Margarete Stokowski

Margarete Stokowski Zehn Regeln fürs Überleben im Homeoffice

Margarete Stokowski
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Von Arbeitsplatz bis Feierabend – mit einem kleinen Exkurs zu Nugat und Masturbation: zehn Regeln für das Arbeiten zu Hause.
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Getty Images

Ja, da sitzen wir nun. Sehr viele Menschen, die nicht ans Homeoffice gewöhnt sind, müssen jetzt von zu Hause arbeiten, und das klingt für viele erst mal gemütlich, kann aber auch richtig schnell ungemütlich werden, wenn man überfordert ist. Es gibt im Moment bei verschiedenen Medien allerhand Tipps dafür, was man im Homeoffice beachten muss - rechtliche Fragen, Versicherungsfragen, Tipps für Chatprogramme - , das können Sie alles woanders lesen , ich würde gern heute über den Psycho-Anteil von Homeoffice reden und wie man dabei nicht verrückt wird, oder zumindest nicht verrückter als man vorher schon war.

Arbeiten von zu Hause ist etwas, was einige Menschen sehr hartnäckig als "keine richtige Arbeit" bezeichnen und andere wiederum als die bestmögliche Form von Arbeit, beides stimmt nicht, aber beides sind nachvollziehbare Ansichten. Ich arbeite seit ungefähr elf Jahren als Autorin von zu Hause und kenne beide Seiten: die Seite, auf der man es liebt und romantisiert und nie wieder anders haben will, und die Seite, auf der man es hasst und Depressionen kriegt und komplett durchdreht, weil man ständig allein ist und im Haus gegenüber jemand sich überlegt hat, jetzt Geige zu lernen und darin auch noch disziplinierter ist als man selbst je war.

Regeln fürs Homeoffice unterscheiden sich eigentlich nicht prinzipiell von Regeln, die fürs konzentrierte Arbeiten allgemein gelten, allerdings macht man sich diese Regeln üblicherweise nicht sonderlich bewusst, weil man sich mehr oder weniger automatisch einfach an das hält, was am jeweiligen Arbeitsplatz üblich ist. Erfahrungsgemäß haben Leute, die anfangen zu Hause zu arbeiten, trotz der sehr unterschiedlichen Berufe, die sie ausüben, ziemlich ähnliche Probleme, deswegen heute ein paar Tipps gegen die klassischen Homeoffice-Fallen. Jeden einzelnen Fehler, den ich im Folgenden aufzähle, hab ich selbst gemacht, bin also Expertin.

Der Arbeitsplatz. Räumen Sie nicht vorher auf. Wirklich nicht. Das ist ein Trick Ihres Gehirns um nicht anfangen zu müssen und Sie wissen das, wir alle wissen das. Suchen Sie sich ganz am Anfang irgendeinen Platz in Ihrer Wohnung, egal wo, und fangen Sie an zu arbeiten, erledigen Sie erst mal ein paar Sachen, eine Stunde oder mehrere, egal, und dann räumen Sie auf, wenn es nötig ist. Der Witz daran ist, dass Sie dann nicht mit schlechtem Gewissen aufräumen und dann auch noch zu spät anfangen, sondern schon mal eine stabile Würde- und Selbstbewusstseinsbasis für den restlichen Tag schaffen.

Sie werden in den nächsten Wochen vermutlich sowieso noch richtig viel Zeit zum Aufräumen und Putzen Ihrer Wohnung haben. Ich bin keine Virologin, aber wahrscheinlich werden Sie sogar Zeit für diese blöden Stellen zwischen den Heizungsrohren und den Staub oben auf dem Türrahmen haben. Später. Wo in Ihrer Wohnung Sie arbeiten, ob am Schreib- oder Küchentisch, auf dem Sofa oder im Bett, ist theoretisch egal, aber wenn Sie viel tippen müssen und das im Bett machen, kriegen Sie wesentlich leichter eine Sehnenscheiden- und/oder Schleimbeutelentzündung und dann gute Nacht.

Apropos Bett: Arbeiten Sie, auch wenn Sie es mögen, nicht zu viel im Bett, denn das Bett brauchen Sie wahrscheinlich noch zum Weinen. Ernst gemeint. Und wenn Sie im Bett schlafen, schreiben und weinen, haben Sie noch weniger das Gefühl, etwas geschafft zu haben, weil Sie ja die ganze Zeit im Bett sind.

Arbeitskleidung. Man hört recht häufig den Tipp, dass man sich fürs Homeoffice genauso ordentlich anziehen sollte, wie wenn man zum Arbeiten rausgehen würde, aber ich halte diesen Tipp nicht für allgemeingültig. Es kommt drauf an, ob Sie auch nackt seriöse Dinge tun können. Oder in Jogginghose. Ich hab ein oder zwei Radiointerviews nackt gegeben, einfach weil es da ziemlich warm war, oder mit der Redaktion von der Badewanne aus telefoniert, man kann das machen, man sollte dann dabei nur nicht ständig erwähnen, dass man gerade nackt ist, sonst ist man einfach nur ein Creep.

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Infrastruktur. Schaffen Sie sich alles, was Ihnen fehlt, so gut es geht: Rituale, Austausch, soziale Kontrolle, gemeinsame Kaffee- und Raucherpausen (via Skype). Verabreden Sie sich mit anderen HeimarbeiterInnen zum Chatten oder Telefonieren. Sie können mit denen auch ausmachen, sich gegenseitig zu fragen, wie weit sie mit diesem oder jenem schon gekommen sind - das klingt absolut gruppentherapiemäßig, ich weiß, aber das ist ja auch die Idee. Kann trotzdem lustig sein. Wenn Sie wissen, dass Kollegin A. bis zur Mittagspause, sagen wir mal, die Rede von Emmanuel Macron zusammenfassen muss, nehmen Sie ein möglichst merkwürdiges Foto von Macron und malen Sie ihm mit der Bearbeiten-Funktion Ihres Smartphones eine Sprechblase ran, auf der steht: "Reicht jetzt auch mal" - irgendwie so was. (Hauptsache, Sie verbringen damit nicht den ganzen Vormittag.)

Konzentration. Im Homeoffice gibt es andere Ablenkungsquellen als im Büro, weil man seinen ganzen Haushalt und eventuell noch die Familie um sich herum hat. Wenn es Ihnen schwerfällt, sich zu konzentrieren, weil Sie ständig Zuhause-Sachen machen wollen, öffnen Sie eine Word-Datei oder nehmen Sie einen Zettel und schreiben Sie dort alles kurz auf, was Ihnen unpassenderweise durch den Kopf geht. Also wirklich alles. Da steht dann am Ende vielleicht "Wäsche aufhängen, Oma anrufen, warum haben die Nachbarn ausgerechnet JETZT Sex, Blumen gießen, DIY Bidet googeln". Sie können das alles später machen, auf der Liste ist es erst mal gut aufgehoben.

Ruhe. Wenn es nicht leise genug ist, weil Ihre Nachbarn gerade entdeckt haben, dass man "Frozen 2" jetzt bei Disney Plus streamen kann, besorgen Sie sich Ohrstöpsel oder Noise-Cancelling-Kopfhörer. Letztere haben mich aus einer ziemlichen Krise gerettet, die ich hatte, weil mein früherer Nachbar ein sehr fleißiger, aber auch sehr schlechter Posaunist war und ich irgendwann nicht mehr die Nerven hatte, bei ihm zu klingeln. Die Anschaffung ist teuer, aber die Ruhe pures Gold.

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Produktivität. Falls Sie das Gefühl haben, nichts zu schaffen, schreiben Sie außer einer To-do-Liste auch eine Have-done-Liste, auf der Sie notieren, was Sie schon hinbekommen haben. Die To-do-Liste, sofern Sie eine haben, können Sie einteilen nach "muss unbedingt" und "geil, wenn's klappt", weil es dann doppelt befriedigend ist, wenn Sie bis zur zweiten Kategorie vordringen. Falls Sie das Glück haben, nicht zu festgelegten Zeiten arbeiten zu müssen, versuchen Sie rauszufinden, was Ihre produktivste Zeit ist. Wenn Sie protestantisch sind oder irgendein fleißiges Sternzeichen - Biene? -, dann denken Sie wahrscheinlich, frühmorgens ist Ihre beste Zeit. Muss aber gar nicht sein. (Bei mir ist es circa 22 bis 2 Uhr.) Das Gute daran, wenn man seine produktivsten Stunden kennt, ist, dass man dann mehr in kürzerer Zeit schafft und den Rest der Zeit andere Dinge tun kann. Wenn Sie bis zum Ende Ihrer produktiven Zeit nichts geschafft haben und es nicht unbedingt noch sein muss, dass Sie weitermachen, lassen Sie es. Und stellen Sie eine Wasch- oder Spülmaschine an, damit wenigstens einer in Ihrem Haushalt was geleistet hat.

Pausen. Zu Hause können Sie öfter Pausen machen, ohne dass es jemand merkt, müssen sich aber selbst dazu bringen, weiterzumachen. Tricky. Finden Sie am Anfang des Tages raus, wie lang Ihre aktuelle Konzentrationsspanne ist. Wenn Sie eine halbe Stunde, nachdem Sie angefangen haben, merken, dass Sie abschweifen, dann ist es heute eben eine halbe Stunde. Kurze Pause und dann weiter. Sie machen sonst eh nur Fehler.

Verbringen Sie Ihre Pause nicht an dem Ort, an dem Sie arbeiten. Das hilft auch gegen eine der größten Homeoffice-Versuchungen: unnötige Sachen kaufen. Außer Depressionen und Lebenskrisen ist eine Sache, in die man beim Heimarbeiten leicht hineingerät: Onlineshopping. Man hat eventuell einfach perfekte Voraussetzungen, um im Internet Sachen zu kaufen: Man hat tausend Sehnsüchte nach einem anderen Leben, man sitzt eh die ganze Zeit am Computer, man ist zu Hause um jederzeit Pakete zu empfangen. Ich glaube, ich habe Dreiviertel meiner Klamotten in den zwei Stunden vor Deadlines online gekauft. Tun Sie es nicht, oder zumindest nicht zu viel, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch, weil Ihr Gehirn sich wesentlich besser erholt, wenn Sie aufstehen und aus dem Fenster gucken oder eine Runde um den Block gehen, falls das möglich ist.

Belohnung. Weil es sein kann, dass Sie niemand loben wird (außer Sie sorgen dafür, siehe oben, Infrastruktur), müssen Sie sich selbst belohnen. Es ist egal, ob Sie das mit Nugat, Musik oder Masturbation tun, Hauptsache Sie tun es.

Einsamkeit. Sie sind allein, andere sind es auch. Schreiben Sie in den Pausen oder nach Feierabend ein paar Leuten, die Ihnen wichtig sind. Es gibt zurzeit richtig viele Menschen, die das gebrauchen können. Alleinerziehende oder eh tendenziell einsame Menschen, prekär Beschäftigte, Leute mit Depressionen, Zwangs- oder Angsterkrankungen oder aggressiven Partnern haben möglicherweise zurzeit eine doppelt beschissene Zeit und sind froh über etwas Austausch oder einfach jemanden, der ihnen wahlweise zuhört oder sie ablenkt.

Feierabend. Sie können nicht nach Hause gehen, weil Sie schon zu Hause sind. Gehen Sie also wenigstens weg vom Schreibtisch, selbst wenn Sie eigentlich noch irgendwas am Laptop machen wollen. Das machen Sie später. Und: Machen Sie sich nicht fertig, weil Sie in Ihrem neuen Zuhausebüro nicht effizient genug waren. Sie haben den Tag rumbekommen, so viel ist auf der Haben-Seite, und das ist in Zeiten wie diesen schon einiges.

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