Jonathan Meese in der Volksbühne Dada-Klamauk auf LSD

In der angeschlagenen Berliner Volksbühne feiert Skandalkünstler Jonathan Meese Premiere. Doch Kontroversen gibt es nicht. »Die Monosau« ist bloße Quatschkunst mit Konfettikanonen.
Rauchend am Bühnenrand: Benny Claessens und Kerstin Graßmann

Rauchend am Bühnenrand: Benny Claessens und Kerstin Graßmann

Foto: Apollonia T. Bitzan / Volksbühne Berlin

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Hakenkreuze, Hitlergrüße oder wenigstens Hundekacke? Wenn Jonathan Meese etwas auf eine Bühne bringt, erwartet man ja immer einen Skandal. Oder wenigstens eine kleine Kontroverse. Schließlich musste sich Meese schon juristisch für seine Kunst verantworten. So hatte er etwa den Hitlergruß performt  und NS-Symbolik benutzt. Sein aberwitziger »Mondparsifal«  schaffte es bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth nicht mal zur Premiere, Meese wurde schon vorher vor die Tür gesetzt. Die Erwartungen an den Künstler waren also recht hoch, vor allem an der etwas angeschlagenen Berliner Volksbühne, wo am Freitagabend Meeses »Monosau« uraufgeführt wurde. Doch die Premiere des Dada-Stücks verlief völlig skandalbefreit und gerade deshalb unerwartet. Das muss einem auch erst mal gelingen.

Dabei ist Meeses Text gar nicht leicht auf die Bühne zu hieven. Sieben Schauspielerinnen und Schauspieler griffen sich diesen »Episodenroman on the Rocks«, der eigentlich kein Roman ist, sondern eine Textsammlung, die Literaturverlage zunächst ablehnten und die der bildende Künstler und Theatermacher schließlich selbst durch seine Galerie verkaufte. In der Volksbühne werden Meeses absurde Gedankenfetzen, Wortspiele, Gaga-Märchen und Quatsch-Dialoge weiter durch den Wolf gedreht.

Irrer Strudel aus mythologischen Eigenkreationen

Susanne Bredehöft, Margarita Breitkreiz, Franz Beil, Benny Claessens, Martin Wuttke, Kerstin Graßmann und Rosa Lembeck spielen »Yeti-Deputys« und »Thermoboys«, astronautische Seefrauen, Piraten, Vogelwesen und Cowboys. Wie ein Kaleidoskop im LSD-Rausch dreht sich dazu Nina von Mechows Bühne, mal sind dort Schiffe zu erkennen, dann Felsen, Wasserfälle, das Meer. In diesem irren Strudel aus Meeses mythologischen Eigenkreationen, popkulturellen, historischen und literarischen Referenzen sucht man vergebens nach Halt.

Piraten und astronautische Seefrauen in »Monosau«

Piraten und astronautische Seefrauen in »Monosau«

Foto: Apollonia T. Bitzan / Volksbühne Berlin

Mal meint man, die Loreley auf ihrem Felsen zu erkennen und Narziss, der selbstverliebt in sein Spiegelbild starrt. Und da, sind das nicht Prometheus, Barbarella, Kapitän Ahab, Dr. No und Goldfinger? Jedenfalls stakst Susanne Bredehöft wie ein Abbild des mit Gold überzogenen Bondgirls Jill Masterson über die Bühne. Hin und wieder erscheint der Künstler selbst in einem Riesen-Ei, das von der Decke schwebt. Da blökt Meese als Videoinstallation Sätze wie: »Nur als Proll der Kunst kannst du die Zukunft meistern« oder »Die Waffe ist gut, der Penis ist schlecht.« Was das bedeuten soll? Keine Ahnung. Man ist sich meistens nicht mal sicher, ob man richtig gehört hat.

»Nur als Proll der Kunst kannst du die Zukunft meistern«

Auch den Dialogen kann man kaum folgen. Die Figuren springen von sinnlosem Streit zu Nonsens-Geplapper (»Ich bin ein Cocktail der ewigen Substanz«; »Sei ein Teil jeglicher Verpuppung«; »Wenn du da bist, bist du da«) und steigern sich in so wahnhaft lange Monologe, dass die Souffleuse ständig einspringen muss. Als Franz Beil sich in einem bekloppten Text über eine Extremmuschel (?) verheddert, ruft er irgendwann: »Ihr habt´s ja verstanden.« Aber verstanden hat man gar nichts.

Je mehr man versucht, einen narrativen Sinn, irgendeine Botschaft, wenigstens einen chronologischen Zusammenhang zu erkennen, desto mehr verliert man sich in Meeses Hirn. Die einzige Parallele zwischen all den Episoden und Figuren ist, dass es keine gibt. Das muss man aushalten. 130 manchmal zähe Minuten lang.

Susanne Bredehöft als Bondgirl

Susanne Bredehöft als Bondgirl

Foto: Apollonia T. Bitzan / Volksbühne Berlin

Die Kunst ist eben autonom, so etwas würde Meese selbst wohl dazu sagen. Sie soll keine Thesen vertreten und niemanden unterhalten. Sie soll sich entkoppeln von allen irdischen Ordnungssystemen, Politik, Religion, auch gesellschaftlichen Verabredungen. Die Kunst als Perpetuum mobile, sich selbst fütternd und antreibend und ausschließlich auf sich selbst verweisend, autark von den kleinen Wichten, die sie produzieren und konsumieren. Allein ihrer Diktatur soll man sich unterwerfen, das fordert Meese ja gern. Das ist in der Theorie vielleicht charmant und an diesem Theaterabend sehr konsequent umgesetzt. Und doch stößt der »regiefreie Abend«, so heißt es in der Ankündigung, schnell an die eigenen Grenzen.

Nihilistischer Klamauk

Denn die Abkehr von allen Ordnungen, Meeses »unschuldiges, ideologiefreies Spiel«, verneint auch die Provokation, die ja Regeln braucht, um sie zu touchieren. Meese bleibt daher nur noch eins: nihilistischer Klamauk. Und das ist dann doch ein bisschen wenig.

Dabei hätte die Volksbühne einen großen Aufschlag gebrauchen können. Schlechte Kritiken und eine dürftige Auslastung hatten dem Theater unter der Intendanz von René Pollesch zu schaffen gemacht. Selbst ehemalige Verbündete wie die linke Aktivistinnen- und Künstlergruppe »Staub zu Glitzer«, die das Haus 2017 unter gewaltigem Medienrummel gekapert hatte, wandten sich ab. Wie der SPIEGEL vor wenigen Tagen berichtete, wollen sie die Volksbühne erneut besetzen . Meeses »Monosau« dürfte sie davon nicht abhalten, auch wenn am Freitagabend nichts von ihnen zu sehen war.

Vielleicht sind es am Ende skurrilerweise die beiden Schlagerschmachthits, die Kerstin Graßmann in einem schwarzen Adidas-Jogger verzweifelt ernst sang, die bleiben. Meistens steht Graßmann, die früher mit Christoph Schlingensief arbeitete, rauchend am Rand der Bühne und quatscht in die Dialoge der anderen hinein, sie sollen verrecken oder so. Als sie sich widerwillig vor den Zuschauerinnen und Zuschauern positioniert, rechnet man also mit einer Publikumsbeschimpfung. Doch Graßmann singt wie eine hoffnungsfrohe Teenagerin Katja Ebsteins  »Wunder gibt es immer wieder« und Marianne Rosenbergs Paul-McCartney-Verehrungshymne von 1970: »Mr. Paul McCartney/Weißt du wie ich leide/Ohne Wort von dir bin ich einsam«. Mehr als jeder Dada-Klamauk zeigt Graßmanns grandiose Performance, wie hilflos, rührend und mitunter lächerlich all unsere Versuche sind, die Welt zu ordnen und mit Sinn zu versehen. Man ist erleichtert, irgendetwas begriffen zu haben – bis eine Konfettikanone in den Zuschauerraum abgefeuert wird. Ums Verstehen gehts hier schließlich nicht.

Beim Hinausgehen zucken zwei Frauen fragend ihre Schultern. Und jemand flüstert: »Überall sonst wird Karneval gefeiert, in Berlin halt eine Meese-Premiere.«

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