NEU IN DEUTSCHLAND Junge Utopie
San Domingo (Deutschland), »Ich weiß, daß ich auch mit diesem Film im Bereich des Show Business operiere«, bekannte der Münchner Bundesfilmpreisträger Hans Jürgen Syberberg, 34 ("Sex Business made in Pasing"). Wer könnte ihm widersprechen?
Dabei hat sich Syberberg, der als bester Deutscher im dokumentarischen Cinéma vérité gilt, bei seinem zweiten Spielfilm um höchste Authentizität bemüht: Echte Rocker disputieren mit echten »Rotzeg«-Aktivisten; ein echter Underground-Poet (der Wiener Dramatiker Hans Georg Behr) braut vor der Kamera echten Hasch-Tee für echte Kommunarden. Doch die Handlung folgt vage einer literarischen Vorlage -- Kleists »Verlobung In St. DominEin Mischlingsmädchen (das echte Besatzungskind Alice Ottawa) täuscht dem flachsblonden Ausreißer Michael (Michael König) im Auftrag seiner Kommune so lange wahre Liebe vor, bis Michaels reiche Eltern ein erpreßtes Handgeld zur Rückgewinnung ihres verlorenen Sohnes abgeschickt haben. Als Michael den Trick durchschaut, bringt er die Geliebte um.
Doch diesem Kleist-Schluß und den bayerisch gesprochenen, meist improvisierten Dialogen zum Trotz hat sich Syberberg auch bei seinem ersten, ursprünglich in 16-Millimeter-Technik aufgenommenen Undergroundfilm nicht völlig vom Show Business lösen können.
Aus einer mehr oder weniger distanzierten Neugierperspektive beobachtet er seine Laien-Spieler beim Gespräch und beim Haschen. Anders als sein Kollege Rainer Werner Fassbinder, der selbst in einer fiktiven Geschichte sein anarchisches Lebensgefühl mitzuteilen versteht, hält Syberberg auch Im Dokumentar-Spielfilm vor allem das fest, was den durchschnittlichen Kinogänger interessiert. Warum? Mag sein, daß sein Alter eine Identifikation mit den Utopien der Jungen schon nicht mehr erlaubt; mag sein, daß er beim Drehen zu sehr ans Kinogeschäft denken mußte.
Weil er seinen mit 250 000 Mark aus Bundesmitteln geförderten Film weder einem kommerziellen Verleiher anbieten noch in esoterischen Coop-Zirkeln verschleißen wollte, hat er alle Theaterbesitzer, die sein Werk seit dem letzten Wochenende spielen, einzeln von der Publikumswirksamkeit des Films überzeugen müssen.