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SEKTEN Käufer gesucht

Wo die heilige Stadt des Sektenführers Bhagwan Shree Rajneesh entstehen sollte - in einem abgelegenen Teil des US-Bundesstaats Oregon -, sind letzte Spuren eines religiösen Alptraums zu besichtigen. *
aus DER SPIEGEL 42/1987

»Alles, was Sie da oben noch sehen«, so warnt James W. Johnson vom staatlichen Planungsbüro für Wasco County, weit hinten in den Bergen von Oregon, den Besucher, »ist Ghost Town.«

Die Geisterstadt, durchschnitten von einer ungepflasterten Landstraße, die von dem Rentnerkaff Antelope nach dem Dorf Mitchell führt, hat bis vor kurzem noch Rajneeshpuram (Stadt des Vollmondgottes) geheißen - und in orangefarbene Kleider gehüllte Pilger aus aller Welt hatten sich zu Zehntausenden dort um ihren Guru geschart.

Bhagwan Shree Rajneesh freilich, indischer Religionsstifter und Namensgeber für die Stadt, der hier im weiten Westen der USA eine Art Mekka für seine Anhänger errichten wollte, hat außer vielen Schulden und einem Häufchen verstörter Sanyasin kaum Spuren hinterlassen. Auf dem Flugplatz von Rajneeshpuram, wo der Chessna Twinjet des Bhagwan im Spätherbst 1985 zum letzten Mal abhob, brechen die Disteln durch den Asphalt. »Die Natur«, so Johnson, »holt sich das Gelände zurück.«

Gras überwuchert auch die Pflastersteine der einstigen Zentralen Busstation, wo zur Hoch-Zeit der Bewegung 90 Busse für die 5000 Einwohner und die bis zu 30000 Pilger einen dichten Linienverkehr aufrechthielten. Auf dem Stausee, an dessen Gestaden die Sanyasin dem Meister huldigten, schwimmen statt Blumeninseln nur mehr verwitterte Holzgestelle. Das helle, nur scheinbar marmorne Ortsschild »Rajneeshpuram« ist von Steinwürfen entstellt. Über den Staub der alten Landstraße, einst von Rolls-Royce-Limousinen verwirbelt, klappert ein alter Ford Pinto, vollgestopft mit Einkaufstüten. Ein Bärtiger sitzt am Steuer, aber es ist nicht der Bhagwan.

Er ist einer von zwölf Jüngern, die das Gelände der Sanyasin noch notdürftig in Ordnung halten. Er hat genau zu überlegen, wie die paar Leute, einige noch im traditionellen Sektenrot über die Runden kommen. Denn im Umkreis von 100 Kilometern gibt es keine Tankstelle mehr, auf 50 Kilometer keinen Laden. Wie sie in ihrem altdeutschen Haus über den Winter kommen sollen, wissen sie nicht. Auch das »Hotel Rajneesh« um die Ecke - in dem Bhagwan-Anhänger für ein einfaches Zimmer doppelt soviel bezahlen mußten wie in einem Luxushotel des nahe gelegenen Portland - steht nun leer.

Der weißbärtige Sektengründer, dem im indischen Poona zahlreiche herb-nordische Schönheiten bis zur Selbstentäußerung gehuldigt hatten und dem in Oregon Zivilisationsmüde aus städtischen Anwaltskanzleien, Kliniken und Architekturbüros ihr komplettes Vermögen übereigneten, ist nach einem unsteten Jahr der Flucht wieder im heimischen Indien gelandet. Doch die Zahl der Anhänger des Bhagwan Shree Rajneesh, 55, schrumpft, dafür mehrt sich die Zahl derer, die dem Staatsanwalt Charles Thurner zustimmen, der »in diesem Mann keine einzige positive Eigenschaft entdecken konnte«, wie er sie »sonst selbst noch in jedem Räuber oder Rauschgifthändler« fand.

Noch im Sommer 1985 hatte der Guru bekundet, die Stadt Rajneeshpuram auf 100000 Bewohner zu vergrößern und zur Weltzentrale seiner Bewegung ausweiten zu wollen. Im Jahr davor hatten die Sanyasin noch rund 130 Millionen Dollar in das 260 Quadratkilometer große Gelände, die einstige »Big Muddy Ranch«, investiert, überwiegend aus Spenden von Bhagwan-Jüngern in der Alten und Neuen Welt.

Von den Dollar nährten sich, zwischen neuen Weinstöcken und alten Disteln, etwa 5000 Angehörige der Sekte. Umgeben von bizarren Rotsteinfelsen und glatter Bauhausarchitektur, führten

sie das Leben wohlbehüteter Luxus-Mönche.

Die Bhagwan-Stadt war - obwohl arbeitsam - kein Berg Athos: Die sexuelle Freizügigkeit der frühen Bhagwan-Jahre wich zwar in der Aids-Ära strengen »Safer Sex«-Geboten. Aber gehobene Küche, erlesene Weine und asphaltierte Privatwege für die Komfortbusse gehörten zum Stil. Nur die alte Landstraße zwischen Antelope und Mitchell, die einzige Direktverbindung zwischen diesen beiden jeweils 50 Kilometer entfernt liegenden Gemeinden, hatten die Bhagwan-Jünger ungepflastert gelassen.

Zu den Glanzzeiten des Bhagwan glitten darüber auch die 93 Rolls-Royce-Limousinen, die dem selbsternannten Halbgott vorbehalten blieben.

In Rajneeshpuram, dem die hochkarätigen Anwälte des Bhagwan von den US-Behörden offizielles Stadtrecht verschafft hatten, gab es ein Rathaus, eine Versammlungshalle, Fertighaus- und Mobile-Home-Siedlungen, ein Einkaufszentrum, Verlag und Druckerei zum Erzeugen der »Rajneesh Times«, einen Flugplatz und die »Air Rajneesh« mit sechs Flugzeugen, darunter eine Douglas DC-3 aus dem Zweiten Weltkrieg.

Der Bhagwan selber residierte in einer versteckten Villa mit Innenpool, deren Garagenkomplex mit jedem zusätzlichen Rolls-Royce weiter wuchs: 365 hatten es werden sollen, denn an jedem Tag des Jahres wollte der Religionsstifter in einem anderen fahren.

In der Rentnerstadt Antelope, die sie der Bhagwan-Zone hatten einverleiben dürfen, beherrschten die Sanyasin den Stadtrat, stellten den Bürgermeister, krempelten die Schule um, erwarben ein Dutzend Häuser, darunter die Kneipe, den Gemischtwarenladen und die einzige Tankstelle weit und breit.

Zwei Jahre nachdem des Bhagwans einst engste Vertraute Ma Anand Sheela mit 19 Komplizen und einigen Millionen Dollar Richtung Schweiz entschwand und der Guru selbst zwei Monate später Amerika enttäuscht den Rücken kehrte ("Amerika hat versagt"), scheint den Einheimischen alles nur wie ein flüchtiger Spuk.

In Antelope, von den Sanyasin inzwischen wieder »freigegeben«, stehen die Kneipe, der Laden und die Benzinpumpe leer und zum Verkauf. In Rajneeshpuram sind die Strom- und Telephonleitungen an den Masten abgekniffen. Ein paar Zugmaschinen parken nahe der Busstation, um die letzten mobilen Häuser und rollfähigen Klosetts vom Gelände zu schaffen.

Die asphaltierten Nebenstraßen und auch die öffentliche Straße nach Mitchell sind mit Schranken versperrt. Über den Bergen und den einstmals bebauten Feldern kreisen Raben. Die Huldigungssteine für den Bhagwan am großen Blumensee sind in Holzkisten eingepackt, damit niemand sie zerstöre.

Das Hinweisschild nach Rajneeshpuram bei Antelope ist mit grünem Holz überschraubt. In der jüngsten Ausgabe des großen Straßenatlas von Rand Mc-Nally ist der Name des Ortes - 1985 noch eingezeichnet - wieder getilgt.

Die hehren Namensschilder an den Häusern ("Pythagoras« und »Sokrates") sind verstaubt wie die Kneipenschilder einer verlassenen Goldgräberstadt. Die Reihenhäuser, noch unbeschädigt, stehen leer. Auf einem Ladenfenster des einstigen Einkaufszentrums klebt einsam das Schild »Bhagwan Magazines«. Ein paar Aktenordner liegen wirr herum.

Nachdem der Meister und viele Millionen Dollar aus Rajneeshpuram verschwunden waren, hatte Swami Prem Niren, neuer Bürgermeister der Stadt, den verstörten Jüngern die unausweichliche Pleite der Anlage verkündet. Als der Geldnachschub ausblieb, war das reiche Rajneeshpuram plötzlich ganz arm. Niren verfügte, alles bewegliche Gut rasch zu verschleudern.

Auf einer Großauktion in der alten Erweckungshalle drängelten sich bald die ebenso neugierigen wie hämischen Einwohner von Oregon, um sich billig einzudecken. Die Oregonians sind im allgemeinen Sekten und Sektierern aus Tradition sehr zugetan, aber dieses hier war eben zu viel gewesen. Wie kam einer dazu, einfach einen Sektenstaat in ihrem Land zu gründen?

5000 winterfeste Jacken, noch in Plastik verpackt, gingen für zehn Dollar das Stück weg. Geländewagen und Baugeräte wurden von Betrieben gekauft. Möbel, Videos, Computer und Zelte reisten in Kombi- und Geländefahrzeugen über die Berge ins grüne Land.

Linienbusse, Flugzeuge, transportable Toiletten, Wohncontainer fanden billigen und reißenden Absatz. Zwischen Portland, The Dalles und dem Land steht manches davon wohlverwahrt in den Hinterhöfen. Ende eines Alptraums von Oregon.

Was die Bürger des Staates erbeuteten, war allerdings schon nicht mehr das volle Inventar. Ein Gericht hatte vorher schon die Konten der Erleuchtungssekte gesperrt, um Forderungen Dritter abzusichern.

Fünf Millionen Dollar mußten die Liquidatoren des Bhagwan-Staates der Stadt The Dalles wegen der am Trinkwasser verursachten Schäden hinterlegen. Die Stadt Antelope forderte Geld, um ihre auf Geheiß der Sanyasin aufgenommenen Kredite zurückzahlen zu können.

Nach dem Räumungsverkauf lasteten auf dem Anwesen noch rund 30 Millionen Dollar Schulden. Dieses Geld hoffte Bürgermeister Niren durch den Verkauf des Riesenanwesens beschaffen zu können: Eine Maklerfirma in Portland hält das Gelände, das die Sanyasin 1981 in trostlosem Zustand für 5,75 Millionen Dollar gekauft hatten, im Angebot - bislang fand sich kein Käufer.

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