Zur Ausgabe
Artikel 64 / 81

KARIKATURISTEN Immer ein Schweindl

Mit vulgären Komik-Cartoons hat der Wiener Manfred Deix Österreich in die Gosse gestoßen. Nun erscheint sein Sex & Crime-Werk gesammelt auch in Deutschland. *
Von Peter Stolle
aus DER SPIEGEL 47/1985

Er war schon auf der Volksschule, als Knirps von sieben Jahren, ein angesehener »Geilist«.

Emsig zeichnete der Lotterbub »nakerte Frauen«, die seine Mitschüler so nachhaltig animierten, daß sie 50 Groschen pro Blatt bezahlten, für Weibsbilder mit »besonders großen Dutteln« sogar einen Schilling.

Der Handel mit der Gebrauchsgraphik florierte prachtvoll, bis Mutter Johanna in der Hose des Zwerg-Pornographen eine Nackerte entdeckte. Der Knabe mußte, zur »seelischen Genesung«, ein Gebet sprechen und der Unmoral abschwören. Doch das öffentliche Gelöbnis fruchtete nichts; der Dämon Sex hat die arme Seele noch immer fest im Griff.

Lustvoll und unbeirrt durchstreift der Künstler die erogenen Zonen, malt schwellende Dutteln, männliche »Zumpferln«, Obszönes en masse. Und auch das schaurige Bild, das dies notorische Schweindl von seinen Landsleuten entwirft, stärkt den Verdacht, daß Austria eine Natter am Busen nährt.

Boshafte, bornierte Bauernvisagen kommen da ans Licht, spitzbäuchige, plumpe und potthäßliche Spießer, dumpfe Provinztrottel, schweinsäugige Kretins und sabbernde Sex-Fetischisten, dickschenkelige Weiber in Straps und Reizwäsche, mordlustige Kinder und versoffene Stammtisch-Brüder - aber bei Manfred Deix, 36, dem Wiener Cartoonisten, Satiriker und Karikaturisten, sind all diese Ungeheuer so komisch, daß die Österreicher die Schandfeder, im Laufe der Jahre, richtig liebgewonnen haben.

Alt-Kanzler Bruno Kreisky schwärmt für den Cartoonisten, weil er »die Leute so häßlich macht, daß viele von ihnen sich mit ihrer Häßlichkeit versöhnen«. Regierungschef Sinowatz, den Deix gern als gurkennäsigen Alpen-Rambo porträtiert, schätzt »Drastik« und den »starken Ausdruck« der Deix-Satiren.

Seit Ende der 70er Jahre hängt Österreich gebannt an seinem Pinsel. Das Nachrichtenmagazin »Profil« hat ihn mit regelmäßigen Veröffentlichungen populär gemacht. Er hat Werbung gezeichnet, zwei Cartoon-Bände sind erfolgreich im Handel. Diesseits der Alpen ist er nahezu unbeachtet geblieben. Erst nach hartnäckigen Hinweisen auf die »mitreißende Geschmacklosigkeit« dieser

»wunderschönen Cartoons« folgte die satirische »Titanic« ihrem Humorkritiker Robert Gernhardt und druckte Deix-Beiträge.

Ein anderer prominenter Deix-Narr aus der Frankfurter Zeichen-Szene, Hans Traxler, will dem begnadeten Geilisten nun in Deutschland zum Durchbruch verhelfen. »Deix - Satiren aus Wien«, heißt der Farb-Band, den Traxler herausgibt und der jetzt für 33 Mark von Zweitausendeins verkauft wird.

Schräg und vulgär ist auch hier der Deixsche Witz. Da haust einer, höchst vergnüglich und wie die Axt im Walde, im Unterholz der Vorurteile und Medien-Klischees, ein Sittenstrolch, der Gott und die Welt veräppelt, Emanzipation und Ausländerhaß, den österreichischen Waffenhandel und die burgenländischen Weinskandale, die Pfaffen und den Papst.

Den Heiligen Vater hat er blasphemisch gezeichnet, wie er - vor der Südamerika-Reise - mit allerlei grotesken Verrenkungen den obligatorischen Boden-Kuß übt. Zum Thema künstliche Befruchtung zeigt er den ambulanten »Samenspender Sigismund« bei der Arbeit: Sperma »handgerüttelt, täglich frisch«.

Deix hat die Menschheit vor der Geißel Aids gewarnt, vor Gefahren im Analbereich und zur perfekten Prophylaxe ein »Ganzkörper-Präservativ« empfohlen. Und die deutsche Bundeswehr hat er, ausgerechnet in ihrem 30. Jubeljahr, so gemein dargestellt, als sei Wörners Secret Service vom Kölner Tom-Tom zum Manöver ausgerückt. Auch der Ost-Überläufer Tiedge ist seinem bösen Blick nicht entgangen - als volltrunkener Penner mit offener Hose bewirbt er sich, neben Fixern und Zockern, beim Verfassungsschutz.

Deix karikiert das mediale Bild vom ungehobelten Tundra-Russen ("Kultura nix gut! Frau vergewaltigen serr gut!!"), das nun mit dem Auftritt der weltläufigen Gorbatschows so beklagenswert aus den Fugen geraten ist. Und er zeigt, zur Erklärung des sowjetischen Alkoholismus, ein halbnacktes, unglaublich verunstaltetes Ehepaar, das wegen der »Versorgungsengpässe bei phantasievoller Unterwäsche« zur Flasche greift. Dem Säufer hängt, Deix kann es nicht lassen, eine traurige »Nudel« aus der Unterhose.

Dieses humoristische Horror-Kabinett ist keineswegs die Ausgeburt eines entfesselten Stadtneurotikers. Deix ist ein Mann von eher bürgerlichem Habitus, friedfertig und »sexuell kerngesund«, ein keuscher Lebemann mit bacchantischem Naturell, politisch linksliberal. Seit 18 Jahren ist er mit einer schönen, schwarzgelockten Marietta glücklich, letztes Jahr hat er sie in Las Vegas geheiratet. Behaglich lebt das Liebespaar in einer Villa im Stadtteil Hütteldorf, am Rande des Wienerwalds. Dort bearbeitet und erfindet er sein krudes Eroticon, seine »gezeichneten Erfrischungen«.

Maximal 15 Stunden sitzt Deix an einem Blatt, für das er knapp 3000 Mark kassiert. Akribisch zeichnet er mit dem Bleistift vor, die Skizze wird mit Farbe ausgepinselt. Die Aquarelle schmückt der wüste Wald-Kauz liebevoll mit vielen putzigen Details; Deix legt Wert auf »kleine gourmethafte Nebenhandlungen«, der Betrachter soll sich »berauschen an einer schönen Zeichnung«. Frau Marietta umhegt derweil die 19 Katzen, die durch das Künstlerheim

schnurren. Sie hat, sagt Deix machoverdächtig, auch »dafür zu sorgen, daß ich meinen Job gut machen kann«. Aus seiner Neigung für Wohlstand und solide Finanzen macht er kein Hehl, lebhaft noch ist die Erinnerung an materielle Leidenszeiten.

Denn Deix hat sie lange und gründlich studiert, die Physiognomien der Armen, der sozial Deklassierten, die »mit ihrer Misere leben und die dann in die Scheiße fallen«. Die Großen, die Opernball-Society, haben ihn nie interessiert. Die »österreichische Seele« hat er in der dörflichen Provinz kennengelernt, in den Wiener Arbeiterbezirken, da »wo die Leut' sich in die Goschn' haun«. Davon zehrt der Karikaturist noch heute, »mein Archiv ist mein Kopf«.

Im niederösterreichischen Flecken Böheimkirchen ist er aufgewachsen, als »Schankbursch« im Landbeisl seines kriegsinvaliden Vaters, im »Gasthaus zur Blauen Weintraube«, unter prügelnden Landarbeitern und vierschrötigen Bauern. Mitte der sechziger Jahre zog er nach Wien, erst auf die Gebrauchsgraphikerschule, dann - »völlig erfolglos« - auf die Kunstakademie.

In zerrissenen T-Shirts streifte der Bettelstudent durch die Kneipen, verdiente sich mit Karikaturen von Gästen ein Gulasch oder ein Viertel Wein. Die abstrakte Hochkunst, die man ihm einbleuen wollte, empfand er als »Scheiße«. Viel lieber vertiefte sich der Bohemien in die vulgären Sex-Comics des US-Cartoonisten Robert Crumb, in die satirische Welt der »Pardon«-Master Traxler, Waechter und Co. und machte sich schließlich, mit der Einsicht »Ich bin in der Karikatur, im Bösen zu Haus« erleichtert aus dem Akademiestaub.

Als er dann im »Profil« auftauchte, brach sofort ein Leseraufstand aus. Das Blatt verkomme zum »Pornomagazin«, Deix sei eine »Kulturschande«. Abonnements wurden gekündigt, Anzeigen storniert, anonyme Anrufer stießen furchtbare Verwünschungen aus. Es war in der Tat ein »bombiges Feedback«.

Aber mit den Jahren kamen die »beschissenen Puritaner« zur Ruhe, die waidwunden Bildungsbürger resignierten, die - wie Deix meint - im österreichischen Wesen verankerte Lust am Fäkalhumor triumphierte, und der k.u.k-Crumb wurde plötzlich als »lustiges Ferkel« salonfähig. Nicht zu Unrecht wohl hält Manfred Deix sich ein wenig zugute, als Tabuknacker an der Liberalisierung des Alpenlandes mitgewirkt zu haben. Und dieses segensreiche Werk will der Aquarellist konsequent fortführen.

»Ich gelobe dem Herrgott«, feixt Deix, »daß ich weiterhin Ärsche, die Dutteln und die Zumpferln zeichnen werde.« Marietta blickt dabei zärtlich dem Gatten ins Auge und seufzt: »Ja, Schatzi, wirst immer a Schweindl bleiben.«

Peter Stolle

Zur Ausgabe
Artikel 64 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten