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Otto Köhler JUDENMANGEL

aus DER SPIEGEL 47/1966

Die Zeitschrift »Capital - das

deutsche Wirtschaftsmagazin« veröffentlichte in diesem Monat eine Titelgeschichte »Juden in der Wirtschaft«. Das Titelbild zeigt den Stern, den die Juden unter Hitler als Schandmal tragen mußten. Daneben steht geschrieben: »1966 Juden + Wirtschaft = ??????????« Und eine »Capital«-Anzeige in der »Bild-Zeitung« - ebenfalls mit dem ominösen Judenstern - verheißt, es würden in einer »Dokumentation« über die »Juden in der Wirtschaft« »Namen. Zahlen. Tatsachen« genannt.

In welcher Absicht? Um an antisemitische Instinkte zu appellieren? Selbstverständlich nicht. Chefredakteur Adolf Theobald versichert in einer Vornotiz zur Titelgeschichte, das Thema - so eindrucksvoll und großzügig präsentiert, daß jeder »Stürmer«-Redakteur stolz darauf gewesen wäre - dieses Thema habe sich erledigt: »Wir schreiben über ein Thema, das keins mehr ist.« Denn seit Jahren habe »Capital« im Gespräch mit Ökonomen einen »Judenmangel« in der Wirtschaft feststellen müssen.

Wie kam es zu diesem »Judenmangel«? »Capital« gibt detailliert in seiner Titelgeschichte Auskunft: »1933 gab es unter den 68 Millionen Deutschen 500 000 Juden. Und dann gab es die Nürnberger Gesetze, die Arisierung, die Kristallnacht, Emigration und Auschwitz.« Das alles gab es nun einmal. Mit dem Ergebnis: »1945 gab es in Deutschland noch etwa 15 000 deutsche Juden.« Die Juden sind eben

- wie schon der erste Satz der Titelgeschichte feststellt - »das Volk ohne Fortune«.

Der »Judenmangel«, der dadurch zwangsläufig eingetreten ist, wird jedenfalls von »Capital« ehrlich bedauert, zumal die Qualität der noch vorhandenen Juden ebenfalls kräftig nachgelassen hat: »Die Juden in der Wirtschaft sind alt und arm, müde und mittelmäßig geworden.«

Gewiß, da ist »ein Jude namens Brauner«, der in der Filmindustrie »große Geschäfte« machen will, und zwar bezeichnenderweise mit einem Thema, wie es - welch lustiges Wortspiel - »brauner nicht zu wünschen ist«, mit einem Nibelungen-Film.

Gewiß, da ist »ein Jude namens Eden«, der in West-Berlin »Frivolitäten-Etablissements« aufgezogen hat.

Gewiß, da ist »ein Jude namens Deutsch«, der »ausländischen Juden zu deutschen Wiedergutmachungsgeldern verhalf« und unter dem Verdacht des Betruges in Untersuchungshaft saß.

Aber »Capital« sieht darin erfreulicher- und großzügigerweise keinen Anlaß zum Antisemitismus. Wozu auch, die Juden haben heute »politische Konjunktur«, im Gegensatz zum Dritten Reich, wo sie - so könnte man das nennen - unter einer politischen Baisse litten.

Nein, mit dem Antisemitismus ist es vorbei, wenn auch »Capital« der guten Ordnung halber genau nach den Nürnberger Gesetzen den jüdischen Blutsanteil jeweils sorgfältig abwägt und deshalb zwischen Juden und Halbjuden unterscheidet. Den Juden - so bedauert das deutsche Wirtschaftsmagazin - »fehlen wie in Politik. Kultur und Gesellschaft, so auch in der Wirtschaft die großen Namen«. Das kommt, weil »die jüdische Elite nicht nach Deutschland zurückgekommen«, sondern - so darf man vermuten - eigensinnig im Staub der Verbrennungsöfen von Auschwitz geblieben ist. Versorgt wird Deutschland heute nur noch mit nicht so hochwertigen Juden, mit »Juden aus den Ostgebieten«, mit »Ostjuden«, um es deutlich zu sagen. Und die tun nichts, um dem so lebhaft bedauerten Judenmangel in der Wirtschaft abzuhelfen. Sie machen lieber Kneipen auf. Oder, wie es »Capital« mit dem ihm eigenen Witz formulierte: »Die Juden in der Wirtschaft sind heute Juden in den Wirtschaften. Kein Gewerbe ist bei Juden beliebter als das Schankgewerbe...«

Das so effektvoll angekündigte Thema »Namen, Zahlen, Tatsachen« über »Juden in der Wirtschaft«, es existiert also nach dem eigenen Eingeständnis von »Capital« überhaupt nicht.

Wie würde »Capital« reagieren, wenn eine andere Zeitschrift auf ihrem Titelblatt einen Enthüllungsartikel ("Namen, Zahlen, Tatsachen") über »Antisemitismus im ,Capital'« ankündigte, um dann im Innern zu erklären, »Capital«-Redakteure seien ganz bestimmt keine Antisemiten?

»Capital«-Titel

Otto Köhler

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