Ausstellungen Im Feuer stochern
Schön ausgedacht, mit Raffinesse inszeniert: Weiße Seide flattert an Fahnenmasten, Ventilatoren halten den Stoff in unaufhörlicher Bewegung, Projektorlicht hebt ihn aus dem Dunkel des Raumes heraus. Ästhetik feiert Triumphe.
Auf den wehenden Tüchern aber flimmern, doppelt bewegt, laufende Bilder vorüber, darunter solche, die dem Betrachter aus neueren Fernsehsendungen noch beklemmend vertraut sind: ein kastenförmiges Bauwerk im Fadenkreuz, dann eine Explosion und schließlich nichts als Qualm. Der Golfkrieg ist bis in die Kunstgalerie gedrungen.
Auf der nächsten Flagge taucht in türkisfarbenem Glanz ein Gebilde wie eine gespaltene Moscheekuppel auf. Es besteht aus zwei aufragenden Hohlformen, die, Motiv im Motiv, wiederum das - plastisch stilisierte - Abbild einer Fahne umschließen. Davor posiert ein Mann mit orientalischen Zügen.
Das Videoband gehört zu der kargen Ausbeute, die der Künstler Ingo Günther 1988 von einer Irak-Reise heimgebracht hat. Unter den Augen einer allgegenwärtigen Zensur durfte er nicht einmal eine harmlose Bagdader Straßenszene spontan fotografieren; sogleich waren Aufpasser zur Stelle und rissen ihm den Film aus der Kamera.
Doch der Antrag, den irakischen Kollegen Ismail Fatah und dessen 40 Meter hohes Denkmal für die »Märtyrer« des Kriegs gegen den Iran aufnehmen zu dürfen, wurde problemlos genehmigt. Nach diesem Monsterwerk heißt Günthers aktuelle Inszenierung, die er bis zum 27. April dreimal wöchentlich in der Hamburger Galerie »Weißer Raum« zeigt: »Schahid«.
Dem Respekt Ismail Fatahs vor den Toten konnte der Entdeckungsreisende Günther nur beipflichten, und die (von japanischen Firmen ausgeführte) Mahnmal-Architektur fand er zumindest eindrucksvoll. Im musealen Souterrain allerdings traf er, befremdet, schon wieder auf den unvermeidlichen Landesherrscher, der ihm bereits massenhaft auf Plakatwänden am Straßenrand begegnet war: Hier nun, im »Schahid«-Untergeschoß, zeigte sich Saddam Hussein beim epochenübergreifenden, durch Fotomontage bewerkstelligten Händedruck mit dem Babylonierkönig Nebukadnezar.
Ins Land gekommen war Günther, Jahrgang 1957, auf Regierungseinladung zu einem Bagdader »Internationalen Kunst-Festival«, doch nicht als Teilnehmer, sondern als Berichterstatter mit ZDF-Auftrag. Eine Doppelrolle in Kunst und Journalismus ("Immer betrüge ich das eine mit dem anderen") entspricht seinem Selbstverständnis: Informationen lassen sich über Zeitungen und Fernsehsender vermitteln oder aber so effektvoll-sinnbildhaft einsetzen, wie Günther das 1987 bei der Kasseler Documenta erprobt hat. In einem dämmrigen Marmor-Raum, einer Art Kommandozentrale für einen militärischen Weltgeist, liefen da Satellitenbilder von Honduras und Afghanistan über die Tischplatte.
In Bagdad war Günther froh, jedenfalls nicht als Künstler in ein Festival eingebunden zu sein, das vom Informationsminister glatt zur gemeinschaftlichen Siegesfeier nach dem Iran-Krieg erklärt wurde. Er drehte sein »Schahid«-Video und konnte, dank der Verabredung mit einem zweiten Denkmal-Bauer, auch noch ins sonst kaum zugängliche Basra fliegen.
Er verspürte Angst, doch dank Festival-Namensschild an der Jacke sowie Saddam-Porträt im Portemonnaie blieb er unbehelligt und konnte die Soldaten-Stadt viel zwangloser durchstreifen als Bagdad. »Intensiv« empfand er ihre träge-friedliche Stimmung, kaum einer rechnete mit neugierigen Fremden. Günther sah sogar aus der Nähe manche Orientierungspunkte wieder, die ihm von weither längst bekannt waren.
Jahre zuvor nämlich hatte sich der Künstler-Rechercheur mit einem amerikanischen Partner zusammengetan, um - »unglaublich legal« - Computerdaten von Raumfahrtbehörden zu erwerben, sie zu bearbeiten und zu vermarkten. Ihn faszinierte die Idee, aus einer schier unendlichen Datenfülle noch nie Gesehenes herauszufischen und sichtbar zu machen.
Zu den erstaunlichsten Entdeckungen, die dabei anfielen, gehörte ein künstlicher See mit offenbar strategischer Funktion; die Iraker hatten ihn im Grenzgebiet bei Basra angelegt. Abnehmer für die News fanden sich vom US-Sender CBS bis zum Fachblatt New Scientist.
Ein »Rausch« überkam den Zauberlehrling, das Machtgefühl, er stochere in einem großen Feuer. Weltkonflikte schienen simulierbar wie beim Computerspiel.
Doch geheuer war das auf die Dauer nicht. Hatte, Anfang 1986, eine international ausgestrahlte Fernsehsendung mit Hinweisen auf libysche Raketenbasen gar die Konfliktbereitschaft bei Politikern geschürt und so das US-Bombardement gegen Gaddafi erleichtert? Auch war Günther »schockiert« darüber, wie leicht Satellitendaten in den Medien mißdeutet, wie rasch aus Verdachtsmomenten angebliche Beweise wurden. Hingegen: »In der Kunst kontrolliere ich auch die Präsentation.«
Ein Künstler mit Pinsel und Palette ist Günther nie gewesen. Mit Fotos statt Probezeichnungen hat er sich 1978 in die Düsseldorfer Akademie »gemogelt«. Im Geist seines zeitweiligen Lehrers Nam June Paik begann er, »Video-Skulpturen« zu bauen, wie sie jetzt im Hamburger »Weißen Raum« mitausgestellt sind: In einem Monitoren-Turm fahren Bilder auf und nieder, als wäre es ein Fahrstuhl ("Eleven waiters"); unter den Reifen eines Motorrads rollt, auf zwei Bildschirmen, rasant die Straße dahin ("Ceterum censeo").
Aber das Medium selber soll nicht die Botschaft sein. Günther möchte die ganze Welt im Blick behalten - etwa mit einer bunten, raumfüllenden Globus-Plantage ("World Processor"), die, wechselnd von Exemplar zu Exemplar, unter anderem Schuldenberge, Militäretats und Flüchtlingsströme anzeigt. Jeder dieser handlichen Erdbälle könnte einem Großen Diktator als Spielball dienen.
Auch um die Projektion des »Schahid«-Denkmals hat Günther so etwas wie eine Welt-Vision entworfen - ein Design, an dem er noch weitertüftelt. Das Thema war ihm schon Anfang Dezember so unausweichlich klar gewesen, daß er als Kölner Hochschullehrer ein Seminar »Der Golfkrieg und die Medien« ansetzte. Er nähert sich ihm kühl, weil »an Moralpredigern kein Mangel« herrscht, und er nimmt es in Kauf, daß in der eindrucksvollen Galerie-Installation die bedeutungsschweren Bilder von den Ventilatoren beinahe »rausgeblasen« werden.
Trotzdem sind sie da, auf das Status-Symbol Flagge projiziert und verschiedenen Schicksalsgruppen gewidmet wie eben den Märtyrern, wie den Flüchtlingen (mit Lager-Aufnahmen aus Burma) und den Deserteuren, für die vorerst, mangels eines besseren Günther-Einfalls, nur Jahreszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg aufleuchten. Der Krieg aber, in der Bombardierung des Baath-Zentrums von Bagdad veranschaulicht, steht für die ganze Welt. Günther sieht auch in ihm eine - wenngleich makabre - Kommunikation, die es in andere Medien zu überführen gelte.
Der Video-Mann als Weltlenker? Für ein ironisch gestelltes Foto hat sich Günther einmal bei der Uno in New York, wo er als Taz-Korrespondent ackreditiert ist, ans Rednerpult begeben. Der Saal allerdings war leer.
Jürgen Hohmeyer