Wirbel um Instagram-Post Und Nena sprach, es werde Licht

Sängerin Nena 2019 bei einem Auftritt in Frankfurt am Main: "Positiver Wandel"
Foto:Andreas Arnold / dpa
Eine Gabriele Susanne Kerner aus Hagen hat auf Instagram etwas geschrieben, aus dem wir viel über den Irrsinn lernen können – unseren eigenen. Besser bekannt ist Frau Kerner, 60, als Nena. Leute mögen Nena. Deshalb ist ihre gestrige Botschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr als 120.000 Mal aufgerufen worden.
Ihre Worte gelten einer interessierten Öffentlichkeit nun als Beweis dafür, dass nach einem Tänzer, einem Schnulzensänger, einem Koch und einer weiteren Knalltüte, egal, nun also die Sängerin ins Kaninchenloch der Coronaleugner gefallen ist.
Diese interessierte Öffentlichkeit steht ebenfalls unter Stress, ihre Sprungbereitschaft ist enorm, kein Stöckchen ist ihr zu niedrig. Und die Mistgabeln sind schnell zur Hand. Nachdem "der" Wendler auf Grundlage eines Telefonats mit Attila Hildmann der Bundesregierung und verschiedenen Medien "schwere Vorwürfe" gemacht hat, war tatsächlich die freudige Erwartung groß. Wer dreht als Nächster durch? Über Til Schweiger hätten sich viele gefreut, aber Nena kommt ihnen auch recht.
Dabei hat Nena keineswegs, wie es allenthalben heißt, einen kryptischen Beitrag abgesetzt. Es handelt sich recht eindeutig um eine religiös motivierte Botschaft an ihre Fans. Mit Spiritualität kommen wir agnostischen Laizisten aus guten Gründen nicht mehr klar. Was uns nicht davon entbindet, den Text von Nena, wie alle religiösen Texte, einer gründlichen Exegese zu unterziehen.
Die Schrift hebt an mit dem Satz: "Ich habe meinen tiefen Glauben an Gott. Daher kommt mein Vertrauen ins Leben". Das ist ein schlichtes Glaubensbekenntnis und nicht in Abrede zu stellen. Soll's geben und ist zu respektieren. Tatsächlich ist Nena ein spiritueller Mensch, was auch immer man darunter verstehen darf, in ihrem Fall vermutlich einen maßgeschneiderten Synkretismus.
Erstens verlor Nena 1989 ihr erstgeborenes Kind, einen Sohn. Er wurde kein Jahr alt. Es gibt Menschen, die sich aus geringerem Anlass auf die Suche nach Antworten auf letzte Fragen machen. Zweitens war Nena in den Achtzigerjahren die Königin der Welt. Allein von "99 Luftballons" sind bis heute 25 Millionen Tonträger verkauft worden, sogar in den US-Charts stand der Titel auf Platz 2 – gleich hinter Paul McCartney und Michael Jackson ("Say, Say, Say"). Zu diesem Zeitpunkt war Nena 23 Jahre alt.
Lang und traurig ist die Liste älterer und erfahrener Künstlerinnen und Künstler, die einen so frühen und so gigantischen Erfolg mit ihrem Leben oder ihrer geistigen Gesundheit bezahlt haben. Wer jemals das Missvergnügen hatte, sie hinter der Bühne oder im Interview zu erleben, weiß, dass Nena hat, was die in dieser Hinsicht toleranteren Briten vornehm als "Spleen" bezeichnen. Damit ist sie in der Branche allerdings auch nicht allein.
Weiter schreibt sie: "Und ich habe meinen gesunden Menschenverstand, der die Informationen und die Panikmache, die von außen auf uns einströmen, in alle Einzelteile zerlegt". Gut, das Beharren auf einem angeblich gesunden Menschenverstand ist immer ein Warnsignal. In der Wissenschaft spricht man vom Dunning-Kruger-Effekt, wenn gerade Halbwissende sich für ganz besonders klug halten.
Darauf verweist auch ihre Engführung von "Informationen" und "Panikmache". So wirft sie Ursache und individuelle Wirkung in einen Topf - nur um beides sogleich wieder "in alle Einzelteile" zerlegen und auf diese Weise unschädlich machen zu können. Ein simples Manöver also, den Anprall einer bedrohlichen Wirklichkeit abzufedern.
Diese Wirklichkeit besteht aus Dingen, "die von außen auf uns einströmen". Wer wollte das bestreiten? Ist das virologische Geschehen damit nicht treffend skizziert? Nicht herauszulesen jedenfalls sind "Vorwürfe" gegen Bundesregierung, Presse oder reptiloide Krakenmenschen, die von außerirdischen Echsen mit dem Blut kleiner Kinder bezahlt werden.
Wir lesen kein politisches Statement, sondern esoterisch durchzitterte Zeilen von rührender Unbeholfenheit. Daran erinnert uns auch der folgende Satz: "Und so ist es mir möglich, mich nicht hypnotisiert von Angst in die Dunkelheit ziehen zu lassen". Angst ist tatsächlich ein schlechter Ratgeber. Hier führt sie aber gerade nicht zu Gefasel von einer "New World Order", sondern schnurstracks in die Dunkelheit - und damit zu einem der ältesten religiösen Motive überhaupt.
Schon der spätantike Manichäismus beschwor den ewigen Kampf zwischen den Kräften der Finsternis und dem aktuellen Album von Nena ("Licht"), das hier als dezenter Produkthinweis eingeflochten ist: "Lasst uns ins Licht gehen und für die Liebe stehen, denn trotz allem Wahnsinn, den wir hier erleben, glaube ich und weiß, dass der positive Wandel nicht mehr aufzuhalten ist". Also sprach Nena.
Offen bleibt, worin der "positive Wandel" besteht und wer ein Interesse haben könnte, ihn aufzuhalten. Aber so ist das im Genre religiöser Bekenntnisse, der Sinn mancher Worte entzieht sich dem Exegeten und enthüllt sich nur anderen Gläubigen - wie dem bekanntlich sehr frommen Xavier Naidoo, der Nenas Beitrag prompt mit einem Herz-Emoji quittierte, dem modernen Äquivalent zum Segen.
Wofür sie nichts kann, auch wenn sie dessen Predigt ("Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen") an anderer Stelle preist. Nena mag durchaus verstrahlt sein, ihre Wellenlänge unterscheidet sich dennoch deutlich von der anderer Krieger des Lichts. Jedenfalls ist aus ihren Worten nicht abzuleiten, dass sie demnächst in den Untergrund (oder zu Telegram) geht, von "99 Aluhüten" zu singen beabsichtigt oder zusammen mit QAnon den Reichstag anzuzünden.
Vorsorglich hat ihr Management bereits erklärt, was Nena mit dem "positiven Wandel" meint. Es seien "viele Aspekte unseres Zusammenlebens und unserer Gesellschaft verbesserungswürdig", und die Künstlerin glaube daran, "dass diese Missstände sich zum Positiven verändern können und werden". Wer tut das nicht?
Lang und hochkarätig ist die Liste der Musikerinnen und Musiker, deren Karriere kein Mord, kein Totschlag, kein Drogenhandel, keine Vergewaltigung und keine Mitgliedschaft bei Scientology etwas anhaben konnte. Es wäre also angebracht, einer Gabriele Susanne Kerner ihren harmlosen Glauben zu lassen. Wer will, kann auch darüber spotten.
Wenn aber etwas wirklich wahnhaft ist an dieser Affäre, dann die bedenkliche Empörungslust einer interessierten Öffentlichkeit, den nächsten vermeintlichen Freak vorgeführt zu bekommen. Das hilft niemandem und bestärkt nur die wirklich Verrückten. Und von denen gibt es derzeit schon genug.