DÜSENFLUGZEUGE Jet-Aroma
Mit Marschmusik und anderen deutschen Festtagsgepflogenheiten feierte die Deutsche Lufthansa im vergangenen Monat ihren verspäteten Eintritt in das Düsenzeitalter. Seitdem faucht täglich zweimal ein Düsenkoloß der Lufthansa (Startgewicht: fast 150 Tonnen) zu Start oder Landung über die kilometerlange Betonpiste des Frankfurter Flughafens, der Absprungbasis für den Düsenverkehr nach New York.
Mit der Eröffnung des Düsen-Flugplans in der ersten Aprilwoche werden die Verwaltungen und die Anwohner deutscher Flughäfen in verstärktem Maße den qualvollen Begleiterscheinungen der Düsenluftfahrt konfrontiert, die von Flugzeugkonstrukteuren und den Direktoren der großen Luftfahrtgesellschaften nicht vollends erkannt worden waren, als sie sich vor zwei Jahren daranmachten, die Düsenära in der Zivilluftfahrt einzuleiten.
Es war zwar vorauszusehen, daß der Lärm der schrillenden Düsentriebwerke die Flughafen-Anwohner zu Protesten aufstacheln würde. Aber daß sich beim Düsenverkehr auch unvorhergesehene Begleiterscheinungen eingestellt haben, erfuhr die breite Öffentlichkeit erst vor kurzem, als Thomas M. Sullivan, Erster Luftfahrtdirektor der New Yorker Hafenbehörde, vor amerikanischen Verkehrsingenieuren zum ersten Jahrestag des zivilen Düsenverkehrs einen Erfahrungsbericht verlas.
Nur bei 73 Prozent der Düsenstarts, so mußte Luftfahrtdirektor Sullivan feststellen, ist es bisher gelungen, den Lärm von den besiedelten Gebieten fernzuhalten, obwohl sich die New Yorker Behörden vom ersten Düsenflugtag an bemüht haben, »den übermäßigen Lärm auf den
Flughafen selbst oder zumindest auf die unbesiedelten Gebiete zwischen Flughafen und benachbarten Siedlungen zu beschränken, um sicherzustellen, daß die Wohngebiete keinem größeren Lärm ausgesetzt werden als beim Flugbetrieb mit Kolbenmotormaschinen«.
Aber selbst diese dürftige Erfolgsbilanz gibt keinen Aufschluß darüber, in welchem Ausmaß die Anwohner deutscher Flughäfen durch Düsenlärm malträtiert werden. Denn die New Yorker Flugkontrolle weist, wenn immer die Windbedingungen es erlauben, den startenden Düsenmaschinen Abflugschneisen zu, die über das Wasser der Jamaica -Bucht führen. Zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr früh sind alle Startbahnen, die an besiedeltes Gebiet grenzen, für Düsenmaschinen überhaupt gesperrt. Rund die Hälfte der 3286 Düsenstarts, auf denen Sullivans Bericht fußte, führte daher nicht über Wohngebiete.
Tatsächlich also hat jedes zweite Düsenflugzeug unerträglichen Lärm verursacht.
Dabei herrschen auf dem New Yorker Flughafen Idlewild noch weitaus strengere Bestimmungen als beispielsweise auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel, wo die Anwohner denn auch prompt mit Proteststürmen auf die ersten Düsenlärmer der Pan American World Airways reagierten (SPIEGEL 25/1959).
Zunächst schrieb die New Yorker Flughafenbehörde den Düsenmaschinen bestimmte Starttechniken und Flugmanöver vor. Sie sollten gewährleisten, daß die Flugzeuge mindestens 400 Meter Höhe erreichten, bevor sie eine Ortschaft überflogen. Längst aber haben die Behörden auf derart detaillierte Vorschriften verzichtet. Sie begnügen sich jetzt mit der schlichten Anordnung: Jede Düsenmaschine hat so zu fliegen, daß die Geräusche in den Wohngebieten einen genau festgesetzten Lärmwert nicht übersteigen.
In Zukunft soll eine straffere Überwachung die Zahl der Starts ohne Lärmbelästigung erhöhen. Die Schalldämpfer nämlich, die von der Industrie für Düsenmotoren entwickelt wurden, um das nervenzermahlende Getöse der Triebwerke auf ein erträgliches Maß zu verringern, haben die Lärmtortur nicht beseitigen können. Luftfahrtdirektor Sullivan: »Wir wissen jetzt, daß Schalldämpfer nicht die ganze Arbeit tun können.«
An eindrucksvollen Beispielen schilderte der New Yorker Experte die Ausmaße eines anderen Düsen-Problems, das gleichfalls noch nicht bewältigt worden ist: der gefährlichen heißen Abgasstrahlen. In New York war zunächst eine Prozedur erlaubt, die gegenwärtig auch auf zahlreichen europäischen Flughäfen üblich ist: Die Düsenmaschinen durften mit der Schubkraft ihrer eigenen Motoren von den Rampen zum Start rollen.
Dabei passierten jedoch in Idlewild mehrere Unfälle. Einmal schleuderten die Düsenabgase beispielsweise einen fünf Zentner schweren Gepäckkarren 25 Meter weit durch die Luft. Ein andermal versuchte der Pilot einer Düsenmaschine das am Boden angefrorene Fahrwerk zu lösen, indem er Vollgas gab. Resultat: Die glühenden Auspuffgase demolierten eine Passagiertreppe, zwei Ladefahrzeuge, einen Heizwagen, einen Schlepper und die Glasfront der Schalterhalle.
Inzwischen hat die New Yorker Flughafenleitung bestimmt, daß Düsenmaschinen von Traktoren zur Startbahn gezogen werden müssen. Daß jedoch auch dadurch nicht alle Zwischenfälle ausgeschaltet werden können, zeigt ein drittes Malheur: Bei einem Probelauf der Strahltriebwerke einer Düsenmaschine bliesen die Abgasstrahlen 140 Quadratmeter Asphaltpflaster fort.
Gänzlich unvorbereitet aber traf die Flugplatzverwaltung eine Nebenerscheinung des Düsenverkehrs, die sie nicht hatte voraussehen können: Wie eine riesige Dunstglocke lagern oftmals übelriechende Düsenabgase über dem Flughafen Idlewild. Luftfahrtdirektor Sullivan: »Der Düsentreibstoff hat eine neue Atmosphäre rund um den Flughafen geschaffen.«
In seinem Erfahrungsbericht vor den amerikanischen Verkehrsingenieuren erläuterte er: »Die Jets brauchen nicht nur einen anderen Treibstoff als die bisher üblichen Flugzeuge (Kerosin), sie brauchen ihn noch dazu in ungeheuren Mengen ... Der Kerosingeruch verfliegt aber nicht wie die Dämpfe von Benzin, das Jet-Aroma bleibt vielmehr über dem Flughafen hängen.« Auf modern ausgerüsteten Flugplätzen könnten zwar Klima-Anlagen und Ventilationssysteme den größten Teil dieser Gerüche von den Abfertigungshallen fernhalten, an heißen Tagen wachse dieses Problem jedoch zu »ernsthaften Proportionen«.
Bislang wissen die Sachverständigen noch nicht, wie sie den Düsengestank völlig beseitigen können. Luftfahrtdirektor Sullivan umriß die Hilflosigkeit der Beteiligten mit schwachem Witz: »Vielleicht findet ein Chemiker eine Möglichkeit, Kerosin den Duft von Iranzösischem Parfüm oder frischgeröstetem Kaffee zu geben.«
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