugeben, was Männer an Frauen begehren, Gleichberechtigung dachte man sich als Folge einer möglichst großen Gleichheit der Geschlechter.

Inzwischen hat sich der Feminismus mit der Weiblichkeit versöhnt. Die Generation der Töchter hält sich nicht mehr an festgelegte weibliche Rollenbilder, sondern kreuzt die eigenen Wünsche mit den gesellschaftlichen Entwürfen der siebziger Jahre. Und aus der Gleichberechtigung hat diese Generation eine Angelegenheit von Frauen und Männern gemacht. Dass die Frauen dabei einen Schritt weiter sind, ist für manche Männer sicher besser zu ertragen, wenn ihre Partnerin diesen Schritt in High Heels geht. Verführung ist wieder eine Möglichkeit.

Die Fernsehserie »Sex and the City« hat mit riesigem Erfolg vorgeführt, wie verschieden die Lebensentwürfe von Frauen heute sein können: Eine unabhängige Liebhaberin und eine nymphomane Karrierefrau, eine heiratswütige Romantikerin und eine alleinerziehende Mutter suchen ihr Glück. Von dieser anstrengenden Aufgabe erholen sie sich bei Cocktailabenden und Shoppingtouren.

Das war scharf beobachteter Mainstream mit sensationell gut angezogenen Hauptdarstellerinnen. Von der ersten Folge an marschierten die Freundinnen auf hohen Schuhen durch New York, anfangs waren es Modelle von Manolo Blahnik, doch irgendwann blitzten auch unter den Füßen von Carrie Bradshaw, der Heldin der Serie, die roten Sohlen von Christian Louboutin. Für deren weltweiten Erfolg war das ein wichtiges Signal.

»In meinen Schuhen bleibt die Frau das Wichtigste«, hat der Designer in einem Interview gesagt. Sie verleihen ihr jedenfalls Haltung. Und das Schöne: Eine Frau, die souverän genug ist, ein Restaurant auf 15 Zentimeter hohen Absätzen zu betreten, verliert nicht an Größe, wenn sie sich am Ende eines Abends die Schuhe vom Fuß streift. Umgekippt, auf dem Boden liegend, sehen die unbequemen Dinger nämlich auch ziemlich gut aus. CLAUDIA VOIGT

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