Fundamentalisten Jesus aus dem Keller
Er versetzt vielleicht Berge, aber vor allem versetzt er in Schrecken - der Glaube, wenn er verbohrt und knüppelhart daherkommt.
Auch in deutschen Landen erhebt religiöser Fundamentalismus sein dorniges Haupt. Eine »charismatische Bewegung«, prophetie- und wundergläubig, die Bibel stets zur Hand, schart »Erweckte« und macht den Amtskirchen bange; denn was ist, sagen die Bewegten, ein »getaufter Ungläubiger« gegen einen »wiedergeborenen Christen«?
»Fast 400 Millionen Menschen« zähle diese »weltweite Heilig-Geist-Bewegung«, berichtet eine, die sich dazuzählt: Karla Fohrbeck, 49, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg. Trotz der Menge fühlt sie sich, spätberufene »Wiedergeborene«, »gejagt und verfolgt«; der Fall Fohrbeck ist die Cause celebre der neuen Bibel-Fundis.
Denn das spirituelle Wirken und Weben der Referentin hat, wie bei keinem anderen öffentlich Bediensteten, profane Aufmerksamkeit gefunden, also Hohn und Spott in Schlagzeilen. Beispiele: »Eine Politikerin läßt sich von Lichtengeln erleuchten« (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt), »Vom Geist ergriffen« (FAZ), »Gott verbietet ihr den Rücktritt« (Frankfurter Rundschau); und, völlig richtig, die Süddeutsche Zeitung: »,Lichtengel' läßt Blätterwald rauschen.«
Als Karla Fohrbeck im Mai vergangenen Jahres ihr Nürnberger Amt angetreten hatte, gerufen von SPD und Grünen, war weder von Gott noch vom Teufel die Rede gewesen. Sie galt als verdiente Wissenschaftlerin, mit Studiengängen in Religionswissenschaft, Anthropologie, Philosophie, Soziologie, Volkswirtschaft und Politik; ihr Frankfurter »Zentrum für Kulturforschung« (geführt zusammen mit Andreas Johannes Wiesand) lieferte erleuchtende und profunde Publikationen.
Erste Zweifel, ob ein rationaler Geist mit ihr in Nürnberg eingezogen sei, säte Karla Fohrbeck selbst; sie dekorierte ihre Amtsstube mit einer Leihgabe des Germanischen Nationalmuseums, einem Riesen-Kruzifix. Der Herr hatte es so geboten ("Ich soll mir den schönsten Jesus aus dem Keller wünschen"), sie stand seit kurzem mit ihm auf vertrautem Fuß.
Karla Fohrbeck spricht, nach biblischem Muster, von einem »privaten Saulus-Paulus-Erlebnis«, das ihr widerfahren sei; vorausgegangen waren »spirituelle Grenzerfahrungen« (auf ihren Forschungsreisen studierte sie magische Kulte), die ihre »Umkehr zu Jesus einleiteten«. Fohrbeck: »Christen bemühen sich um einen geraden Weg.«
Der führte sie stracks zu einer charismatischen, »freichristlichen« Gemeinde in Nürnberg-Langwasser, bei der sie sich, in einem Fluß, »wassertaufen« ließ; während einer öffentlichen Veranstaltung der Bibelfesten tat Karla Fohrbeck eine Woche später in vielen Worten kund, was die Blätter dann raunen und rauschen ließ.
»Gott hat mit mir was vor in dieser Stadt«, so sprach die Nürnberger Stadträtin; sie bekomme, »wie man so schön sagt, viele Botschaften aus dem Jenseits«, zum Beispiel: »Ich wußte früher als andere, daß die Mauer bricht, am Karfreitag davor wurde mir das sozusagen vermittelt«; eben von jenem Lichtengel. »Zeugnis ablegen«, heißt dies unter Charismatikern und ist dort ganz und gar nicht ungewöhnlich.
In Amtsstuben und Parteien, auch christsozialen, dagegen schon; hier wie da verlor die parteilose Führungskraft Mitarbeiter und Anhänger, auch wenn die fachliche Kompetenz der Karla Fohrbeck kaum ernsthaft zur Debatte stand - von jenseitig beflügelten Einfällen abgesehen. So wollte sie das einstige Reichsparteitagsgelände in einen frommen Friedenshain verwandeln, mit Bibelsprüchen hinter Panzerglas.
Aber es gab auch anderswo Gelegenheiten, des Herrn Wort zu streuen, etwa bei einem »Festival zur Ehre Gottes«, das im vergangenen Juni in Nürnberg ohne Zutun der Amtskirchen anlief. Rund 3000 Charismatiker aller Nuancen, kirchenfern wie kirchennah, versammelten sich da zu löblichem Tun, und wer war dabei? Karla Fohrbeck.
Auch als im September darauf ein äußerst merkwürdiger Verein, ein »Arbeitskreis Christlicher Publizisten« (ACP), in Nürnberg seine Bundesversammlung hielt - wer war dabei, als Vertreterin des Oberbürgermeisters, aber auch, so eine Lokalzeitung, »als heimlicher Star, dem eigentlich diese Veranstaltung galt«? Karla Fohrbeck.
Das ACP-Gemengsel freikirchlicher Eiferer, das gern Politiker vor seinen missionarischen Karren spannt, wird von dem Niedensteiner Religionslehrer Heinz Matthias dirigiert (Mitglied unter anderen: Ex-General Günter Kießling); Matthias griff prompt zur gesträubten Feder, als Karla Fohrbeck in schwerer Stunde Schützenhilfe brauchte.
In einem Leserbrief drängten sich ihm nämlich »Parallelen zum Fall Waldheim auf«. Auch dort sollten »aufgeladene Emotionen mit negativen Vorzeichen fehlende Fakten ersetzen«, den österreichischen Präsidenten »weichmachen«. Doch der blieb »hart und konsequent«, und »Vergleichbares erhoffen wir uns von Karla Fohrbeck«. Matthias darf hoffen; die Referentin will nicht vor Vertragsende (1996) schlappmachen.
Ende dieser Woche geht es in Nürnberg wieder charismatisch in die vollen. 5000 Wiedergeborene versammeln sich da zu einem »Kongreß für Erweckung und Gemeindeaufbau« ("Gemeindekongreß 91"), und sie alle haben Großes im Sinn: Bis 1993 sollen in Deutschland rund 5000 neue »freie Gemeinden« entstehen, allein in Nürnberg müßten 490 »lebendige Zellen« sprießen; fundamental.
Und bevor der »Große Marsch für Jesus« durch die Nürnberger Innenstadt anhebt, wer wird das Grußwort halten? Karla Fohrbeck. o