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SCHRIFTSTELLER Im Drüben fischen

Der österreichische Skurril-Phantast Fritz von Herzmanovsky-Orlando erscheint jetzt in einer wissenschaftlichen Ausgabe »Sämtlicher Werke« - und in einem neuen, trüben Licht. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Die Sterne schienen ihm geneigt. Einen »feinen, witzigen, schlagfertigen Geist« hatten sie ihm beschert, eine »freundliche, anmutige, etwas launische Frau«, sowie eine »verfeinerte, aber nicht raffinierte Sexualität«.

Vor allem aber, so das Horoskop weiter, verzehre ihn ein »brennender Durst nach höherem Wissen«, eine »leidenschaftliche Liebe für Esoterik und Ockultismus«. In Verbindung mit einem »religiös-mystischen Orden« werde er zu »großer Berühmtheit« gelangen und das Lebensende auf einen »berühmten Schloß« verbringen.

Im Mai 1954, im Alter von 77 Jahren, ist der österreichische Architekt, Schriftsteller und Maler Fritz von Herzmanovsky-Orlando gestorben - in einem Adelsnest, wie rund 30 Jahre zuvor prophezeit: auf Schloß Rametz in Südtirol. Von »großer Berühmtheit« konnte, zumindest damals, keine Rede sein.

Renommee zu Lebzeiten, wenn auch trauriges, errang hingegen der Mann, der seinem langjährigen, »treuergebenen« Freunde Herzmanovsky das Horoskop gestellt hatte. Er hieß sich Jörg Lanz von Liebenfels, war Gründer und Guru eines mystisch-rassistischen »Orden des Neuen Tempels« - und Adolf Hitlers ideologische Amme.

Lanz, ein entlaufener Zisterzienser-Mönch aus Wien, hatte am Weihnachtsmorgen 1907 die erste Hakenkreuzfahne aufgezogen; in seiner Zeitschrift »Ostara. Bücherei der Blonden und Mannesrechtler« (1905 bis 1931) hetzte er wider »Sodoms-Äfflinge« und »Minderrassige« ("Wir müssen sie dezimieren") und focht für »Reinzucht« von arischen Übermenschen, »Arioheroikern«. Geneigte Leser: Herzmanovsky und Hitler.

Muß eine Geschichte umgeschrieben werden - die Lebensgeschichte des liebenswerten Skurril-Phantasten, Sprach-Bizarristen, des Lordsiegelbewahrers altösterreichischer Kapuzinergruft-Grotesken und k.u.k. Hofburg-Trotteleien, kurz: des Fritz von Herzmanovsky-Orlando?

Der Edelmann aus begütertem Wiener Kanzlei-Adel war erst postum zu literarischen und malerischen Ehren gelangt; nur ein einziges Buch, die abgründige Schnurre »Der Gaulschreck im Rosennetz«, fand zu seinen Lebzeiten (1928) einen Verleger. Der riesige Rest - Romane, Komödien, Singspiele, Ballette, Pantomimen - blieb in der Erbmasse.

Die Entdeckung der austriakischen Kauz-Kolonie begann Ende der 50er Jahre. Der Wiener Literat Friedrich Torberg, ein Freund des Verblichenen, machte sich daran die Hinterlassenschaft für den Druck zurechtzufeilen und anarchischen Wildwuchs in usum Delphini zu stutzen. 1957 kam, in den Münchner Kammerspielen, erstmals eine Herzmanovsky-Komödie ans Rampenlicht, »Kaiser Joseph II. und die Bahnwärterstochter«, eine Alpen-Buffonerie; ab 1957 erschienen, bei Langen-Müller, die »Gesammelten Werke«.

Die Torberg-Ausgabe prägte das Bild des Dichter-Dandys Herzmanovsky - eines spielerischen Connaisseurs versunkener Zeiten, eines Virtuosen sprachlicher Mimikry und lässiger, monströser Boshaftigkeit; ein Nestroy für die gehobenen Stände.

»Tarockanien« hieß Torberg, als Parallelaktion zu Musils »Kakanien«, das Atlantis Herzmanowskys; beim Autor selber hieß es »Tarokei«, nach dem in Österreich hochgeschätzten Kartenspiel. In dem Land geht die Wonne nicht unter, wohl aber Verkehrsgerät:

Zum Beispiel können »bedeutende Schnellzugslinien, deren Expresse unter Pomp, Gestank und Donner von irgend einer Grenzstation abgelassen werden, _(Zum »Gaulschreck im Rosennetz«. )

im Innern dieses Landes nach kurzer Zeit spurlos versiegen, nachdem sie zuerst den Speisewagen durch irgendeinen geheimnisvollen Abschuppungsprozeß verloren haben«.

Ähnlich dem Expreß, verloren sich bislang auch die Lebensspuren Herzmanovskys im Ungewissen; eine Biographie liegt noch nicht vor. Erinnerungsskizzen lieber Freunde zeichnen einen leicht sonderbaren Elegant mit einer 14 Jahre jüngeren Frau, der sich frühzeitig, vermögend und kränkelnd, der Muße eines Privatiers hingab, die Welt und seine Herrensitze bereiste und seine Phantasmen in eine alte Schreibmaschine pochte, die er auf den Knien hielt.

Aus dem rosigen Nebel taucht Herzmanovsky jetzt auf. Denn der Salzburger Residenz Verlag startet ein, auf sechs Jahre und zehn Bände angelegtes, Mammut-Unternehmen - eine historisch-kritische Gesamtausgabe der mittlerweile von der Republik Österreich erworbenen Herzmanovsky-Materialien: Texte, Briefe und Dokumente.

Zwei Bände, vorzüglich und gründlich kommentiert, sind bereits erschienen: »Der Gaulschreck im Rosennetz« (mit Herzmanovskys satirischen Illustrationen) und der knapp 50 Jahre währende Briefwechsel mit seinem lebenslangen Maler-Freund Alfred Kubin. _(Fritz von Herzmanovsky-Orlando: »Der ) _("Gaulschreck im Rosennetz«. Sämtliche ) _(Werke Band I. Herausgegeben und ) _(kommentiert von Susanna ) _(Kirschl-Goldberg. Residenz Verlag; 244 ) _(Seiten; 42 Mark. »Der Briefwechsel mit ) _(Alfred Kubin. 1903 bis 1952«. Sämtliche ) _(Werke Band VII. Herausgegeben und ) _(kommentiert von Michael Klein. 488 ) _(Seiten; 69 Mark. )

Just die Korrespondenz mit dem gleichaltrigen Kubin liefert nun Indizien, daß der Grandseigneur der surrealen Feder und der aberwitzigen Kapriolen aus seinem Herzen gern eine Mördergrube und ein Spukschloß machte: Herzmanovsky gerierte sich als rassistischer und nationalistischer Eisenfresser und stak bis über beide Ohren im Blubbersumpf des Okkulten.

»Die uns umwohnenden Affenvölker wollen getreten und angespuckt werden«, dröhnt er im Kriegsjahr 1914; »Deutschland und wir werden das Weltenerbe antreten und sehr ungemütlich werden.« Man solle es »ausrotten«, das britische, amerikanische, französische, russische »Ungeziefer« und »Geschmeiß«, und gegen Kriegsende wettert er gegen »Völkerversöhnung« - damit nicht »diese widerwärtigen Bestienvölker unsere schönen Gegenden und Kulturstätten als Reisende heimsuchen«.

Die Tiraden des Lanz von Liebenfels schlagen deutlich durch, dem Dünkel wider den Pofel im eigenen Lande läßt er gleichfalls freien Lauf. In den zwanziger Jahren ortet er die »Sozis« als »Bestien«, überall sieht er »Verhätschelung des unnützen Kloakenfüllers« und steht »immer mehr zur letzten Forderung der arioheroiden Mystik (des Lanz): Ausrottung des Kötertums im Volke«.

Ähnlich deutschen Faschisto-Aristokraten, fand er aber am Exekutor des Gedankengutes keinen Gefallen: Hitler war ihm wohl zu piefig. In einem, noch nicht veröffentlichten, Szene-Fragment läßt er ihn als bekloppten Hilfsschüler auftreten, der nur eines werden will: »Dehr Firer des deittschen Folkes.« Auch Lanz von Liebenfels, der »Großvater des Dritten Reiches«, berichtete ihm eine Freundin 1932, sei »recht niedergeschlagen über den Wechselbalg seines Geistes«.

Als Zugkräfte ins Knieholz des Okkulten und Mystischen bewährten sich die Herzmanovsky-Gattin Carmen und der Maler-Freund Kubin, im Freundeskreis als »Pfaffe des Grauens« bekannt. Kubin versorgte ihn mit einschlägiger Literatur, vom Buddhismus über Kabbalistik bis zu den Okkultisten und »Kosmikern« seiner Zeit, und gelegentlich begrüßten sich die Freunde, wie Bhagwan-Jünger heute, mit »Swami« (Erleuchteter Herr).

Wenn Strukturen bröseln, Vernunft-Gebäude krachen, erhebt Magie ihr präpotentes Haupt - alle paar Jahrzehnte wieder. »Schwerste mystische Erlebnisse« teilen sich die Freunde mit, telepathische Wunderdinge, auch schätzt Herzmanovsky die »Art von Zeitdehnung«, die »Haschisch« hervorrufe.

Schließlich konzentrieren sich seine Spekulationen - »im Drüben fischen« nennt es Kubin - auf arioheroische Blutund-Boden-Mystik

nach Lanz-Art; und Licht in schwerer Zeit empfängt er aus den Prophezeiungen des alten Krauskopfs Nostradamus.

Mit seinem Chauvinismus, seinem schnösligen Antisemitismus krault der Mystifax Herzmanovsky gewiß in einem trüben Strom seiner Zeit. Nietzsches Kultur-Pessimismus schlug bei seinen Pygmäen-Jüngern um in Haß auf Demokratie und Wissenschaft, das Heil leuchtete in Irrationalismus und kosmischen Ekstasen.

Beim Buddeln in heidnischem Boden stieß Herzmanovsky auch auf die schöne alte Welt des Matriarchats, in der Praxis freilich labten sich die Freunde mit Chauvi-Scherzen. So schwärmte Kubin von einem »bildsauberen Ding« (Mädchen): »nur herrlicher Speck, keine Unze Seele«. Die »Italienerinnen« hinwieder sah Herzmanovsky als »Strafe Gottes«, ihretwegen wurde »die Homosexualität mühsam ersonnen«.

So eingedeckt mit Herzmanovskyschen Gedankensplittern und Weltbildern, gewinnt die Lektüre seiner Werke neue, trübe Dimensionen. Denn die Galerie seiner vertrottelten Grafen Bobby, seiner monströsen Weiber und debilen Pöbel-Fratzen ist nun auch unter seinem Aspekt der »arioheroiden Mystik« zu betrachten: »Ausrottung des Kötertums im Volke«.

In einem demnächst erscheinenden weiteren Band der »Sämtlichen Werke«, er entbirgt den Roman »Rout (Bordfest) am Fliegenden Holländer«, ist europäische Gesellschaft auf einer Narreninsel namens »Pomo« eingefallen. Zitat: »Das Volk zeigt in seinen nichtdeutschen Teilen einen manchmal nicht ganz erfreulichen Slawencharakter.« Doch die »germanische Hochkaste ist reich an originellen, ja, selbst recht sonderbaren Herren, die nicht recht in das plattfüßige Getrampel der modernen Schwerkultur passen wollen«.

Angesichts der »rapiden Ausbreitung der Makulaturrassen«, der »Halb- und Dreiviertelaffen«, unkt eine Zentralfigur des Romans, habe sich das »grandiose Wissen der germanischen Kultur« in »geheime Logen« geflüchtet, im »Volkswissen« verborgen.

Makulaturrassen und Halbaffen bringt gleichfalls eine Herzmanovsky-Komödie zu Gesicht, die am letzten Tage dieses Jahres im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt wird: die Wallenstein-Persiflage »Prinz Hamlet, der Osterhase oder ''Selawie''« (Regie Hans Hollmann). Vertrottelte Ungarn schnofeln da, tückische Tschechen und Wiener Bürgersleute aus dem Abnormitäten-Kabinett - »unnütze Kloakenfüller« oder austriakische Kapuzinergruft-Gespenster?

Hohen Sinnes sind auch Arioheroiker nicht immer. In dem Horoskop, das Lanz von Liebenfels stellte, verhieß er seinem Jünger und Ordensbruder Herzmanovsky »reiche Schätze aus dem Boden von Ruinen«, die in »Verbindung mit einem esoterischen Orden« da zu finden seien.

Weihevolle Tücke der Sternen-Botschaft: Lanz wollte den reichen Edelmann bewegen, die Burg-Ruine Boymunt bei Bozen für die Lanz-Knechte zu erwerben. Herzmanovsky, im Horoskop als »geschäftstüchtig« ausgewiesen, nahm den himmlichen Wink nicht an.

Zum »Gaulschreck im Rosennetz«.Fritz von Herzmanovsky-Orlando: »Der »Gaulschreck im Rosennetz«.Sämtliche Werke Band I. Herausgegeben und kommentiert von SusannaKirschl-Goldberg. Residenz Verlag; 244 Seiten; 42 Mark. »DerBriefwechsel mit Alfred Kubin. 1903 bis 1952«. Sämtliche Werke BandVII. Herausgegeben und kommentiert von Michael Klein. 488 Seiten; 69Mark.

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