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SPIONAGE-ROMAN Kalt an der Mauer

aus DER SPIEGEL 14/1964

Ein englischer Diplomat, zuletzt Vizekonsul in Hamburg, hat die DDR, Ulbrichts Staatssicherheitsdienst und die Berliner Mauer für die Spionage-Literatur entdeckt. Vor rund drei Jahren gab David Cornwell sein Hobby, Bücher zu illustrieren, auf, legte sich das Pseudonym John Le Carré zu und beschloß, »aus Spaß jedes Jahr selbst ein Buch zu schreiben«.

Sein Erstlingsroman »Call for the Dead« (Rufen Sie den Toten an) brachte ihm einen Achtungserfolg, von dem zweiten Buch, »A Murderer of Quality« (Ein Qualitats-Mörder), wurden schon 20 000 Exemplare gedruckt, und mit dem dritten Werk kam jetzt der große Erfolg:

John Le Carrés Roman »The Spy who came in from the Cold« (Der Spion, der aus der Kälte kam) hält seit Wochen die Spitze der amerikanischen Bestseller -Listen. Carré-Cornwells britischer Verleger

Victor Gollancz verkaufte bisher rund 200 000 »Spion«-Exemplare.

Von diesem Buch - sagte Graham Greene ("Der dritte Mann"), es sei die beste Spionage-Geschichte, die er je gelesen habe. Im Herbst - wenn die deutsche Ausgabe des atmosphärisch dicht gewirkten Romans im Wiener Zsolnay-Verlag erscheint - beginnt in London die Verfilmung des »Spions, der aus der Kälte kam«. Hauptrolle: Burt Lancaster.

Der Hollywood-Star wird einen englischen Geheimdienst-Offizier namens Leamas verkörpern, den seine Vorgesetzten in Ulbrichts Republik schleusen, um die DDR-Abwehr von einem anderen britischen Agenten abzulenken, dem es gelungen ist, im Spionage-Zentrum der Sowjetzone Fuß zu fassen. Über diesen wahren Zweck seiner Mission ist Leamas selbst nicht informiert.

Die ausgeklügelte Scharade endet eher wie ein Graham-Greene-Roman als nach konventioneller Thriller-Manier. Leamas scheitert, nachdem sein Einsatz erfolgreich war, an einer menschlichen Schwäche - seiner Zuneigung zu einem sentimentalen Kommunistenmädchen aus London: Er stirbt, von Vopo-Kugeln getroffen, an der östlichen Seite der Berliner Mauer, nachdem er vergeblich versucht hat, das ebenfalls angeschossene Mädchen Liz über Ulbrichts Westwall zu heben.

Anders als sein Landsmann und Schriftsteller-Kollege lan Fleming (SPIEGEL 9/1964), dessen Held James Bond auch erotischen Fallen im Kalten Krieg der Spionage immer wieder lustvoll-sieghaft entkommt, legt John Le Carré, dessen »Spion« Flemings letztes Buch, »Im Dienste Ihrer Majestät«, auf den Bestseller-Listen überholte, Wert auf psychologisch-realistische Glaubwürdigkeit seiner Figuren und Fabeln. Spion Leamas sorgt sich um seine Alterssicherung.

Autor Cornwell, 32, ersann seinen Bestseller-Roman in Bonn, wo er seit 1961 im diplomatischen Dienst Ihrer Britischen Majestät tätig war, bevor er nach Hamburg zog. Deutsche Landesverratsfälle, so die Frenzel- und die Felfe-Affäre, lieferten ihm Anregung und technische Einzelheiten. Den Rest an Spionage Kenntnissen holte sich Cornwell, der ungefragt dementiert, selbst im Geheimdienst gearbeitet zu haben, aus allgemein zugänglichen Standardwerken.

Was er über Deutschland weil, verdankt Cornwell einem Germanistik -Studium in Oxford. Unverständlich ist ihm, warum vor ihm noch klein deutscher Schriftsteller die deutsche Spaltung spionage-romanhliaft verarbeitet hat. Cornwell: »Aber vielleicht fehlt es den Deutschen am notwendigen inneren Abstand.«

Mittlerweile hat der Erfolgsautor den diplomatischen Dienst quittieren können und sich auf Kreta angesiedelt. Dort will Cornwell-Carré zusammen mit einigen Schriftsteller-Freunden ein Internat für Flüchtlingskinder errichten und eine Serie von fünf Thrillern für amerikanische Fernsehsender schreiben.

Schauplatz der Filme: das geteilte Deutschland. Einer de Höhepunkte: Junger DDR-Flüchtling schmuggelt seinen Vater im Laderaum eines VW -Transporters über die Zonengrenze und ermordet ihn nach gelungener Flucht, weil er ihm lästig wird.

Spionage-Romancier Le Carré

Vatermord im Volkswagen

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