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UNTERHALTUNG »Kafka war noch verrückter«

US-Bestsellerautor Tom Clancy über Terrorphantasien vor und nach dem 11. September, die Verfilmung seines Thrillers »The Sum of All Fears« und seinen neuen Roman »Red Rabbit«
aus DER SPIEGEL 32/2002

Clancy, 55, gehört seit seinem U-Boot-Thriller »Jagd auf Roter Oktober« (1984) zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. Seine Bücher - häufig im Geheimdienstmilieu angesiedelt und voller Details über Militärstrategien und Waffen - werden von einigen Kritikern für ihre visionäre Tabulosigkeit gelobt, von anderen wegen ihrer latent reaktionären Grundhaltung verdammt. Diese Woche startet die Verfilmung des Clancy-Romans »The Sum of All Fears« unter dem Titel »Der Anschlag« in den deutschen Kinos. -------------------------------------------------------------------

SPIEGEL: Mr. Clancy, in Ihrem Roman »The Sum of All Fears« zünden Terroristen eine Atombombe in einer amerikanischen Großstadt. Die Verfilmung dieses Buches war einer der erfolgreichsten Blockbuster dieses Frühjahrs. Warum wollten so viele Amerikaner jetzt auch im Kino sehen, was Terroristen in ihrem Land anrichten können?

Clancy: Warum gucken sich die Japaner »Godzilla«-Filme an, in denen ein Monster Tokio zertrampelt? Ganz einfach: weil es aufregend ist.

SPIEGEL: »Godzilla« war pure Phantasie. Doch Ihr Szenario, obwohl bereits 1991 veröffentlicht, erinnert an aktuelle Terrorwarnungen der Geheimdienste.

Clancy: Damals war es für mich nur ein Plot für einen Thriller, mehr nicht. Ich denke beim Schreiben nicht an Politik. Dass Terroristen in US-Städten eine Atombombe zünden, halte ich für unwahrscheinlich.

SPIEGEL: In Ihrem Roman waren an dem Anschlag auch arabische Terroristen beteiligt. Im Film wurde daraus eine multinationale Neonazi-Bande. Darf man heute im Kino keine Araber mehr als Attentäter zeigen?

Clancy: Von mir aus schon. Meine Idee war es nicht, das zu ändern. Aber das Studio hat es eben gern politisch korrekt. Und im Gegensatz zu mir wissen die Leute in Hollywood, wie man Filme macht.

SPIEGEL: Sie nicht? Immerhin tauchen Sie als »Ausführender Produzent« im Vorspann auf.

Clancy: Das hat nichts zu bedeuten. Ich habe den Filmleuten ein paar Ratschläge für technische Details gegegeben und dafür ein paar Dollar bekommen. Das war alles. Sobald die Filmrechte verkauft sind, kann das Studio mit dem Buch machen, was es will. Aber der Roman ist besser als der Film, nicht wahr?

SPIEGEL: Sind Terroranschläge nach dem 11. September überhaupt noch ein geeignetes Thema für Unterhaltung?

Clancy: Sicher, warum denn nicht? Ich versuche nur, aufregende Bücher zu schreiben. Wie ich das mache, ist nicht immer angenehm für die armen Teufel, die in den Büchern vorkommen. Aber das ist ihr Problem, nicht meins.

SPIEGEL: Sie sind ein Zyniker.

Clancy: Ich bin Schriftsteller - das ist ein ehrbarer Beruf, wie Shakespeare gesagt hat.

SPIEGEL: In Ihrem Roman »Ehrenschuld« von 1994 steuert ein Kamikaze-Pilot einen Jumbo-Jet ins Kapitol in Washington und ermordet auf diese Weise fast die gesamte US-Regierung. Haben sich die Attentäter vom 11. September möglicherweise davon inspirieren lassen?

Clancy: Nein, das glaube ich nicht. Es ist gar nicht so schwer, auf solche Ideen zu kommen. Als ich 1968 Präsident des Schachclubs im College war, kam eines Tages ein Typ in mein Büro und fragte: Wie wird man am besten die ganze Regierung auf einmal los?

SPIEGEL: Abwählen?

Clancy: Nein, so war das nicht gemeint. Nach einer Viertelstunde sind wir auf die Idee mit dem Kapitol und dem Flugzeug gekommen. Es gibt nicht viel, was man gegen einen solchen Angriff ausrichten kann.

SPIEGEL: Zumal, wenn man offensichtlich nicht darauf vorbereitet ist.

Clancy: Dabei kannte das Pentagon das Szenario: Ende der achtziger Jahre habe ich einem General, der für die Luftüberwachung der Hauptstadt verantwortlich war, erzählt, was wir uns überlegt hatten. Er wurde sehr still. Dann meinte er: Wenn es einen Plan für solche Fälle gäbe, dürfte ich nicht darüber reden. Aber wir haben noch nie über eine solche Bedrohung nachgedacht.

SPIEGEL: Nach dem 11. September haben Sie gemeinsam mit anderen Autoren, Filmemachern und Sicherheitsexperten über mögliche weitere Terrorszenarien gegrübelt. Was ist dabei herausgekommen?

Clancy: Nichts, das war völlige Zeitverschwendung. Wenn man Regierungsbeamten vorschlägt, einmal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, nehmen sie einfach einen größeren Teller.

SPIEGEL: Wenn Sie Terrorist wären, was würden Sie tun?

Clancy: Jura studieren. Die effektivsten Terroristen sind heutzutage die Anwälte.

SPIEGEL: Das müssen Sie genauer erklären.

Clancy: Sie wissen schon: die Anwälte, die für die Umweltschützer arbeiten, diese so genannten Grünen. Das sind die wahren Terroristen. Ihretwegen dürfen wir nicht mehr nach Öl bohren, wir dürfen keine Brücken bauen, wir dürfen nicht mal den kleinsten Baum fällen. Und das ist Bullshit. Diese Leute sorgen dafür, dass sich die Gesellschaft in ihrem Sinne verändert.

SPIEGEL: Sie reden wie ein rechter Politiker.

Clancy: Politiker werden fürs Reden bezahlt. Deshalb denken sie, das sei richtige Arbeit. Ist es aber nicht. Ich werde fürs Schreiben bezahlt.

SPIEGEL: In dieser Woche erscheint in den USA Ihr neues Buch mit dem verdächtig nach John Updike klingenden Titel »Red Rabbit«. Der Verlag macht um das Werk ein Geheimnis, als enthielte es die Angriffspläne der USA gegen den Irak. Warum?

Clancy: Ich rede aus Prinzip nicht über meine Bücher, solange sie nicht erschienen sind. Das wäre Betrug am Leser. Nur so viel: Es geht um ein wahres Ereignis aus den Achtzigern. Drum herum spinne ich meine Geschichte.

SPIEGEL: Es heißt, das reale Ereignis sei das Attentat auf den Papst - und Ihre Idee, dass dahinter Verschwörer im Kreml stecken.

Clancy: Sagen wir mal so: Mir war es wichtig, dass man aus dem Buch einen guten Film machen kann.

SPIEGEL: Ist es nicht doch Achtziger-Jahre-Nostalgie, die da durchscheint? Schon 1991 klagte einer Ihrer Romanhelden: »Ich bin kein rechter Ultra, der nach der Rückkehr des Kalten Krieges jammert, aber damals waren die Russen wenigstens berechenbar.«

Clancy: Ich weiß nicht, ob ich den Satz heute auch noch so schreiben würde. Seitdem hat sich vieles verändert. Aber ich sehne mich nicht zurück nach dem Kalten Krieg.

SPIEGEL: Immerhin haben die Präsidenten Ronald Reagan und George Bush Sie damals ins Weiße Haus eingeladen. Waren Sie auch schon bei Bush Jr. zu Gast?

Clancy: Nein, noch nicht. Ich vermute, er hat im Moment viel zu tun.

SPIEGEL: Bush lässt zum Beispiel gerade ein neues Ministerium gründen - »für die Sicherheit des Heimatlandes«. Ist das nötig?

Clancy: Nein, das Ministerium ist überflüssig, ein Fehler. Es gibt schon genug Bürokratie in Washington, und mit Sicherheitspolitik kenne ich mich auch etwas aus.

SPIEGEL: Früher haben Sie sogar Sicherheit verkauft: Bevor Sie Schriftsteller wurden, arbeiteten Sie als Versicherungsmakler ...

Clancy: ... was mich intellektuell aber nicht gerade gefordert hat.

SPIEGEL: Paranoia zu verkaufen ist intellektuell stimulierender?

Clancy: Allerdings. Ich bin nicht der Erste, der das erkannt hat. Franz Kafka war auch ein Versicherungsmann. Der war allerdings noch verrückter als ich.

SPIEGEL: Bedauern Sie noch, dass Sie wegen eines Augenleidens nicht zur Army durften?

Clancy: Ich habe mich damit abgefunden. Aber ich wäre gern Panzerkommandant geworden. Ich liebe Panzer. Meine erste Frau hat mir vor ein paar Jahren einen geschenkt.

SPIEGEL: Wie aufmerksam!

Clancy: Ja, Sie können bequem mit einer großen Kanone in der Gegend herumfahren. Das ist angenehmer, als ein Gewehr durchs Gelände zu schleppen.

INTERVIEW: MARTIN WOLF

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