INDIANER AUCH
In aller Stille und von der Umwelt kaum bemerkt, verschied am 20. Juli dieses Jahres unser unvergeßlicher Oswalt Kaue für die Leser der »Neuen Revue«. Sein Testament hieß: »Die sexuelle Pause des Mannes«. Kolles Vermächtnis für häufig vom heimischen Bett abwesende Ehemänner: Wenn einer eine Reise tut, dann soll er masturbieren, denn: »Er wird Kraft und Phantasie seiner Frau von der Reise mitbringen.«
Dieses war Kolles letztes Wort, dann schickte ihn »Neue Revue«-Chef Horst Ebert auf die große Reise. War es ein unerforschlicher Ratschluß, der Kolle von seiner großen Gemeinde abberief? Das doch nicht. Denn Chefredakteur Ebert hat zwar einen Redaktions-Computer, aber er ist gewiß kein Gott. Kolles sorgfältig dosiertes Dahinscheiden -- Ende 1968 schrieb er noch vier »Neue Revue«-Seiten voll, dann drei, dann zwei und zuletzt nur noch eine -- hatte erforschliche Gründe. »Neue Revue« ist unter den vier großen Illustrierten die zweitgrößte, bekommt aber die wenigsten Anzeigen. Vielen Inserenten
mußte es genierlich sein, ihre unschuldigen Produkte neben Kolles Genitalbeschreibungen auszubreiten. Vielleicht fürchteten sie auch, »Neue Revue«-Leser würden nichts anderes konsumieren, solange sie sich nach Kolle-Anweisungen gegenseitig konsumierten.
Deshalb mußte Kolle langsam sterben. Deshalb mußten die Leser zu brauchbaren Mitgliedern unserer Konsumgesellschaft erzogen werden. Nach dem Vorbild des »Stern« erschienen auch in der »Neuen Revue« Sonderseiten -- »Journal« benannt -- » auf denen Redaktion und Anzeigenabteilung eine glückliche Symbiose eingingen. Wer dabei oder aus anderen Gründen Kopfschmerzen bekam, dem empfahl das »Kosmetik-Journal«, über Schläfen und Stirn »mit einem Frische-Tüchlein« zu wischen, und richtig, einige Seiten weiter gab es eine Anzeige mit einem »Gutschein für ein Gratis-Frischetuch Pilot«.
Im »Tabak-Journal« macht eine Anzeige auf »Rillos« aufmerksam, »Deutschlands und Europas meistgerauchtes Mundstück-Cigarillo«, und siehe, auf der nächsten Seite entdeckte die von Anzeigen völlig unabhängige Redaktion: »Auch für Damen elegant: Mit Mundstück sind Zigarillos für sie und ihn sehr anziehend, leicht, aromareich.« Ja, die Redaktion vermochte sogar »Häuptling Rauchender Berg« vom Stamm der Schwarzfußindianer« im Bild zu zeigen, wie er »genießerisch eine Mundstuckzigarre raucht«. Denn -- das hat »Neue Revue« recherchiert: »Auch Indianern schmecken deutsche Zigarren.«
So werden endlich aus nutzlosen Kolle-Lesern wackere Konsumenten. Das »Haarkosmetik-Journal« sorgt sich um den Charakter der »Neue Revue«-Leser: »Pflegen Sie Ihren Kopf. Er läßt Schlüsse auf ihren Charakter zu. Meistens stimmen sie.« Daß man zu dieser Charakterpflege »Riar-Haarspray« und »Sulfoderm« braucht, verkünden Anzeigen ebenso wie die findigen Redakteure.
Doch die konsumbewußte neue »Neue Revue« will ihre einst auf den Unterleib konzentrierten Leser endlich auch zum Denken anregen: »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie alles, was Sie für die Pflege Ihres Haares tun könnten, auch wirklich tun?« fragt das »Haarkosmetik-Journal«. Oder: »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie auch wirklich alles tun, um sich den Aufenthalt im Bett so angenehm wie möglich
zu machen?« fragt das Betten-Journal. Leute, die beim Lesen der »Neuen Revue« denken, sollen mit solchen Fragen angeregt werden, einen »Verbraucher-Test« auszufüllen ("Das macht Spaß ...") und an die »Neue Revue« einzuschicken.
Hier unterscheiden sich die »Journale« der »Neuen Revue« von denen des »Stern«. Redaktionelle Schleichwerbung verüben beide. »Neue Revue« aber verlangt von ihren Lesern darüber hinaus Dienstleistungen, damit die Anzeigen-Kunden bedient werden können.
Der Leser soll ausführliche Fragebogen ausfüllen, in denen er beispielsweise anzugeben hat, welchen Käse (Speisequark, Frischkäse, Schmelzkäse, Camembert« Schnittkäse, französische Spezialitäten) er wie konsumiert. 9000 bis 20 000 Leser schicken diese »Verbrauchertests« regelmäßig ein, und das Ergebnis wird auch interessierten Firmen zur Verfügung gestellt.
Entschieden »nein« sagt allerdings Ebert auf die Frage, ob die Verbrauchertests den Leser darauf aufmerksam machen sollen, was ihm eigentlich noch alles fehlt, ob sie also den Konsum anregen sollen. Doch da hat Ebert sein Blatt wohl schlecht gelesen. Vor dem »Verbrauchertest« für das »Wohn-Journal« heißt es: »Leisten Sie sich ein teures Stück ... Das Geld ... sollten Sie nie scheuen.«