OPEL Höhere Sprossen
Opels Kleinster ist neuerdings schneller als Nordhoffs Größter. Mit 146 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit kann das neue, 55 PS starke Kadett-Coupé dem seit kurzem produzierten Fließheck-Volkswagen Typ 1600 TL (135 Stundenkilometer) davonfahren.
Aber das ist nicht die einzige Überraschung, die Opel in dieser Woche mit seinen neuen Modellen bereitet: Auch alle übrigen Typen (Ausnahme: Diplomat) wurden durch Einbau neuer, sportlicher Motoren stärker und schneller.
Nie zuvor hat die Adam Opel AG so viel Geld in den Modellwechsel investiert. Aber auch nie zuvor schien der höhere Aufwand so notwendig, um verlorenen Marktanteil zurückzuerobern.
Noch im vergangenen Jahr war Opel, größte Auslandstochter des mächtigsten Automobilkonzerns der Welt, General Motors, auf dem deutschen Markt der große Gewinner. Im Kampf um die Kunden konnten die Rüsselsheimer um 14,1 Prozent mehr Autos als 1963 verkaufen.
Ungünstig ließ sich dagegen das Jahr 1965 für Opel an. Das Unternehmen verkaufte in den ersten sechs Monaten 7450 Kadett- und 30 179 Rekord-Wagen weniger als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Sein Marktanteil schrumpfte von 26,3 auf 20,6 Prozent, so daß Opel die Produktion drosseln mußte.
Nutznießer der Opel-Verluste waren vornehmlich die Kölner Ford-Werke, die im vergangenen Jahr unter dem Druck der Opel-Offensive 7,7 Prozent ihres Marktanteils eingebüßt hatten. Die Ford-Modelle 12 M und 17 M wurden im ersten Halbjahr 1965 derart gut verkauft, daß der Marktanteil der Kölner von 14,4 auf 19,5 Prozent anwuchs.
Die Rüsselsheimer sahen den Rückschlag jedoch rechtzeitig voraus. Der Kadett zum Beispiel schien ihnen selber von Anfang an zu klein geraten - seine Konkurrenten, selbst der Wolfsburger Käfer, wirkten repräsentativer. Schon 1962, als der Kadett auf den Markt kam, hätte Opel-Chefingenieur Hans Mersheimer seine Schöpfung »gern ein bißchen mehr aufgeblasen«.
Der repräsentativ aussehende Mittelklassewagen Rekord dagegen hatte ein maschinelles Handikap: Sein Motor entstammte einem 30 Jahre alten Entwurf, und er war der langsamste Wagen seiner Klasse.
Ähnliche Gründe bewogen Opel, im vergangenen Jahr die Dreierserie Kapitän-Admiral-Diplomat auf den Markt zu bringen. »Wir mußten«, begründete damals Mersheimer, »dem deutschen Geschäftsmann endlich ein paar höhere Sprossen auf der Leiter anbieten.« Diesmal offeriert Opel höhere Sprossen für alle Klassen.
Mersheimer blies nicht nur die Karosserie seines Kadett auf, sondern auch den Motor: von 1000 auf 1100 Kubikzentimeter, von 40 auf 45 PS. Der Wagen wird als zwei- und viertürige Limousine, als Kombiwagen und Fließheck-Coupe geliefert - wahlweise auch mit 55-PS-Motor und vorderen Scheibenbremsen.
Am Rekord wichen die runden Scheinwerfer viereckigen Leuchten, die Opel mit einem der Stirn des Kapitäns gleichenden Grill kombinierte. Umgekehrt ersetzten die Opel-Ingenieure die eckigen Heckstrahler durch runde Lampen und änderten die Heckpartie. Außerdem verbreiterten sie die bisher auffallend schmale Spur der Hinterachse.
Für alle Modelle konstruierten die Rüsselsheimer schließlich neue Vierzylinder-Motoren. Es sind die sportlichsten Triebwerke der Opel-Geschichte. Sie leisten 60 (1,5 Liter), 75 (1,7 Liter-S) und 90 PS (1,9 Liter-S) und drehen so hohe Touren wie vor wenigen Jahren noch der Porsche-Sportwagen 1600 Super. Ihre Ventile werden über obenliegende Nockenwellen gesteuert - ein technischer Aufwand, wie ihn sich zum Beispiel selbst die Sportwagenfirma Porsche am Modell 912 versagt.
Mit dem neuen Motor wurde den Rekord-Modellen - ein neuartiger »Geräteträger« installiert: Verteiler, Kraftstoffpumpe, Wasserpumpe, Ölfilter und Ventilator sind nunmehr an einem Deckel zusammengefaßt, um Wartung und Reparatur zu vereinfachen.
Der gleiche Motor-Entwurf wird als Sechszylinder (Hubraum: 2,8 Liter; Leistung: 120 PS) in die - äußerlich unveränderten - großen Opel-Modelle Kapitän und Admiral eingebaut.
Opel trennte sich nicht nur von einem 30 Jahre alten Motor, sondern auch von einer noch älteren Tradition. Bisher war Opel das einzige deutsche Automobilwerk, das sogar seine Vergaser selber produzierte. Die Vergaser für seine neuen Motoren läßt Opel von der Spezialfabrik Solex bauen, die auch Opels Konkurrenten VW und Ford beliefert.
Neuer Opel Kadett, neues Kadett-Coupé: Den Kleinsten aufgeblasen
Neuer Opel Rekord
Die Stirn vom Kapitän verpflanzt