FILM Im Reich des Bösen
Das Reich des Bösen ist überall. Es hat sich Zutritt zu den Schlafzimmern verschafft, es terrorisiert die Wohnzimmer, morgens liegt es schwarz auf weiß vor der Haustür, es flimmert bunt in Schaufenstern und bedudelt Autofahrer auf dem Weg von irgendwo nach irgendwo. Weil es Eindeutigkeit und Klarheit zu schaffen scheint, wo Mehrdeutigkeit und Verworrenheit herrschen, ist es unentbehrlich geworden, und weil es allgegenwärtig ist, wurde es auch unbesiegbar.
Das Reich des Bösen, das sind die Medien, und der Teufel, der dort regiert, ist der Medienmogul. Da es keine objektive Wahrheit gibt, folgert er zynisch, hat er das Recht, seine subjektive Wahrheit zu schaffen. Und er hat die Macht, sie zu verbreiten. Am Ende des Jahrtausends beherrscht nicht die Erde, wer die Atomwaffen kontrolliert, sondern derjenige, der die Gewalt über die Informationen hat.
Noch gibt es auf dieser Welt mehrere Medienmächtige, die um Einschaltquoten und Auflagenzahlen konkurrieren und sich dabei gegenseitig beaufsichtigen: Ted Turner, Rupert Murdoch oder gesichtslose Konzerne wie Time Warner oder Bertelsmann. Aber in der Nebenwirklichkeit des Kinos, da gibt es den einen, der die anderen degradiert hat: Elliot Carver. Seinem Media Network gehören Tageszeitungen, Radiosender, Fernsehstationen. Seine Konkurrenz ist nur noch ein schlechter Witz. Er hat geschafft, was Ronald Reagan immer verhindern wollte. Carvers Reich des Bösen hat mit Nachrichtensatelliten das All besetzt. Von hier aus will er die Welt erobern.
Daran kann ihn nur einer hindern, der auch unbesiegbar ist, und das ist James Bond. Er hat Schurken aus der Sowjetunion vernichtet und ist mit international arbeitenden Terroristen fertiggeworden; im 18. Bond-Film, der nächste Woche in die Kinos kommt, muß er gegen den Feind im eigenen demokratischen Mediensystem antreten. Denn Carver ist nicht damit zufrieden, Informationen zu sammeln, zu kommentieren und zu verkaufen. Er will Ereignisse schaffen, um anschließend als erster über sie berichten zu können, mit exklusiven Bildern natürlich. »There is no news like bad news«, sagt er, und die schlechteste, also die beste Nachricht ist ein Krieg.
Carvers Vorbild, das er schneidend böse zitiert, ist der amerikanische Zeitungskönig William Randolph Hearst. »Du lieferst die Bilder, und ich liefere den Krieg«, hatte dieser 1898 seinem Korrespondenten auf Kuba gekabelt. Mit Hetzartikeln brachte Hearst im Spanisch-Amerikanischen Krieg das Volk in Stimmung und steigerte die Auflage.
Doch Carver hat ein ehrgeizigeres Ziel. Er will keinen Krieg anheizen, sondern gleich selbst den Dritten Weltkrieg entfachen, zwischen England und China, dem Westen und dem Rest-Kommunismus. Mit Hilfe eines umprogrammierten Satelliten täuscht er ein britisches Kriegsschiff über seine Position im Südchinesischen Meer. Als chinesische Kampfjets im Aufklärungsflug über das Schiff hinwegsausen, schickt er von seinem Geheimboot aus eine Art Torpedo los, das sich durch die Fregatte nagt und sie versenkt.
Natürlich halten die britischen Militärs die Chinesen für die Schuldigen und schicken gleich ihre Flotte auf Kurs nach Asien. Doch Bonds Vorgesetzte, die kluge M, wird mißtrauisch, als Carvers Zeitungen über erschossene britische Seeleute berichten, noch bevor deren Leichen überhaupt gefunden wurden. Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben: Carver hat nun James Bond am Hals.
»Es ist Zeit zu sterben, Mr. Bond«, hatte der britische »Daily Telegraph« gemahnt, bevor 1995 »Goldeneye« in den Kinos anlief, erstmals mit dem Iren Pierce Brosnan in der Hauptrolle. Der Kalte Krieg war längst vorbei, die alten Feinde unter ihren Persianermützen waren lächerlich geworden, der britische Geheimagent schien keine Mission mehr zu haben. Die russische Mafia, mittlerweile auf allen Kontinenten so aktiv wie berüchtigt, diente in »Goldeneye« als fiesester Nachfolger eines untergegangenen Systems, was mehr eine Notlösung war als ein Schritt in die Zukunft. Trotzdem spielte die Produktion 370 Millionen Dollar ein und wurde eine der erfolgreichsten Bond-Episoden aller Zeiten.
Dabei gibt es auf dieser Welt Gegner genug, die James Bond unschädlich machen könnte, etwa Saddam Hussein und die islamischen Fundamentalisten. Aber vielleicht machen sie den Bond-Produzenten und dem Kinopublikum mehr Angst, als diese ertragen können.
Natürlich wären auch die Chinesen noch passable Bösewichte, aber in »Der Morgen stirbt nie« sind sie plötzlich die Guten. Was am Ende nicht überrascht, denn nicht nur der Filmschurke Carver möchte diesen gigantischen Markt erobern, sondern auch Hollywood. Da ist es wenig opportun, die Kommunisten schlecht wegkommen zu lassen: Disney mußte Henry Kissinger als Beschwichtiger anheuern, nachdem das Studio mit dem Anti-China-Film »Kundun« die Machthaber in Peking verärgert hatte. Die Projekte für Disney-Parks in dem Land liegen erst mal auf Eis.
Die Medienmacht wirkt daneben harmloser, auch für das Publikum, schließlich kann jeder den Ausknopf drücken und die Zeitung ungelesen ins Altpapier werfen. »Ich glaube sowieso nicht, was ich in der Zeitung lese«, sagt James Bond in »Der Morgen stirbt nie«, und vermutlich denkt das Publikum genauso. Das allerdings ist naiv: Die Menschen erleben die Gegenwartsgeschichte durch die Medien, sie sind ihnen insofern ausgeliefert. Die Welt glaubte den Bildern, die ihnen die Nachrichtensender 1991 vom Golfkrieg ins Haus schickten; sie glaubte, daß die sogenannten intelligenten Bomben in Bagdad nur strategische Ziele trafen und keine Zivilisten töteten. Erst Wochen später wurde klar, daß die Medien von den amerikanischen Militärs getäuscht worden waren.
Es ist also doch noch nicht Zeit zu sterben, Mr. Bond, die neunziger Jahre haben ihre zeittypischen Schurken. Der Medienzar Carver (grandios perfide gespielt vom Shakespeare-Darsteller Jonathan Pryce) ist als neuer Citizen Kane eine hochaktuelle Symbolfigur - global denkend und vor allem global handelnd. Auch Bond geht mit der Zeit, trägt italienische Anzüge von Brioni statt aus der Londoner Savile Row, er fährt seinen Aston Martin nur als nostalgische Erinnerung und bevorzugt ansonsten einen BMW (der, Glück für die deutsche Autoindustrie, den Elchtest im Parkhaus besteht), er hat ein schwedisches Handy mit allerlei Schnickschnack und macht auch sonst die übelsten Moden dieses Jahrzehnts mit.
So hat sich Brosnan vorgenommen, politisch korrekter zu sein als seine Vorgänger Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore und Timothy Dalton: »Ich will, daß auch meine Kinder den Film sehen können.« Schon in seiner ersten Szene schlägt er einen Raucher k. o., und später gesteht er Carvers Frau Paris, sie geliebt zu haben, vielleicht sogar immer noch zu lieben. Früher ging es Bond immer nur um Sex - Unmoral ist ja auch unterhaltsamer.
»Ich wollte Würde und Realität in die Figur bringen, aber dabei weder die Ironie vergessen noch die Tatsache, daß Bond ein Killer ist«, sagt Brosnan. »Mein James Bond hat keinen Spaß am Töten, es macht ihm zu schaffen.« Sensibel und, wenn es darauf ankommt, trotzdem hart und männlich - so sieht das Klischee des Neunziger-Jahre-Mannes aus. Die Ironie hat Brosnan zwischendurch dann doch vergessen. Im schlimmsten Fall werden nun ein paar Medienopfer im Kinosaal glauben, daß es solche einfühlsamen Helden wirklich gibt.
Brosnans Bond schießt seinen Gegnern mit verkniffener Miene in den Kopf, als gutes Vorbild für die Kinder sozusagen. Natürlich ist »Der Morgen stirbt nie« trotz aller Korrektheit ein spannender Film über das Töten: An ausgefallenen Orten (einem der höchsten Flugplätze Europas) werden ausgefallene Tode gestorben - ein aus dem Schleudersitz katapultierter Kopilot bringt als raketenartiges Geschoß einen Düsenjäger zur Explosion. Regisseur Roger Spottiswoode hat mit noch mehr Explosionen, noch mehr hochmodernem Kriegsgerät den Film zur bisher teuersten Episode gemacht: Die Produktionskosten liegen bei 110 Millionen Dollar.
Das macht aber nichts, denn James-Bond-Filme haben immer ein Happy-End: Das Geld wird mehrfach eingespielt, der Gegner ist vernichtet - bis zur nächsten Folge jedenfalls. Carver habe sich das Leben genommen, wird Bond-Chefin M (Dame Judi Dench) in einer Presseerklärung verkünden, obwohl in Wahrheit Bond ihn ziemlich grausam erledigt hat. Doch damit hat alles seine gewohnte Ordnung: Die Öffentlichkeit wird wieder von der Regierung belogen.
Die größte Lüge allerdings hat Hollywood verbreitet: daß Pierce Brosnan kein lausiger Schauspieler ist, sondern ein Actionheld mit Sex-Appeal. Vielleicht schafft der neue Bond-Film so viel Aufklärung über die Manipulation der Medien, daß er auch diese Lüge aufdeckt. Dann hätte James Bond seine Mission wirklich erfüllt.