Von Kanye bis NFT Das sind die größten Flops des Kulturjahres 2021

Jammer-Bond statt James Bond, Tanzverbot in Klubs, Skandale rund ums Humboldt Forum – und ein entfesselter Kunstmarkt: Das Kulturjahr 2021 lässt sich nicht schönreden. Die persönlichen Tiefpunkte der Kulturredaktion.
Ein NFT: Eine für 69 Millionen US-Dollar verkaufte digitale Collage des wenig bekannten Künstlers Beeple

Ein NFT: Eine für 69 Millionen US-Dollar verkaufte digitale Collage des wenig bekannten Künstlers Beeple

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HANDOUT / AFP

KUNST: 69 Millionen Dollar für eine Datei

2021 war das Jahr der digitalen Kunst, denn seitdem Non-Fungible Token (NFT) auf dem Vormarsch sind, kann sie ohne großen Aufwand als Einzelstück signiert und online verkauft werden. Als Objekt (»token«) auf einer Blockchain, also einer dezentralen Datenbank im Internet. Für Künstler ist das ein großer Gewinn. Allerdings witterten auch Spekulanten und Kryptonerds lukrative Deals und kauften wahnhaft bunt flirrende Werke und animierte GIFs zu astronomischen Preisen. Den Höhepunkt markierte im März die Versteigerung einer Collage aus 5000 ziemlich banalen Bildern des wenig bekannten Grafikers Beeple für 69 Millionen Dollar , was ihn zu einem der drei teuersten lebenden Künstler der Welt machte. Marktwert und Qualität klafften oft auseinander in der Kunst – das Jahr 2021 trieb dieses Missverhältnis auf die Spitze. Carola Padtberg

(Kan)Ye West

(Kan)Ye West

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Evan Agostini / AP

RAP: Das Warten hat sich nicht gelohnt

Rap-Fans kennen sich gut aus mit angesagten Markennamen, mit popkulturellen Querverweisen – und mit Warten. Seit Jahren machen sich die schillerndsten Gestalten des Genres rar, verschieben Albumveröffentlichungen, verzögern, verärgern. Drake und Kanye West, diese sich so innig hassliebenden Bromanciers des US-amerikanischen Hip-Hop, sind darin besonders talentiert. 2021 hatte das Warten ein vorläufiges Ende, also zwei, beide brachten neue Alben raus. Erster Eindruck damals: halbgar (Ye) und ideenarm (Drake).

Der Eindruck ist auch Monate später ähnlich, es sind keine Grower. Das Warten auf die Rapper hat sich in diesem Jahr nicht gelohnt. Den Job, überraschende, einfallsreiche neue Alben auf den Markt zu bringen, haben Rapperinnen wie die Londonerin Little Simz und die Hamburgerin Shirin David  übernommen. Jurek Skrobala

Humboldt Forum

Humboldt Forum

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Joko / imago images

HAUPTSTADT: Blamage im Preußenlook

Dreimal wurde das Humboldt Forum im neuen Berliner Stadtschloss eingeweiht. Einmal virtuell, zweimal real, nie gab es Anlass zum Feiern. Was für ein Projekt: diese Hülle mit viel Beton, aber an drei Seiten im preußischen Stil, innen viele koloniale Beutestücke. Dazu die strategisch zur Schau gestellte Naivität der Hausherren und der Bundeskulturpolitik. Großes Erstaunen noch im Mai 2021 , als ein externer Wissenschaftler belegte, dass sogar das berühmte Südsee-Boot – fest als Highlight eingeplant – Raubkunst ist.

Als weiterer Skandal galt der Umgang mit Mitarbeitern im Schloss, die fühlten sich schikaniert, die große Zahl der Entlassungen und Kündigungen war eines von vielen Indizien, die für sich sprachen. Aufarbeitung wurde von der (alten) Regierung garantiert. Und nie geleistet. Ulrike Knöfel

Archivbild des Berliner Klubs Berghain

Archivbild des Berliner Klubs Berghain

Foto: Hannibal Hanschke / REUTERS

KLUBS: Lähmendes Tanzverbot

Für ein paar Wochen im Herbst ging dank 2G-Regelung wieder was auf den Tanzflächen. Aber das Zeitfenster für befreiende Ekstase und Glückseligkeit war allzu schnell wieder zu. Der Politik fiel angesichts der steigenden Inzidenzen im Dezember leider erneut nichts Besseres ein, als Klubs zwar weiterhin die Öffnung zu gestatten, aber nur für Sitz- oder Stehveranstaltungen mit Maske. Viel Spaß kommt so nicht auf. Zudem werden Tanzwillige auf diese Weise noch vehementer zu illegalen Raves oder Privatpartys getrieben, wo im Zweifel niemand Impfpässe oder Tests kontrolliert.

Tanzen in einer anonymen Masse ohne Abstand und Maske ist und bleibt risikoreich inmitten der Pandemie, keine Frage. Aber es gibt Pilotprojekte wie das von der Berliner Clubcommission gemeinsam mit der Charité erarbeitete PCR-Testkonzept,  die sich die Kulturpolitik näher ansehen könnte, statt immer nur wieder als Erstes ein Tanzverbot zu verhängen – und so diesen essenziellen Kultursektor nachhaltig zu lähmen. Andreas Borcholte

Schauspieler und Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2021

Schauspieler und Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2021

Foto: Soeren Stache / dpa

KINO: Kurzer Dienstweg

Über das deutsche Kino kann man sich immer Gedanken machen und oft genug Sorgen. Aber was der Deutsche Filmpreis in diesem Jahr an vermeintlich Jahresbesten anbot, war Anlass für Entsetzen: Es gewann die ursprünglich fürs Fernsehen konzipierte Tragikomödie »Ich bin dein Mensch«, nicht nur als bester Film, sondern auch für die beste Regie, das beste Drehbuch, die beste Hauptdarstellerin. Solche Durchmärsche reduzieren die ohnehin überschaubare Vielfalt in der Branche ohne Not auf den einen Leuchtturm – und der strahlt noch nicht mal über die Landesgrenzen hinweg.

Vom Fernsehen auf die Berlinale zum Filmpreis: Wege, wie sie »Ich bin dein Mensch« genommen hat, lassen bei allem Charme und Witz von Maria Schraders Films befürchten, dass sich das deutsche Kino einen kurzen Dienstweg geschaffen hat. Dieselben Institutionen treffen immer wieder dieselben Entscheidungen, und Kriterien wie Publikumserfolg, künstlerischer Wert oder internationale Strahlkraft scheren keinen mehr.

Komplette Abwesenheit in den Wettbewerben der internationalen Festivals war das eine Warnsignal 2021, was das Prestige des hiesigen Kinos markierte. Das andere: Es hätte auch gar nichts gegeben, das neben »Titane«, »Drive My Car« oder »Die Gewalt der Hunde«  hätte bestehen können. Der Gang ins deutsche Kino: In diesem Jahr war er wirklich ein Gang vor die Hunde. Hannah Pilarczyk

Social-Media-App Clubhouse

Social-Media-App Clubhouse

Foto: Florian Gaertner/photothek.de / imago images/photothek

SOCIAL MEDIA: Raus aus dem Vereinsheim

Zu der Zeit, als wir noch glaubten, es gäbe Dinge, die die diversen Lockdowns erträglicher machen könnten, kam Anfang des Jahres die Social-Media-App Clubhouse  um die Ecke. Ein geschlossener Klub, zu dem man anfangs eingeladen werden musste und in dessen virtuellen Räumlichkeiten Hunderte Diskussionsrunden gleichzeitig stattfanden, 24 Stunden am Tag, überall auf der Welt: Wenn bei uns alle schliefen, beziehungsweise nur noch diverse Mitglieder der Berliner Großfamilie Abou-Chaker mit ihren Fans die Dinge des Lebens besprachen, bestand eine gute Chance, dass man am anderen Ende der Welt Elon Musk dabei zuhören konnte, wie er den Mars besiedeln wolle. Und manchmal, wenn man Glück (oder Pech) hatte, wurde einem sogar das Wort erteilt, und man konnte mitreden. Oder man startete gleich seinen eigenen Raum.

Klang alles super, hat sich aber als fürchterlich herausgestellt. Clubhouse ist in kürzester Zeit diskursiv verslumt. Die Gespräche nervten bald noch mehr als die ständigen Zoom- oder Teams-Konferenzen, nur dass sie endeten. Und die Beschimpfungen und Beleidigungen wurden schlimmer als im echten Leben und sogar böser als bei Twitter.

Und dann endete, zumindest vorübergehend, der Lockdown. Die Menschen strömten nach draußen und vergaßen ihr Clubhouse-Passwort. Philipp Oehmke

Ex-Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters

Ex-Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters

Foto: Carsten Koall / dpa

CORONAHILFEN: Leere Ansagen

Die Krise führte zu vielen Versprechen, die dann aber wie bloße Versprecher wirkten. 2020 und 2021 war jeweils eine »Kulturmilliarde« in Aussicht gestellt worden, die nach und nach an Einrichtungen und Soloselbstständige im Bereich Kultur fließen sollten. Kurz vor der Bundestagswahl sah die Lage so aus: Von den insgesamt also zwei Kulturmilliarden hatte die Bundesregierung bis dahin 1,5 Milliarden »zur Verfügung gestellt«.

Klingt gut? Ist aber reine Wortspielerei. Denn »zur Verfügung gestellt« hieß nur, dass das Geld an Verbände und andere Zwischenhändler der Bundeszuwendungen weitergereicht wurde. Gerade einmal 445 Millionen Euro wurden bis zum Stichtag 10. September tatsächlich an echte Empfänger überwiesen – und davon ein großer Teil an öffentliche Einrichtungen. Wenig kam bei denen an, die Unterstützung gebraucht hätten, weil sie als Kulturselbstständige das Land bereichern und dafür ein hohes finanzielles Risiko eingehen.

Die Begründung dafür, dass man geizte, klingt absurd: Die Krise sei so schlimm, viele Vorhaben hätten nicht umgesetzt und Mittel daher nicht abgerufen werden können. Doch sollte das Geld nicht gerade durch die Krise helfen? Auch ein Ende Mai vorgestellter, ergänzender Sonderfonds des Bundes für kulturelle Veranstaltungen wurde vollmundig beworben, allerdings mit einer kleinen Fußnote: Solcherart geförderte Veranstaltungen würden für die Organisatoren »vielleicht« rentabel sein. Das ist eine Hilfestellung mit der Vorwarnung, dass man den Hilfsbedürftigen wahrscheinlich fallen lässt. Arme Kulturnation. Ulrike Knöfel

Bücherberg: Das Fiktionale kriselt

Bücherberg: Das Fiktionale kriselt

Foto: Frank Rumpenhorst / picture alliance / dpa

LITERATUR: Pappaufsteller

Vermutlich ist es ein Knick in der Optik, nur noch Romane zu sehen, deren Protagonist*innen wie Pappaufsteller aktueller Debatten in der Handlung herumstehen. Wir diskutieren über privilegierte Mikromigrationen von der Stadt aufs Land, wo es dann zwar provinziell ist, irgendwie aber auch nett? Bitteschön, hier die Novelle zum Thema! Wir diskutieren über sexuelle Identitäten oder die Volatilität ethnischer Zugehörigkeiten? Zack, hierzu dieser Roman und diese fünf da drüben auch noch. Wir diskutieren über toxische Männlichkeit und ubiquitären Rassismus? Kein Problem, da haben wir gerade eine ganz frische Lieferung reinbekommen! Wir lesen, wie wir »Bridgerton« auf Netflix gucken: als nähmen wir ein moralisches Vollbad in unseren eigenen Wunschvorstellungen. Das Fiktionale kriselt, wenn Literatur nur noch der sekundierenden Deklination soziologischer Fragen dient, als episches und immer ethisches Ausbuchstabieren gestammelter Stummelgedanken auf Twitter. Arno Frank

»James Bond«-Darsteller Daniel Craig

»James Bond«-Darsteller Daniel Craig

Foto: NEIL HALL / EPA

BLOCKBUSTER: Der Jammer-Bond »Keine Zeit zu sterben«

Als ich zwölf Jahre alt war, sah ich mit »Der Spion, der mich liebte« den ersten Bond-Film meines Lebens und hatte mein Idol gefunden – einen Mann, der alles kann und jeder Situation gewachsen scheint. Und nun, 44 Jahre später, steht er vor mir, ein Häufchen Elend, heulend, liiert mit einer Frau, die auch ständig verheult aussieht. Nichts hat er mehr im Griff, dieser Weltenretter a.D. Er ist die letzte Schwundstufe seiner selbst . Dabei bräuchten wir ihn gerade heute so dringend. Doch die Psychologisierung, die 2006 in dem großartigen »Casino Royale« begann, hat 007 in den letzten Filmen immer kleiner gemacht.

Manche glauben, er sei menschlicher geworden. Was für ein grotesker Unsinn. Bond ist kein Mensch. Sondern ein Held. Nun schleppt er sich mit müden Knochen durch sturzlangweilige Actionszenen, die man schon zigmal besser gesehen hat, und gibt laue Sprüche von sich. Selbst bei John le Carré haben die Spione mehr Lebenslust. Ob Bond in Zukunft schwarz oder weiblich sein wird, ist völlig egal. Denn das, was ihn ausmachte, ist dahin. Lars-Olav Beier

Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler

Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler

Foto: Juliane Eirich / ZDF

DEBATTENKULTUR: Schnappatmung

Nur wenige Töne klingen so gut wie der Zwischenton. Das ist eine Weisheit, für die es früher unter Kulturmenschen immer ein offenes Ohr gab. Der Zweifel war über jeden Zweifel erhaben. Nun leiden Debatten schon seit geraumer Zeit an der Sehnsucht, wieder Eindeutigkeit herzustellen: Je weniger Gewissheiten es gibt, desto besessener behaupten die Diskutanten sie. Zu den Enttäuschungen des Jahres 2021 aber gehört, dass dieser Trend zum Vereinfachen und Vereindeutigen, zum Lagerdenken und zur allgemeinen Schnappatmung auch in der Kulturbranche immer mehr um sich greift. Im Kreis jener Menschen also, die sich früher einmal der Fähigkeit zur Differenzierung rühmten, der Lust an der Ambivalenz.

Ein Beispiel: die Reaktionen auf #allesdichtmachen. Ein Zweites: die Reaktionen auf Sahra Wagenknecht und ihr Sachbuch »Die Selbstgerechten«. Ein Drittes: die Reaktionen auf Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler  und ihre mal unklugen, mal unvorsichtigen Äußerungen zur Coronapolitik.

Losgelöst von den einzelnen, durchaus kritikwürdigen Aussagen, bleibt der Eindruck, dass Intellektualität zunehmend verpönt ist. Während man den Intellektuellen einst als Störenfried allzu großer Gewissheiten schätzte, erscheint er in Zeiten allzu großer Ungewissheiten als Gefahr. Wenn sich eine Erkenntnis aus der Pandemie ziehen lässt, dann doch eigentlich die, dass unsere Erkenntnisfähigkeit beschränkt ist, allen modernen Erkenntnissen zum Trotz. Die Pandemie hat uns Demut gelehrt. Umso ärgerlicher, dass der Hochmut die Debatten regiert. Tobias Becker

Maskenträger im Supermarkt: An vorderster Front gegen den aggressiven Irrsinn

Maskenträger im Supermarkt: An vorderster Front gegen den aggressiven Irrsinn

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Robert Michael/ DPA

GESELLSCHAFT: Endkontrolle

Einmal hatte ich an einer Aral in der Pfalz mein Motorrad vollgetankt, aber meine Maske vergessen. Sicherheitshalber und wenigstens halbwegs hygienischerweise lasse ich den Helm auf und das Visier geschlossen, als ich mit erhobenen Armen den Laden betrete und dem Kassierer mein Problem zurufe. Der ruft verängstigt zurück: »Nimm dir, was du willst … aber bitte erschieß mich nicht!«. Andermals erlebe ich, wie sich die Bäckereifachverkäuferin mit dem Kunden vor mir ein Wortgefecht zu liefern gezwungen ist, indem die Begriffe »Vorschrift«, »Schlafschaf«, »Chef«, »Fotze« und »Polizei« hin- und herfliegen – bis der Mann mit erhobener Faust aus dem Laden stürmt: »Ich komme wieder!« Die Verkäuferin hat müde Augen, sie schuftet seit drei Uhr am Morgen, es ist nicht ihr einziger Job, und neuerdings steht sie an ihrer Theke an vorderster Front gegen den aggressiven Irrsinn. Als unbezahlte Zwangshandlangerin des Ordnungsamts. Es mag angewandte Sozialromantik sein, aber das Durchreichen der Verantwortung für die Durchsetzung staatlicher Maßnahmen nach ganz unten hat mich im zweiten Jahr der Pandemie nachhaltig trakassiert. Arno Frank

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