Als Feierabend war, ging er nach Haus und tat, was heute üblich: Er sah fern und trank ein Bier.
Der Feierabend war für den Hamburger Staatstheater-Intendanten Egon Monk, 41, schnell, hart und demütigend gekommen. Nach 75 Amtstagen sah er sich genötigt, den Rücktritt anzubieten. Wer oder was nötigte ihn?
Der Fall Monk, der zum Sturz Monks wurde, ist ein Eckstein der neueren Theatergeschichte. Kaum je scheiterten hochfliegende Reformpläne auf so klägliche Art, aber kaum je war es dringlicher, Reformen durchzuführen; Monks Fall muß nun bremsend auf Gleichgestimmte wirken.
Deutschlands Theater werden künstlich am Leben gehalten. 400 Millionen Mark aus Steuergeldern injizieren Länder und Städte jährlich In ein Unternehmen, das für eine Minderheit spielt: Höchstens zehn Prozent der Deutschen gehen ins Theater.
Für eine Minderheit zudem, die in ihrer Mehrheit das Theater als »Seelenbadeanstalt« (Martin Walser) frequentiert und ästhetisch wie politisch hinterm Berge lebt: das Theater arbeitet hauptsächlich als Abonnenten-Tränke.
Zwiefach ist somit die Abhängigkeit der deutschen Bühnenkunst: Sie braucht die offene Hand der öffentlichen Hand, und sie bedarf des Wohlwollens der approbierten Theatergänger. Monk wollte sich wenigstens seine Kunden selber wählen.
Er wollte »zeltbezogene Dramatik« spielen und Leute im Theater haben, die »politisch denken« und »Gesellschaft als veränderbar begreifen«, die mit sich reden lassen und mit dem Theater reden wollen. Er erwartete auch »Hafenarbeiter«.
Monk, Berliner aus dem Arbeiterviertel Wedding, Brecht-Eleve, schließlich hochgeschätzter Fernsehspiel-Chef beim NDR, ist ein unbeugsamer Didaktiker. Aber nicht seine Mission -- eine schöne neue Welt im Sozialismus -- stürzte ihn vom Lehrstuhl; er scheiterte aus eigener Kraft.
Die Eröffnungspremiere »Über den Gehorsam«, vom NDR live und farbig Ins deutsche Helm getunkt, ließ Monks Anhänger erbleichen. Lenz, Walser oder Groß hatten ursprünglich an dem Traktat mitarbeiten sollen: beim Urlaub auf der Insel Sylt schrieben Monk und sein Dramaturg Und Schulfreund Hubalek die Polit-Revue allein zusammen.
Das unter Zeitdruck, Streit und Panik entstandene Lehrstück ramponierte Monks Intelligenzler-Ruf: Schillers »Räuber«, die Zweitpremiere, säte Zweifel über Monks Talent als Regisseur und Intendant.
Denn ein höchst unzulängliches Ensemble präsentierte sich der Premieren-Crème, und Monks puristische, austrocknende Regie führte zu einem Theaterabend, der halb im Parkett-Unmut ertrank: von der Presse wurde Monk einmütig und eilfertig hingerichtet.
Le style, c'est l'homme -- bei Monk bestimmt. Monk schätzt einen asketischen Dozenten-Look, trägt sich steif, schulmeistert gern und verliert bei öffentlichen Auftritten leicht den Humor, Brechts Schüler sind oft von solchem Schlage,
Wo der Meister Prinzipien aufstellte, um sie genüßlich umzuwerfen, halten sich die Adepten schmallippig an die Gesetzestafeln: Monk treibt den emotionsfreien Zeige-Stil der Brecht-Bühne Ins dürre Holz. Im »Berliner Ensemble« vergießt die Brecht-Witwe Helene Weigel derweil wieder echte Tränen, wenn sie die Mutter Courage spielt.
Wer Monk beim Probieren beobachten konnte, mußte allerdings bessere Resultate erwarten. Monk arbeitet klug und behutsam, baut den Schauspielern intellektuelle Brücken und hält die sonst geschundene Gruppe Mensch in einem Dunstkreis temperierter Kollegialität.
Nach den Debüt-Debakeln begann Monks Stern zu sinken. Dürrenmatt! Shakespeares »König Johann« wollte der Verlag (Felix Bloch Erben) den Hamburgern nur überlassen, wenn Monk nicht inszeniere; als die Abendeinnahmen um ein Drittel absanken, trudelte auch sein Ansehen beim Aufsichtsrat der Hamburger Bühne.
Die Hamburger hatten Monk im Mai vergangenen Jahres mit beklemmend unhanseatischer Hast eingehandelt -- es galt, den Frankfurtern zuvorzukommen, die den NDR-Mann dringlich wollten; Kultursenator Gerhard Kramer gab dem Monk-Vorgänger Oscar Fritz Schuh geschwind den Abschied und installierte den Neuen unter allgemeinem Jubel.
Als Monks Frankfurter Königsmacher agierte der Suhrkamp-Theaterverlag. Sein Leiter Karlheinz Braun, 36, gilt als Wehmutter und Monopolherr der deutschen Gegenwartsdramatik; von Kipphardt, Walser bis zu Sperr und Gerlind Reinshagen ist ziemlich alles im Suhrkamp-Camp versammelt.
Aber just eins der zahlreichen Suhrkamp-Stücke in seinem Spielplan brachte den Intendanten Monk ins Stolpern: Weil der unerprobte Jungregisseur Eberhard Fechner mit dem schwierigen »Doppelkopf« der Gerlind Reinshagen nicht zu Rande kam, zog Monk die Premiere zurück; Schlimmeres kann ein Intendant kaum tun.
Derweil wuchs auch das Mißbehagen einiger renommierter Schauspieler, Joana Maria Gorvin, die langjährige First Lady und heimliche Königin am Hamburger Schauspielhaus, sammelte Verbündete.
Unbefriedigt von Monks Regiment und Regietaten, schloß sie mit den Schauspielern Schomberg, König und Boysen einen Viererbund. Boysen, der erst im Januar antreten sollte, stellte einen Hauskauf in Hamburg zurück, nachdem er die »Räuber« gesehen hatte.
Am vorletzten Wochenende preschte Schomberg vor und zog die Quadriga mit. Sie wollten ihre Verträge lösen, erklärten die Schauspieler, falls Monk zu »Reformen« nicht bereit sei. Und Kultursenator Kramer, anstatt sich vor den mit Applomb eingekauften Intendanten zu stellen, lieh der Schauspieler-Pression seinen Beistand.
Er könne sich nicht vorstellen, erzählte er Monk, daß Hamburgs Bühne ohne die großen Vier zu führen sei. Monk, durch das »Doppelkopf«-Desaster geschwächt, durch Presse-Attacken zermürbt und mit der Nervenkraft am Ende, gab den Kampf auf. Er bot den Rücktritt an, der Aufsichtsrat willfahrte.
Das Ende war so überstürzt wie der Beginn. Monk hat Fehler gemacht, er taktierte in der Öffentlichkeit und als Theaterleiter wenig glücklich, er überschätzte und übernahm sich. Aber die Ideen und Impulse, mit denen er antrat, hätten eine faire Chance verdient.
Monks Fall geht nicht ins Bodenlose: Für das Intendanten-Abenteuer hatte er sich vom NDR nicht ganz abnabeln, sondern nur beurlauben lassen. Und auch das Hamburger Schauspielhaus findet den Weg zurück zum sicheren Abonnenten,
Kramer hat dem Talleyrand des Schauspielhauses, dem Verwaltungsdirektor Gerhard Hirsch, die kommissarische Leitung übertragen. Hirsch, der schon Schuhs Sturz überstand, stampft nun Inszenierungen aus dem Boden.
So wird ihm als nächstes Karl Vibach die Sittenkomödie »Moral« des Bayern Ludwig Thoma inszenieren, und im Januar kommt Hansjörg Utzerath mit Sternheims wilhelminischer Satire »Bürger Schippel«. Die Vergangenheit hat schon begonnen.
Just vor 200 Jahren war in Hamburg schon einmal der »süße Traum« eines Reformtheaters vergangen. Damals schrieb der Dramaturg und Hausautor Lessing: »Soviel ich diesen Ort nun habe kennen lernen, dürfte er auch wohl gerade der sein, wo ein solcher Traum am spätesten in Erfüllung gehen wird.«