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KINO »Hollywood verliert an Macht«

Der amerikanische Kultregisseur David Lynch, 61, über seine Vorliebe für schwerverständliche Filme, Kühe als Werbeträger und sein neues Werk »Inland Empire«
aus DER SPIEGEL 16/2007

SPIEGEL: Mr Lynch, in »Inland Empire« erzählen Sie von einer Schauspielerin, dargestellt von Laura Dern, die für einen mysteriösen Film besetzt wird, von Osteuropäern, die im Wald hausen, und von Menschen mit Hasenköpfen. Wie viele Ihrer Fans sind auch wir recht ratlos, worum es in dem Film geht. Können Sie uns helfen?

Lynch: Ich kann Ihr Dilemma nachvollziehen. Die meisten Filme sind ganz einfach zu verstehen. Aber ich erzähle nicht bloß Geschichten, sondern arbeite mit Abstraktionen. Das Kino kann die Zuschauer in eine Welt jenseits des Intellekts entführen, in der sie sich ganz und gar ihrer eigenen Intuition anvertrauen müssen. Es geht nicht darum, etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren.

SPIEGEL: Was denn? Verwirrung?

Lynch: Verwirrung kann sehr stimulieren! Viele Zuschauer lieben es, sich in einen Film fallen zu lassen. Wenn sie aus dem Kino kommen, wirkt er in ihnen fort, sie versuchen, sich einen Reim auf ihn zu machen. Andere sind frustriert, weil sie nichts kapieren, fühlen sich verloren. Aber für die gibt es ja auch andere Filme.

SPIEGEL: Das klassische Erzählkino?

Lynch: Genau. Es ist zeitlos, und ich liebe es sehr. Doch ich will seine Formen so weit wie möglich dehnen. Dazu braucht es aber immer wieder eine zündende Idee.

SPIEGEL: Was war denn die zündende Idee bei »Inland Empire«?

Lynch: Die Schauspielerin Laura Dern kam bei mir vorbei und sagte, dass sie in meine Nachbarschaft gezogen sei. Diese Begegnung war ein Schlüsselerlebnis für mich, sofort hatte ich das Bedürfnis, mit ihr einen weiteren Film zu drehen. Und als mir Laura erzählte, dass sie aus einer Gegend im Osten von Los Angeles stammte, die Inland Empire genannt wird, war auch der Titel schon gefunden.

SPIEGEL: Trägt das als Idee? Der Film wirkt auf uns wie ein wilder Gedankenstrom.

Lynch: Das ist er nicht! Dann wäre er ja willkürlich. Doch der Raum, in dem eine Szene spielt, das Licht, das darin herrscht, wähle ich sorgfältig aus. Leider kommt mit jeder guten Idee immer viel Müll mit, den muss ich dann wieder aussortieren.

SPIEGEL: Aber Sie zeigen den Zuschauern Bilder, die andere Regisseure sofort aussortieren würden. Warum sind manchmal die Gesichter der Schauspieler im Vordergrund unscharf, während die Wände hinter ihnen klar zu erkennen sind?

Lynch: Das war keine Absicht, das lag an der Kamera! Doch ich mochte diese Bilder, bei denen der Zuschauer nicht genau weiß, worauf er sein Augenmerk richten soll.

SPIEGEL: Früher fanden Sie mit Filmen wie »Blue Velvet« (1986) oder »Wild at Heart« (1990) ein Millionenpublikum. »Inland Empire« sahen in den USA noch nicht mal 100 000 Zuschauer. Kann Ihnen das Publikum nicht mehr folgen?

Lynch: Je abstrakter ein Film ist, desto weniger Zuschauer findet er, das war schon immer so. Ich glaube aber, die Zuschauer verstehen von »Inland Empire« viel mehr, als sie selber ahnen. Und ich bin überzeugt, dass wir gerade in einer Zeit des Umbruchs leben. Mehr und mehr Zuschauer sind die immergleichen Hollywood-Filme leid, und es könnte sein, dass das Arthouse-Kino deshalb größeren Zulauf erhält.

SPIEGEL: Ist das nicht reichlich optimistisch? In diesem Jahr schickt sich Hollywood an, wieder Rekorde zu brechen.

Lynch: Vielleicht, aber wir haben heute ein wahrhaft globales Kino. Wir sehen Filme aus Asien oder aus Afrika. Jeder kann heute eine Kamera in die Hand nehmen, einen Film drehen und vertreiben. Hollywood verliert an Macht.

SPIEGEL: Wirklich? Hat Hollywood den Avantgardefilm nicht schon vereinnahmt? Immer mehr Großproduktionen wie »Babel« oder »Syriana« arbeiten mit einer nonlinearen Erzählweise.

Lynch: Aber das können Sie doch nicht mit meinen Filmen vergleichen! Da wird doch nur eine lineare Geschichte in veränderter Reihenfolge montiert. Das ist nicht innovativ, sondern bloß eine Mode.

SPIEGEL: Wo wird das innovative Kino in Zukunft stattfinden? Im Internet?

Lynch: Ganz sicher. Da werden wir Künstler völlig neuer Ausdrucksformen entdecken.

SPIEGEL: Nutzen Sie das Internet selbst als künstlerische Spielwiese? Schon auf Ihrer Homepage zeigen Sie in einer Sitcom Menschen mit Hasenköpfen.

Lynch: Ja, aber ich habe das nicht bewusst erst im Internet ausprobiert und dann später im Film verwandt. Viele meiner Ideen entwickeln ein Eigenleben. Ich weiß oft selbst nicht, wie ich auf sie komme. Vielleicht kommen sie eher auf mich zu.

SPIEGEL: Sie haben sich mit einer Kuh mitten in Los Angeles an der Ecke Hollywood Boulevard/La Brea Avenue hingesetzt, um Werbung für »Inland Empire« zu machen. Keinen Schimmer, warum?

Lynch: Doch. Ich hatte herausgefunden, dass die Leute Kühe sehr mögen. Die Kuh und ich hatten mehrere Auftritte, einmal mit einem Pianisten, ein anderes Mal mit der Band einer High School und einigen Cheerleadern. Ich wollte Laura Dern damit zu einer Oscar-Nominierung verhelfen. Hat leider nicht geklappt.

INTERVIEW: LARS-OLAV BEIER,

ANDREAS BORCHOLTE

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