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Literatur Höllische Zweisamkeit

Susan Taubes, die erste Frau des Religionsphilosophen Jacob Taubes, hinterließ einen aufregenden Lebensbericht.
aus DER SPIEGEL 21/1995

Am 6. November 1969, gegen Abend, wird in East Hampton bei New York die Leiche einer Frau an den Strand des Atlantiks gespült - die Tote ist Susan Taubes, eine Schriftstellerin, deren autobiographischer Roman »Divorced« eine Woche vorher in New York erschienen war.

Susan Taubes war 41 Jahre alt, als sie sich das Leben nahm. Sie hinterließ einen Sohn und eine Tochter im Alter von 16 und 12 Jahren, die beide im Internat aufwuchsen. Taubes lebte in New York.

Ihr Buch, das jetzt unter dem Titel »Scheiden tut weh"* auf deutsch erschienen ist, rekonstruiert auf bewegende Weise ein Leben, das fast zwangsläufig in eine Katastrophe mündete. Die Autorin nennt ihr Werk »Roman«, obwohl es eine Fülle autobiographischer Details enthält.

Susan Feldman, Kind einer ungarischjüdischen Familie, wächst auf im Budapest der Vorkriegszeit. Ihr Vater ist Psychoanalytiker, ein orthodoxer Freudianer. Die Mutter empfindet früh, daß das einzige Kind ihr fremd bleiben werde. Sie kann die Liebe des Vaters zu seiner Tochter nicht verkraften.

Im Jahr 1939 - die Mutter hat sich vorher von der Familie getrennt - emigriert Susan mit dem Vater nach Amerika. 1949 heiratet die 21jährige den Religionsphilosophen Jacob Taubes. Sie reist mit ihm durch die USA, Europa und Israel. Sie bekommt zwei Kinder, arbeitet nebenher als Schauspielerin und Religionswissenschaftlerin. Die meiste Zeit verbringt die Ruhelose in Paris.

Kurz vorher hatte Jacob Taubes seine Dissertation abgeschlossen, die »Abendländische Eschatologie«, sein Opus magnum. Das Werk ist eine Geschichte des apokalyptischen Denkens. Es blieb die einzige große Veröffentlichung des Religionsphilosophen, der vor allem als Anreger und Hochschullehrer geschätzt wurde.

Seine Ehe mit Susan stellt Jacob Taubes von Anfang an auf eine harte Probe. Daß Ezra Blind - so figuriert Taubes im Roman - Verhältnisse mit anderen Frauen hat, gehört zum Alltag. Susan - alias Sophie Blind - soll sich damit abfinden. Sie trennt sich - nach zwölfjährigem Zusammensein - von ihrem Mann und geht zurück nach Amerika.

Ihr Buch rekapituliert dieses glücklose Leben kaum chronologisch, meist assoziativ. Es sucht nach Gründen dafür, daß Sophie Blind sich selbst »ein Hindernis war, das getilgt werden mußte«. Es ist das Dokument einer gescheiterten Ehe, einer unerfüllten Sehnsucht nach Heimat und einer lebenslangen Affinität zum Tod.

Psychoanalytisch interessierten Lesern bietet »Scheiden tut weh« eine schier unendliche Fülle an Material. Es ist gleichzeitig eine nüchterne Studie darüber, was Psychoanalyse bei einem Kind anrichten kann, wenn die Wissenschaft _(* Susan Taubes: »Scheiden tut weh«. Aus ) _(dem Amerikanischen übersetzt von Nadine ) _(Miller. Matthes & Seitz Verlag, München; ) _(360 Seiten; 49,80 Mark. ) als Religion mißverstanden wird. Der simple, autoritäre Freudianismus des Vaters ist eines der ersten und folgenreichsten Verhängnisse im Leben der Susan Taubes.

Der Psychoanalytiker hat sich erbarmungslos »der Ausrottung von Heuchelei und Umschweifigkeit« verschrieben. Er verbietet seiner Tochter sogar Höflichkeitsformeln: »Wenn man ihn um etwas bat, durfte man nicht sagen ,Hast du bitte . . .'' oder ,Ich möchte dich gern um etwas bitten'', sie bekam das Stück Schokolade erst, wenn sie sagte ,Gib mir . . .''. Sie konnte es nicht.«

Der Vater unterwirft die Beziehung zu seiner Tochter ganz dem psychoanalytischen Modell. Er erklärt ihr den Elektra-Komplex: »Daß sie eigentlich in ihn verliebt sei und ihn heiraten wolle und daß es sinnlos sei, dies abzustreiten, das Bestreiten gehöre mit zum Elektra-Komplex dazu.«

Obwohl sie sich dagegen wehrt, kommt Susan zeitlebens nicht mehr von Freud los. Seine Lehre prägt ihr Bewußtsein, liefert die Bilder, in denen sie denkt und fühlt.

Immer wieder imaginiert sich Sophie Blind als Angeklagte vor einem ritualisierten Geschworenengericht. Immer wieder sieht sie den eigenen Tod voraus, nicht als Katastrophe, sondern als Erlösung - oft ist es ein gewaltsamer Tod. Sie träumt von einer friedlichen Existenz auf dem Meeresboden. Mehrmals phantasiert sie ihre Beerdigung, bei der die Mutter erscheint - »in einen Kristallkokon gehüllt«.

Die Ehe mit Ezra Blind ist eine Hölle der Desillusion. »Reiter und Reittier gestrauchelt und gemeinsam hingeschlagen« - so erinnert Susan ihre Entjungferung. Gewalt beherrscht den Alltag mit dem Gelehrten - dem neben politischem Mut auch eine ausgeprägte Begabung für Intrigen nachgesagt wird.

Der junge Ehemann setzt bei seiner Frau das väterliche Erziehungswerk fort - mit schärferen Maßnahmen. Ezra Blind erweist sich als selbstsüchtig, besessen von seiner Arbeit, tückisch, psychologisch raffiniert. Er sucht manisch den Streit, und bei jedem Zerwürfnis gelingt es ihm, »sie ins Unrecht zu setzen«. Sie debattierend zu vernichten ist ihm ein Bedürfnis. Seine intellektuelle Überlegenheit setzt er aggressiv ein. Hat er Susan die Sprache genommen, ist sie »die beste Frau der Welt«.

Wenn sie sich wehrt und um sich schlägt, erregt sie sein Verlangen - »er weiß schon, wie er''s anstellen muß, und neun Monate später ist ein Kind da«.

Die Kinder machen die Hölle noch höllischer. Sie stören den Mann empfindlich, ihr Treiben verletzt seinen Ordnungssinn: Susan »sah zu, wie sein Zeigefinger sich drohend erhob, seine Lippen sich zu einem dünnen Strich zusammenpreßten«. So hatte auch der Vater der Autorin sein Kind immer wieder mit Ordnungsprinzipien terrorisiert.

War für den Vater »die Unordnung im menschlichen Geiste« eine Qual, so stimmt den Ehemann schon der genialische Umgang seiner Frau mit den Dingen des praktischen Lebens feindselig.

Der Ordnungssucht des Gatten entspricht, als Kehrseite, seine sexuelle Obsession. Täglich hört sie von ihm, wie sehr sie ihn enttäuscht. Prügel seien bei ihr »rein zweckmäßig«, klagt er - im Unterschied zu seiner Geliebten, die auf allen vieren herumkrieche und ihn anwinsele, daß er sie auspeitschen soll.

Als Susan ihrem Mann ankündigt, daß sie ihn verlassen werde, bricht er zusammen. »Ich weiß, daß ich dies nicht überlebe.« Die Ehe ist ihm heilig.

Jacob Taubes hat seine erste Frau um 18 Jahre überlebt. Er starb 1987, mit 64 Jahren, kurz nach Vollendung seiner Vorlesung über Paulus'' Römerbrief an der Freien Universität Berlin.

Susan ging nach Amerika zurück, aber sie wurde dort nicht heimisch. Über ihr Alter ego schreibt sie: »Obwohl sie in Amerika zur Schule gegangen ist, geheiratet und gearbeitet hat, hat sie eigentlich das Boot nie verlassen, auf dem sie 1939 angekommen ist.«

Von ihrer ersten Ankunft in New York träumte sie, der Einwanderungsbeamte habe sie gefragt: »Warum waren Sie nicht in Auschwitz?« Jetzt, bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Stadt, empfindet sie sich als »auf lächerlichste Weise dort gestrandet«.

Am 6. November 1969 fährt Taubes mit dem Zug nach East Hampton und nimmt ein Taxi an den Strand. Von dort ruft sie aus einer Telefonzelle einen Freund an, um ihm mitzuteilen, daß sie sich das Leben nehmen werde. In drei Briefen, die ein Polizist in einem Portemonnaie am Ufer findet, schreibt sie von ihrer Verzweiflung, die nicht mehr auszuhalten sei.

Ethan Taubes, 41, der Sohn, der seine Mutter als Kind vergötterte und »unendlich gern mit ihr aufgewachsen« wäre, lebt heute als Rechtsanwalt in New York. Er erinnert seinen Vater als herrschsüchtig und manisch depressiv, seine Mutter als eine Frau, die in Kafka und Beckett mehr zu Hause war als in sich selbst, die obsessiv reiste, auf der Flucht vor sich selbst, und die sich von Menschen seelisch nicht anrühren ließ.

Ethan über Susan: »Sie war sehr unglücklich und sehr witzig. Man konnte wunderbar lachen mit ihr.« Y

* Susan Taubes: »Scheiden tut weh«. Aus dem Amerikanischen übersetztvon Nadine Miller. Matthes & Seitz Verlag, München; 360 Seiten;49,80 Mark.

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