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Hollywood-Karriere ins Nichts

In den vierzigern zum Star hochgepuscht, geriet sie wegen Alkohol-Delikten und Prügeleien mit der Polizei ins Gefängnis und wurde schließlich in eine Irrenanstalt geschafft. Jetzt spielt Jessica Lange (Oscar für die beste Nebenrolle) die Tragödie der Frances Farmer im Film. Hollywood arbeitet die eigene Geschichte auf. *
aus DER SPIEGEL 34/1983

Cary Grant beeindruckte sie nicht besonders, Bing Crosby war für sie nicht mehr als »nett«, und selbst ihr erster Gatte Leif Erickson gefiel ihr nur leidlich. Nicht weil er Schauspieler war, sondern weil er es aufrichtig versuchte. Immerhin: Für Frances Farmer reichte das als Heiratsgrund.

Die Geschichte des Filmstars Farmer, dessen schnoddrige Empfindsamkeit Regisseur William Wyler einmal wohlwollend als »unausstehlich« bezeichnet hat, liest sich wie ein Gleichnis über Persönlichkeitsspaltung im New Deal. Frances Farmers siebenjährige Hollywood-Laufbahn begann 1935 - zu einer Zeit, als Willy Fritsch und Lilian Harvey das deutsche Kinopublikum von nazistischer Barbarei ablenkten - und endete, drei Jahre vor der Kapitulation und Hiroschima, in der Irrenanstalt.

»Ganze Wagenladungen von hoffnungsvollen jungen Mädchen zog die Filmstadt an«, notiert Kenneth Anger in seiner Skandalchronik »Hollywood Babylon«, die Amerikas Lieblinge so beschreibt, wie sie im wirklichen Leben auftraten: »Die meisten waren bloß hübsch, mutig und arm.«

Was Anger als »Horrortrip in die Stadt der gebrochenen Herzen« erscheint, ist für Frances weniger theatralisch. Sie haßt alles dort, bis auf das Geld: »I learned that money talks.« Dennoch lodert unter derlei Kühle die Wut über den faulen Kompromiß, die unterdrückte Selbstverwirklichung. Die 21jährige aus der Provinz, die ihre schauspielerische Zukunft eigentlich am Broadway sieht, filmt nicht aus Überzeugung. Sie will nicht »everyone''s darling« sein.

Die kurzweiligen Erfolgsproduktionen, denen sie ihr Gesicht vermacht, sind ihr zu anspruchslos: Kostümfilme wie »Come and get it« und Musikklamauk wie »Rhythm on the Range« befriedigen den einsamen Ehrgeiz der neuen Garbo nicht. »Ich war ja nur ein kleiner Kiesel«, verzeichnete sie später mit jener schlichten Direktheit, die ihre Arbeitgeber von Paramount-Film zur Raserei brachte.

Das Enfant terrible aus Seattle hatte das Pech, schön und zugleich intelligent zu sein. Mit sechzehn liest Frances Nietzsche, schreibt einen Aufsatz »God dies« und bekommt dafür den ersten Preis im Schulwettbewerb. In den Jahren der Depression sieht sie unruhige Arbeiter vor den Fabriken, in denen sie zeitweise jobbt, und die Not der Einwanderer.

Ihr offener Blick war für den Zelluloidbetrieb vor Los Angeles wenig gewinnfördernd. Viele ertrugen Hollywood ohnehin nur, indem sie sich mit Alkohol, Morphium, Kokain oder Heroin vollpumpten. Frances Farmer spülte ihre Einsichten mit Alkohol.

Frances'' Mutter, eine Engagierte aus dem amerikanischen Ableger der viktorianischen Frauenbewegung mit Vorliebe für exzentrische Auftritte, hat Angst, die Tochter würde kommunistisch infiltriert werden, als diese über die lokale Parteizeitung eine Reise nach Moskau und New York gewinnt. Frances aber hat keinen marxistischen Glauben, bloß Mitleid.

Frances will Theater spielen. Deswegen studiert sie in Washington, und deswegen nimmt sie jegliche Gelegenheitsarbeit an. Sie übt ihre Rollen allein, indem sie sich den spielbaren Ausdruck von Charakteren aus ihrer Umgebung aneignet. Den Selbstmord einer Freundin, den sie zufällig vereitelt, stellt Frances spontan auf der Universitäts-Bühne nach.

Ihre verschlossene Exaltiertheit, ihre Willenskraft und ihr Widerstand gegen Autorität indes haben eine verborgene Quelle: Die lebenslange Auflehnung gegen die dämonischen Abrichtungsversuche einer erfolgheischenden Mutter («... the world is not full of mother fuckers - it is full of fucking mothers") läßt Frances nie erwachsen werden. Der einzige Mann, der ihr jemals imponiert, der Dramatiker Clifford Odets, holt die zugkräftige Schöne für sein Stück »Golden

Boy« nach New York und läßt sie nach einer heftigen Affäre wieder fallen.

Frances revoltiert gegen den Ort, der ihr zum Ruhm verhalf. Hollywood, die Pappmache-Kulisse für »Cowboys, die ihre Pferde knutschen«, wirkt wie ein Brennglas auf die entzündlichen Teile ihrer puritanischen Moral. Die Produktionsgesellschaften machen mit einer synthetischen Glitzerwelt Kasse, obwohl der schöne Schein durch Drogentote und Sexskandale unter den Stars seine Glaubwürdigkeit verliert. Und - dialektische Pointe - das ist es gerade, was die doppelte Bürgermoral zu ihrer Bestätigung braucht.

Frances fängt an zu trinken, stript auf dem Sunset-Boulevard, schlägt Garderobieren und endlich einen Polizisten, als der sie bei einem Verkehrsdelikt erwischt. Einmal gibt die auf die Wache gebrachte Schauspielerin als Beruf »Schwanzlutscherin« an, eine Ungeheuerlichkeit in den Ohren biederer Vollzugsbeamter und eine willkommene Schlagzeile für Sensationsreporter.

Ihr letzter Film »There is no escape« wird Realität. Nach ihrer Verurteilung zu 180 Tagen Haft schmeißt sie dem Richter ein Tintenfaß an den Kopf, weil man ihr im Schnellverfahren den Anwalt verweigert hat. Doch Frances'' »Mamma« interveniert und schickt sie in ihre klinische Karriere.

Erste Station: ein Privatsanatorium, das die Entnervte mit den Qualen einer Insulinbehandlung vom Laster des Alkohols kurieren soll. Mutter Farmer, die wie eine Spinne in Frances'' psychischem Netz auf ihre Chance zum Eingreifen gewartet hat, rächt sich für enttäuschte Erwartungen bitter. Sie läßt die 29jährige offiziell für verrückt erklären und ergreift die Vormundschaft.

In Steilacoom, einer überfüllten Irrenanstalt, erlebt Frances die verächtlichen Ausbeutungsmechanismen Hollywoods noch einmal, psychisch und ohne Glamour.

Nackt, geschoren und blutig geschlagen, muß die Würdelose eigenen Kot hinunterwürgen und schaut bestialischen Vergewaltigungen zu, die Patienten und Personal im einzigen Rausch begehen, der ihnen noch bleibt: einem orgiastischen Geschlechtstrieb. In der Hydrotherapie, einer unsinnigen Tortur in Eiswasserwannen, vergißt man sie für Stunden. Später entdecken die Schwestern ihren erstarrten Körper, sie lebt, hat aber schrecklich zerbissene Lippen. Die hat Frances im Kälteschock abgefressen. Bei ihrer Entlassung 1950 ist sie, möglicherweise durch einen Gehirneingriff (Lobotomie), emotional und psychisch tot. Frances Farmers Comeback in einer Fernsehshow fällt kümmerlich aus. 1970 stirbt sie, alkoholsüchtig, an Kehlkopfkrebs.

Teile ihrer Autobiographie, die Frances nur noch mit journalistischer Hilfe verfassen konnte (die Löcher in ihrer Erinnerung waren zu groß), und Zeugenaussagen lieferten nun das Rohmaterial zu Greame Cliffords erstem Film. Sein Porträt verschaffte der vergessenen Nonkonformistin in US-Kinos einen wohlfeilen Respekt: den postumen.

Allerdings kommt in dem authentisch gemeinten Debütwerk des bisherigen Cutters eine Figur zu Ehren, die weniger der Wahrheit als der Produktion von melodramatischem Schmalz dient. Harry York (gespielt von Sam Shepard), so heißt er im Film, überbrückt in der Janusgestalt des Gegenspielers und langjährigen Frances-Vertrauten die dokumentarischen Unsicherheiten im aufdringlichen Plauderton.

Eine Liebesbeziehung mit dem verständigen Harry, der stets in Karo- oder Unterhemd sympathisch grinst, kann den Filmstar (Jessica Lange) nicht fesseln, obwohl er ihren Marsch durch die Institutionen der Psychiatrie mehrmals und abenteuerlich unterbricht. Wie dieser heimliche Held im Verzicht, muß auch Musik Sequenzen kleistern, wenn nicht gar ersetzen: Daß die Film-Frances des öfteren Mozarts A-Dur-Klaviersonate anspielt, steht wohl für das gestörte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, das zunächst ohnehin nicht zur Sprache kommt.

Die glutäugige Verbitterung der Mutter (Kim Stanley) wirkt allemal stärker als das Feierabend-Dolce-Vita in Hollywood, das mit seidenen Negliges, Kristallüstern und gefüllten Cocktailgläsern bestenfalls Langeweile hervorruft.

Die dramatischen Wenden im Leben der Frances Farmer sind mühelos an plötzlichen Regengüssen erkennbar. Gescheiterte Dialoge verebben schließlich im tierischen Grunzen der eingesperrten Kranken, die der Film - entgegen den Fakten - eher zimperlich zeigt.

Gleichwohl, das wandlungsfähige, dem Vorbild ungemein ähnliche Gesicht der Jessica Lange, die jüngst den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle in »Tootsie« erhielt, macht den Sturz der Frances so gespenstisch fühlbar wie ein Alptraum. Dafür greifen dann die guten alten Hollywood-Bosse ins volle Leben, wenn sie die mimischen Qualitäten ihres Moviestars registrieren: »Gute Titten hat sie.« _(Im County-Gefängnis von Los Angeles ) _((1943). )

Im County-Gefängnis von Los Angeles (1943).

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