Zur Ausgabe
Artikel 66 / 96

THEATER SÜDAFRIKA In der Wüste

aus DER SPIEGEL 44/1970

Der Frau, die über die Bühne kriecht, sind die Hände abgehackt; aus den Stümpfen tropft Blut. Papp-Leichen, an Kreuzen aufgehängt, zeigen schreckliche Grimassen. Und wenn dann auch noch, zwischen dröhnenden Popmusik-Einlagen, ein Mann mit medizinischer Akkuratesse gevierteilt wird, suchen verstörte Zuschauer bleich den Ausgang.

»Das Publikum«, so freut sich der deutsche Regisseur Peter Kleinschmidt, »reagiert hier ausgezeichnet auf Reizungen.« Es reagiert im Hofmeyer-Theater im südafrikanischen Kapstadt auf eine Inszenierung des Shakespeare-Frühwerks »Titus Andronicus«, die Kleinschmidts Landsmann und Kollege Dieter Reible mit einheimischen Schauspielern erarbeitet hat.

Die beiden Deutschen, die in der Bundesrepublik mit eigenwilligen Aufführungen hervorgetreten, mit ihren Plänen für eine Theaterreform aber nicht recht vorangekommen sind, stehen daheim im Ruf aufrechter Linker. Um einen neuen Wirkungskreis zu erobern, reisten sie nun -- zum Mißvergnügen vieler Freunde -- in die politisch diskreditierte Republik am Kap, ließen sich von einem staatlich subventionierten, nur für Weiße offenen Theater engagieren und akzeptierten den niederländischen Dialekt Afrikaans, den Südafrikas Nationalisten dem Englischen vorziehen, als Bühnensprache.

Reible studierte den »Titus« ein, Kleinschmidt brachte die Farce »August August, August« des Tschechen Pavel Kohout nach Kapstadt und will dort im November auch noch Ionescos »Stühle« auf die Bretter stellen.

Das sind Vorstöße in eine »intellektuelle Wüste« (so die Johannesburger »Sunday Times"), denn von der absurden Rassenpolitik der Regierung Vorster ist das südafrikanische Theater, auf dem Weiße und Schwarze nie gemeinsam auftreten dürfen und jede Rassengruppe nur mit einer Ausnahmegenehmigung für die andere spielen darf, besonders hart betroffen: Weil viele Autoren darunter John Osborne, Edward Albee und Peter Weiss -ihre Werke für das verhaßte Land der Apartheid gesperrt haben, sind die Südafrikaner von der Entwicklung des aktuellen Theaters abgeschnitten. Die wenigen dennoch importierten Stücke werden oft von einer kleinlichen Zensurbehörde zerstückelt und verfälscht.

Einheimische Schriftsteller haben unter Ämterwillkür zu leiden 50 der bekannteste englischsprachige Stückeschreiber in Südafrika, Athol Fugard. dem kürzlich ohne Kommentar der Paß verweigert wurde, als er zur Aufführung eines seiner Werke nach New York fliegen wollte.

Fugards afrikaans schreibender Zunftgenosse Breyten Breytenbach hingegen hat sich längst nach Paris abgesetzt; er ist mit einer Vietnamesin verheiratet (eine in Südafrika ungültige Ehe) und weigerte sich beispielsweise, in Kapstadt einen Literaturpreis entgegenzunehmen. da er seine Frau nicht mitbringen könne. Statt dessen erklärte er unlängst, er wolle sich daheim als Mischung registrieren lassen.

Breytenbach hat auch die Shakespeare-Übersetzung angefertigt, mit der Reible in Kapstadt die ärgsten Schwierigkeiten umgehen konnte: der Regisseur brauchte sich um keine Aufführungsrechte zu kümmern, und gegen den Klassiker hatten die staatlichen Kontrolleure, die den Proben beiwohnten, nicht viel einzuwenden -- nur die Andeutung einer ursprünglich geplanten Beischlafszene mußte ausfallen.

Wohl aus Abneigung gegen den Übersetzer blieben die eingeladenen Kapstädter Prominenten der »Titus'-Premiere sämtlich fern, die Kritiker jedoch lobten die Horror-Inszenierung hoch ("The Cape Times": »Südafrika erlebte die Geburt eines neuen Theaters"); sie hatten »beängstigende Parallelen zu den Problemen unseres Landes« ("The Cape Argus") entdeckt

Diese Bezüge hatte Reible deutlich genug herausgearbeitet -- mit den modernen Uniformen beispielsweise. die er den brutalen Legionären des Römerstücks anlegte, oder mit einer Mohrengestalt. die er -- durch Gassius-Clay-Look -- als Black-Power-Symbol ausstaffierte. Mit gutem Grund mutmaßte Theaterdirektor Pieter Fourie Die Zuschauer werden die message kriegen.«

Zum modernen Aufführungsstil will nun Peter Kleinschmidt, der in den vergangenen Jahren in Südafrika bereits für Schwarze inszeniert hatte, sie dann aber lieber zur Gründung eigener Spielgruppen anregte ("Für die kann man nicht dasselbe Theater wie in Europa machen"), auch fortschrittliche Arbeitsmethoden an das Kapstädter Theater bringen.

Bei der Einstudierung der Stühle. so hat sich der Deutsche vorgenommen, sollen Ensemble und technisches Personal selbst über Rollenverteilung, Bühnenbild und Inszenierung bestimmen. Vorerst freilich finden, laut Kleinschmidt, die Betroffenen das nur »recht lustig«.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 66 / 96
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren