RIEFENSTAHL Ihr Kampf
Drei Frauen im Parkett der Münchner Kammer-Lichtspiele widmeten sich der Schreibarbeit, während vor ihnen auf der Leinwand eine Geschichte des Dritten Reiches abrollte: der Anti -Hitler-Film »Mein Kampf«, den der schwedische Regisseur Erwin Leiser aus Dokumentarstreifen und Wochenschauberichten zusammengestellt hatte (SPIEGEL 32/1960). Hin und wieder war das metallische Klicken einer Stoppuhr zu vernehmen.
Nur wenig später gab eine der drei Kinobesucherinnen, die Regisseurin Leni Riefenstahl, eine eidesstattliche Erklärung ihrer Betriebsamkeit während der Vorstellung: Zusammen mit ihrer früheren Cutterin Erna Peters und einer Sekretärin habe sie sich den Leiser -Film angesehen, um »jede Aufnahme, die aus dem 'Triumph des Willens' stammt«, zu notieren. Bekundete des Führers liebste Regisseurin: »Ich selbst habe diese Szenen noch mit einer Stoppuhr, ihrer Zeitdauer nach, abgestoppt und die Zeit auch sofort mit Hilfe meiner Sekretärin notiert.«
Mit der Stoppuhr in der Hand vermochte Leni Riefenstahl den Nachweis zu führen, daß 337,67 Meter des Leiserschen, von der Stockholmer Minerva Film produzierten und insgesamt 3325 Meter langen Dokumentarstreifens jenem Film »Triumph des Willens« entstammen, in dem die Riefenstahl - beauftragt von Adolf Hitler - den Massenaufmarsch der braunen, schwarzen und grauen Kolonnen auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg 1934 festgehalten - Leiser: »verherrlicht« - hatte. Die schwedische Minerva Film, so folgerte die Reichsparteitagsfilm-Regisseurin, habe sie deshalb entweder an den Einspielergebnissen von »Mein Kampf« zu beteiligen oder die von ihr - der Riefenstahl - gedrehten Szenen aus dem Film zu entfernen.
Nun bestreitet nicht einmal »Mein Kampf«-Regisseur Erwin Leiser, daß einige der eindrucksvollsten Szenen seines von der Kritik gerühmten politisch aufklärerischen Films dem »Triumph des Willens« entnommen wurden. Im Gegensatz zu Leni Riefenstahl ist er »allerdings der Meinung, daß die Führer-Beauftragte an den beträchtlichen Gewinnen des Anti-Hitler-Films nicht beteiligt werden sollte«. Leiser: »Die Propagandistin Hitlers schämt sich offenbar nicht, an einem anti-nazistischen Film zu profitieren.« Schwedens liberale Zeitung »Dagens Nyheter« dazu: »Ein besseres Beispiel für mangelnde Reue dürfte schwerlich zu finden sein.«
Nach gründlichem Studium der nationalsozialistischen Zeitungen aus den Jahren 1934/35 glaubt Leiser, an seinem Urteil festhalten zu können, obschon ihm bekannt ist, daß die 2. Abteilung der Spruchkammer Freiburg die Filmregisseurin und -produzentin Leni Riefenstahl am 16. Dezember 1949 in die Gruppe der Mitläufer einstufte. Einzige Sühnemaßnahme: »Die Betroffene ist nicht wählbar.«
Die Lektüre des NSDAP-Parteiblattes »Völkischer Beobachter« belehrte Minerva-Regisseur Leiser nämlich, daß Leni Riefenstahl - laut eigenen Angaben weder Mitglied der NSDAP noch einer ihrer Gliederungen - der Partei wertvollere Dienste geleistet hatte als mancher kampferprobte Alt-Genosse. Urteilte der »Völkische Beobachter« am 29. März 1935 über »Triumph des Willens": »Mit diesem von Leni Riefenstahl und ihren ausgezeichneten Mitarbeitern geschaffenen Werk haben wir den Standardfilm der nationalsozialistische Bewegung... Die Seele des Nationalsozialismus wird in diesem Film lebendig.«
Der VB-Schreiber schloß die Lobeshymne auf die Riefenstahl-Dokumentation gar mit der Prophezeiung, »Triumph des Willens« sei »über die nationale Tat hinaus eine nationalsozialistische Fanfare, die das deutsche Volk noch aufpeitschen wird, wenn die Generation von heute längst der Rasen deckt«.
Nationale Ehren ließen nicht lange auf sich warten. Joseph Goebbels, laut Leni Riefenstahl in jenen Jahren einer ihrer erbittertsten Gegner, erkannte der Filmregisseurin am 1. Mai 1935 für »Triumph des Willens« - »dieser Film ist mehr als ein Film« - den nationalen Filmpreis 1934/35 zu.
Entgegen der These, mit der die Riefenstahl-Anwälte heute die Ansprüche ihrer Mandantin durchzusetzen versuchen, hat die NS-Preisträgerin und Hitler-Verehrerin 1934 indes keineswegs nur einen nüchternen Dokumentarbericht verfassen wollen. In einem Buch über die Entstehung des mehrfach preisgekrönten und künstlerisch zweifellos gelungenen Tendenzfilms bekannte Leni Riefenstahl damals, wie sie den ihr von Hitler erteilten Auftrag wertete: Es gelte, schrieb sie, »die unvergeßlichen Tage aus der Erinnerung und der unsagbar beglückenden Vorstellungswelt heraus gleichsam in ein neues Tageslicht zu stellen; das nur noch der gedruckten Überlieferung anvertraute Wort des Führers und seiner Getreuen wird noch einmal geboren... Über allem der Führer!«
Der Lektüre dieses Buches durfte »Mein Kampf«-Regisseur Erwin Leiser auch entnehmen, daß die Riefenstahl »mit den Ministerien und Parteistellen Verträge« schloß, »Vollmachten und Ausweise besorgte« und sich der Hilfe der Stadt Nürnberg versicherte, »um neue filmische Wirkungen zu erzielen": »In großzügigster Weise (wurden) mit Unterstützung der Stadt Nürnberg Brücken, Türme und Bahnen gebaut, wie es bisher noch nie für einen Film gemacht werden konnte.«
Unter der Prüfnummer 38 956 wurde das Ergebnis solch kolossaler Bemühungen auf Antrag der »Geschäftsstelle des Reichsparteitagsfilms, Berlin-Halensee, Cicerostraße 2-6« der Film-Prüfstelle zur Zensur vorgeführt. Als Hersteller firmiert auf dieser Prüfkarte freilich nicht die Riefenstahl-Produktion, sondern die NSDAP. Die Regisseurin des Führers wird lediglich unter der Rubrik Gestaltung aufgeführt - eine Tatsache, die Erwin Leiser und die Stockholmer Minerva zu der Annahme führten, »Triumph des Willens« sei ein Dokument, dessen Rechte sie bestenfalls von einem Treuhänder für das ehemalige NSDAP-Vermögen, nicht jedoch von Leni Riefenstahl erwerben müßten.
Wenige Wochen nach der Premiere des Anti-Hitler-Films »Mein Kampf« in der Bundesrepublik wurden die Schweden allerdings eines Schlechteren belehrt. Im Auftrag Leni Riefenstahls teilte der Münchner Rechtsanwalt Weber der Minerva Film AG mit, daß seine Mandantin die Urheberrechte an jenen 337 Metern Film besitze, die Leiser in »Mein Kampf« hineingeschnitten hatte. Weber: »Die Verwendung der Teile des Films 'Mein Kampf', an denen meine Mandantin die Rechte besitzt, ist... unzulässig und rechtswidrig. Damit stellt auch die Vorführung des Films 'Mein Kampf' mit diesen Teilen eine rechtswidrige Urheberrechtsverletzung gegenüber meiner Mandantin dar.«
Im Gegensatz zu den Schweden, die auf diese Forderung nicht eingingen (Leiser: »Das ist keine Frage des Geldes, sondern der Moral"), zeigte sich der Neue Film Verleih (NF), dem die Minerva den Alleinvertrieb von »Mein Kampf« für die Bundesrepublik, Österreich und Luxemburg überlassen hat, vergleichsbereit. Ängstlich darauf bedacht, allen Fährnissen vorzubeugen, die den Vorführungen des schwedischen Kassenschlagers abträglich sein könnten, bot die Neue Film Verleih GmbH, München, der Leni Riefenstahl 35 000 Mark als Vergütung für jene 337,67 Meter Parteitag-Herrlichkeit.
Vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Minerva aber schreckte die Riefenstahl zurück. Nach dem Vergleich mit dem NF-Verleih trat sie Forderungen gegenüber der schwedischen Firma dem Filmproduzenten Friedrich A. Mainz ab, um Verbindlichkeiten, die sie bei ihm hatte, abzudecken. Mainz schickte seinen Münchner Anwalt Klaus Boele mit der Order in den Kampf, vorsorglich erst einmal einen Teil des in Deutschland befindlichen Vermögens der Minerva arretieren zu lassen.
Vor der 7. Zivilkammer des Münchner Landgerichts I erklärte Boele: »Nachdem allein Westdeutschland ein Einspielergebnis von mindestens 1,7 Millionen D-Mark bringt, kann man sich die Ergebnisse in deri übrigen Ländern Europas und der Welt ungefähr ausrechnen.« Auch die Aufführung des Films in anderen Ländern stelle eine ständige Verletzung der Rechte von Frau Riefenstahl dar. Um diese Rechte zu sichern, so empfahl Boele dem Gericht, sei es angebracht, 50 000 Mark zu arretieren, die der Neue Film Verleih vertragsgemäß eigentlich an die Minerva abzuführen hätte.
Das Erstaunliche geschah: Das Landgericht München gab im vergangenen Monat dem Antrag Boeles statt und erließ - »zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen der dem Antragsteller (Mainz) aus der Abtretung von Frau Leni Riefenstahl gegen die Schuldnerin (Minerva) zustehenden Schadensersatzforderung von 50 000 Mark« - dinglichen Arrest bis zur Höhe von 50 000 Mark.
Diesen Erfolg verdankt der Mainz -Riefenstahl-Anwalt vor allem einem Stapel eidesstattlicher Versicherungen, die das Gericht davon überzeugten, daß - entgegen den Eintragungen auf den Filmprüfkarten - der Hersteller von »Triumph des Willens« nicht die NSDAP, sondern die Riefenstahl-Film GmbH (Allein-Inhaberin: Leni Riefenstahl, geboren am 22. August 1902) gewesen sei. Leni Riefenstahl: »Der Film, wurde ohne Partei- oder Staatsgelder finanziert.«
Bestätigte Hans Saupert, »von 1933 bis 1942 Stabsleiter des Reichsschatzmeisters der ehemaligen NSDAP, Franz Xaver Schwarz": »Ich kann mit Bestimmtheit versichern, daß die NSDAP weder die Herstellerin noch die Auftraggeberin des von Frau Leni Riefenstahl hergestellten Films 'Triumph des Willens' war und denselben auch nicht finanziert hat.« Er wisse dagegen, daß Leni Riefenstahl diesen Film »unabhängig« und »ohne jeden Einfluß der Partei hergestellt und künstlerisch gestaltet« habe.
Allerdings, noch bevor das Münchner Gericht die erste Runde klar für die Riefenstahl-Partei entschieden hatte, war die Reichsparteitagsfilm-Regisseurin vollends zur Offensive übergegangen. Alles verleugnend, was sie in den NS-Jahren selbst zu Papier gebracht hatte, sah Leni Riefenstahl keinen Grund, länger Zurückhaltung zu üben: Sie habe diesen Film als reinen Dokumentarfilm, nicht als Propagandafilm hergestellt, und das Ausland habe diese ihre Leistung voll zu würdigen gewußt. Andernfalls, so meint Leni Riefenstahl heute, hätte »Triumph des Willens« 1937 in Paris kaum den Grand Prix der »Exposition Internationale des Arts et des Techniques« bekommen.
Nun zweifelt auch »Mein Kampf« -Regisseur Leiser in Stockholm nicht daran, daß Leni Riefenstahl zu den großen Könnern ihres Fachs gehört. Den Kampf um die Urheberrechte aber gibt er deshalb noch nicht verloren. Mag die Riefenstahl in Deutschland mit ihren Forderungen durchkommen - im westlichen Ausland, zumindest in den ehemaligen Feindstaaten, stellt sich der Minerva die Rechtslage anders dar. Sagt Leiser: »'Triumph des Willens' ist für Amerikaner, Briten und Franzosen Kriegsbeute. Dafür brauchen wir nicht der Riefenstahl, dafür brauchen wir überhaupt nicht zu zahlen. Das schenken uns die Amerikaner aus ihren Archiven.«
Ähnliche Überlegungen waren es offensichtlich auch, die Mainz-Anwalt Boele in München veranlaßten, besonders eilig auf Arrest der von NF an Minerva zu zahlenden Einspielergebnisse zu dringen. Sollte sich nämlich herausstellen, daß sich die englischen, französischen und amerikanischen Gerichte weigern, die Riefenstahl-Rechte anzuerkennen, wäre der Leni Riefenstahl immerhin das Kunststück geglückt, 50 000 Mark voraus zu kassieren (Westberlins »Abend": »Lohn der Unmoral"), die ihr kein ausländisches Gericht wird streitig machen können.
Führer-Beauftragte Leni Riefenstahl, Auftraggeber (1934): Profit aus Pro und Anti
Dagens Nyheter, Stockholm
Das Urheberrecht:
»Und was bekomme ich?«
Schwedischer Regisseur Leiser
Arrest für »Mein Kampf«-Kasse