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Artikel 67 / 96

»Kampf der Wiegen unausweichlich«

Marielouise Janssen-Jurreit über das Weltbild des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt
aus DER SPIEGEL 6/1989

Die Journalistin und Buchautorin ("Sexismus - Über die Abtreibung der Frauenfrage") Marielousie Janssen-Jurreit lebt in München.

Als die provozierenden Thesen von Charles Darwin über die Entstehung der Arten und die geschlechtliche Zuchtwahl im letzten Jahrhundert nach Deutschland kamen, wurde ein deutscher Zoologie-Professor in Jena der glühendste Anhänger der neuen Lehre. Ernst Haeckel verwandelte die damals noch kaum überprüfte Lehre Darwins in eine Wissenschaftsreligion und verkündete diese in seinem 1899 erschienenen Buch »Die Welträthsel«.

Die Weltanschauung, die Haeckel darin entwarf, nannte er »Monismus«. Die Schöpfung entwickelte sich - so die Monisten - aus einem einzigen Prinzip von der Urzelle bis zum sozialen Aufstieg der weißen Menschenrassen fortwährend zum Höheren. Die monistische Anschauung müsse deswegen die ethische Grundlage des Staates werden.

Bis zum Beginn des Dritten Reiches hatte Haeckels Buch eine Auflage von fast 500 000 Exemplaren erreicht und Generationen von Intellektuellen beeinflußt. In einem politischen Umfeld, das Ordnungsdenken an die erste Stelle setzte, mußte die simplifizierende, brutalistische Auffassung der Evolution als Legitimation für imperialistische Gelüste und kulturelle Überlegenheit der weißen Rasse dienen.

Aber die Linie der intellektuellen Verführung, die von Darwins Theorie ausging, reicht bis heute. Junge Wissenschaftszweige wie die Verhaltens- und die Soziobiologie haben das Erbe der Rassehygieniker angetreten. Mit neuen Forschungsansätzen wird die unselige Allianz zwischen Biologie und Politik wiederbelebt. Einer verunsicherten Gesellschaft werden letzte, nicht anzweifelbare, weil biologisch abgesicherte Gewißheiten über das menschliche Wesen versprochen.

In einer, wie sie meinen, von Ideologien benebelten Welt behaupten die Verhaltensforscher und Humanethologen, nicht nur die Hardware Mensch, sondern auch die Software unseres Gehirns und Vegetativums beschreiben zu können. Daraus leiten sie ihren Anspruch ab, politische Handlungsanweisungen zu erteilen und biologisch fundierte ethische Normen zu propagieren. Zum Imponiergehabe der Verhaltensforscher, um im Jargon zu bleiben, gehört es unübersehbar, sich selbst für ideologiefrei zu halten und gegenüber den anderen Wissenschaften vom Menschen damit zu renommieren.

Ginge es nicht um diesen penetrant vorgetragenen Anspruch, könnte man die dünnen Erkenntnisse über die Universalien menschlichen Verhaltens, die der österreichische Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt mit Geschick immer wieder neu vermarktet**, getrost beiseite lassen.

In jedem seiner Bücher präsentiert uns der führende Humanethologe niedliche Babyphotos, die der Vielgereiste in steinzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften aufgenommen hat. Aus der elterlichen Brutpflege haben sich beim Menschen alle Formen von bindungsstiftenden Verhaltensweisen, Freundlichkeit und personale Liebe, entwickelt. Aus dem Kußfüttern, bei dem die Mutter dem Baby vorgekaute Nahrung in den Mund schiebt, wurde der erotische Kuß. Aber auch das Böse in uns, unsere feindseligen, agonalen Anlagen, die Fremdenfurcht, das Rangordnungsverhalten und die Aggression seien angeborene Verhaltensmuster. Die Neigung zum Gefolgsgehorsam gegenüber schutzversprechenden Führerfiguren gehört nach Ansicht der Humanethologen ebenfalls zur biologischen Grundausstattung.

»Tiere und Menschen sind mit verläßlich abrufbaren Verhaltensprogrammen ausgestattet.« Das eben ist die Frage, die Eibl-Eibesfeldt stets so vielseitig beantwortet, daß die Leser mit den auffälligen Widersprüchen selbst ins reine kommen müssen. Denn wenn wir als »Kulturwesen« »geradezu von der Beherrschung unserer biologischen Natur leben«, »die Folgen verschiedenen Tuns abschätzen und damit die Handlungsalternativen rational erwägen«, wie können unsere Verhaltensprogramme dann verläßlich abrufbar sein?

Anders als etwa sein Lehrer Konrad Lorenz schreibt Eibl-Eibesfeldt platteste Leitartikel-Prosa. An erkenntnistheoretischer Brillanz, wie sie seinen Landsmann, den Zoologen Rupert Riedl, auszeichnet, ist ihm auch nicht gelegen. Dazu ist er zu sehr selbstzufriedener Inhaber eines behaglich-konservativen Weltbilds, das er in zahlreichen Publikationen ausgiebig pflegt.

Problemlos wie keinem anderen gelingt es ihm, das problematische Erbe des deutschen Sozialdarwinismus in die Lehre von angeborenen Verhaltensweisen zu übernehmen. Ob es sich um Themen wie Krieg und Frieden, um die sexuelle Doppelmoral, um Homosexualität, Kapitalismus oder moderne Kunst handelt, immer fühlt sich Eibl-Eibesfeldt als Humanethologe zuständig, glaubt sich zwanghaft berufen, in paternalistischer Manier seiner Leserschaft erzieherisch die Hand auf die Schulter zu legen.

In seinem als Lehrbuch verfaßten »Grundriß der Humanethologie« schilt er die immer weiter entartende Kunst. »Ihre Intentionen können schlicht böse sein.« Sie arbeite »gezielt auf Wertezerstörung, Brutalisierung und Entmenschlichung hin«. Ein verschwenderischer Staat öffne vorbehaltlos den Geldbeutel für den Erwerb von Objekten des Joseph Beuys. Der Ethologe, der auch unsere ästhetischen Präferenzen für angeboren hält, ist sich sicher, daß Kunst dazu da ist, Gruppenidentität durch das Wahre und Schöne zu fördern.

Der Mensch, das riskierte Wesen (laut Arnold Gehlen), hat seine kulturelle Entwicklung so schnell betrieben, daß er nun des Ratschlags der Verhaltensforscher dringend bedarf, um zu überleben. Aber wie?

Trotz unserer kulturellen Evolution wird nach Eibl-Eibesfeldt letztlich alles an der Frage der biologischen Eignung entschieden. »Die Fähigkeit, in Nachkommen zu überleben, das heißt sein Erbgut zu tradieren, bleibt nach wie vor das Kriterium, an dem sich Eignung mißt.«

Die Deutschen handeln nach seiner Meinung »aus ethnischem Selbsthaß«, weil sie die eigenen Fortpflanzungsmöglichkeiten zugunsten von Türken und Asylanten einschränken, »denn die Tragekapazität eines Landes ist begrenzt«. Der Aufenthalt von Asylanten und vor allem türkischer Arbeitnehmerfamilien komme »einer Landnahme gleich«. Den Türkinnen bleibe schließlich keine Wahl, sie müssen mehr Kinder gebären, denn »Macht gewinnen sie nur über Anzahl«. Wenn es so weitergehe wie bisher, daß verantwortungslose Politiker zwar Milliarden für Verteidigung ausgäben, aber freiwillig die Heimaterde an andere Volksgruppen mit anderen Kulturen abträten, sei »ein ,Kampf der Wiegen' in dieser Situation fast unausweichlich«.

Hunderttausende von Bundesbürgern, die besten Grundbesitz an den südlichen Küsten Europas, aber auch an der türkischen Riviera oder auf Bali und in der Karibik erworben haben, müßten demnach wegen Landnahme enteignet werden. Deutsche Rucksacktouristen und Daueraussteiger, die wenig Devisen und viele Probleme in ferne Länder tragen, würden postwendend zurückgeschickt. Ob Eibl-Eibesfeldt seine chauvinistischen Thesen von der angeborenen Fremdenablehnung zu Ende bedacht hat, darf bezweifelt werden.

Nicht nur die Politiker, auch die Feministinnen kriegen kräftig eins aufs Dach. Schließlich tragen sie die Schuld am Aussterben der Deutschen. Dazu schieben sie die viel zu wenigen Geburten auch noch auf, bis sie über dreißig sind und schon unfruchtbar sein können. »Wollte man Völker durch Propaganda vernichten, man könnte es nicht besser betreiben . . .«

Obwohl als Verhaltensforscher von angeborener Mutterliebe überzeugt, empfindet Eibl-Eibesfeldt den »Infantizid« (er meint die Abtreibung) als derart widerwärtig, daß er als marktwirtschaftliche Lösung die Adoption vorschlägt, denn der Bedarf an weißen Babys ist riesig. Die weißen Amerikaner hält er ebenfalls für blind gegenüber der Gefahr, von der schwarzen Bevölkerung ins biologische Abseits gedrängt zu werden. Denn schwarze Menschen werden früher geschlechtsreif, bekommen früher Kinder, und die Dauer der Schwangerschaft ist bei ihnen kürzer.

Als hätte die CSU-Parteizentrale ein Diskussionspapier für die Programmkommission bestellt, preist der Humanethologe die freie Marktwirtschaft und den Kapitalismus. Diese Wirtschaftsform, die sich durch soziale Blindheit und exzessiven Energieverbrauch auszeichnet, findet er »lebensstrombejahend«. Obwohl wir es mit dem quantitativen Wachstum nicht so weit treiben sollten, »daß wir aus Fehlern gar nicht mehr lernen können«, scheut er vor fragwürdigen Vergleichen nicht zurück: »In einer solchen Wirtschaftsordnung kommen auf kultureller Ebene die gleichen darwinistischen Evolutionsprinzipien zum Tragen, die auch die biologische Evolution erfolgreich betrieben haben.«

In den Planwirtschaften mit ihrem mangelnden Mut zum Risiko herrsche »Durchschnittlichkeit« und »eine lähmende Langeweile, die sich auch im Westen in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten breitzumachen beginnt«.

Damit dieser platitüdenhafte Sozialdarwinismus ein liberaleres Mäntelchen erhält, weist der Verhaltensforscher auch gleich darauf hin, wie die sozialen Spannungen im Kapitalismus gemildert werden können. Freundliche Ermahnung an die Tarifparteien, wie sie die Umverteilung handhaben sollen. »Diese sollte nach meinem Dafürhalten nicht auf Nivellierung abzielen, sondern durch schrittweise Anhebung des Wohlstandes der unteren Einkommensklassen auf Angleichung nach oben.«

In einem Aufwaschen wird der »hypertrophe Altruismus« der Europäer gegeißelt, die sich im Verkehr mit der Dritten Welt dauernd selbst herabsetzen und als Ausbeuter anklagen, während sie die allzu reichlich bemessenen Geschenke verteilen. Und so geht es weiter, als hätte einer die populärsten Biertischargumente im Biedermannston zusammengefaßt. Ständig treibt der Verhaltensforscher die ideologische Aufrüstung bis an die Grenze des politisch Tolerierbaren und halst gleichzeitig in einem Rundumschlag unter artigem Hinweis auf Sir Karl Popper allen Andersdenkenden den Dogmatismusverdacht auf.

Tatsächlich beschränken sich die eindeutigeren Funde der Humanethologie auf Universalien wie ein angeborenes menschliches Mimik- und Gestenprogramm, das über alle trennenden Kulturen und Sprachbarrieren unmittelbar verstanden werden kann. Diese mimischen Universalien sind eher ein weiteres Indiz dafür, daß es äußerst geringe genetische Unterschiede zwischen den heutigen menschlichen Populationen gibt. Die Behauptung einer anderen Universalie - eines angeborenen Inzesttabus - scheint nach den überwältigenden Enthüllungen über das Ausmaß des Vater-Tochter-Inzests in den westlichen Gesellschaften äußerst fragwürdig.

»Alle Biologen wissen, daß es kein Gen für Aggression gibt, genausowenig wie für unseren linken unteren Weisheitszahn«, meint der in Harvard lehrende Biologe Stephen Jay Gould. Die Verhaltensforscher glauben es bis heute nicht.

Wenn angeborenes Verhalten nur bedeuten soll, daß etwas im Bereich des Möglichen liegt, »dann ist alles angeboren, was wir tun, und das Wort hat keine Bedeutung«, kritisiert Gould die Behauptung von der genetisch codierten Aggression. Auch die heute friedlichsten Stämme können früher Kriege geführt haben wie die Indianer. Als wir in Steinzeit-Kulturen lebten, war Aggression sinnvoll und nützlich, meinen dagegen die Verhaltensforscher. Erst die alten biologischen Verhaltensprogramme zusammen mit den neuen Waffensystemen ergäben die Gefahr der Selbstausrottung.

Sie übersehen dabei, daß Aggression beim Menschen die völlig neue Qualität der Gewalt annehmen kann und daß diese in einer Vielfalt von Verhaltenszusammenhängen auftaucht, die erst durch unsere Vorstellungskraft und Phantasie ermöglicht werden.

Ein Totschlag im Affekt ist etwas anderes als das affektlose bürokratische Verwaltungstöten eines Adolf Eichmann, die kalkulierte militärische Strategie nicht ohne weiteres aus den spontanen Rangeleien und Schubsereien von kleinen Kindern abzuleiten. Bisher haben Historiker, Theologen, Psychologen und Schriftsteller mehr Einsichten über menschliche Aggression und Gewalt geliefert als die Biologen, weil in der Möglichkeit zur Gewalt auch die entscheidende Dimension unserer Freiheit liegt, zum Guten oder zum Bösen. Gäbe es diese Freiheit nicht, wären wir nichts anderes als gut angepaßte Sozialameisen.

Die Geschichte der wissenschaftlichen Ansichten über Rasse, Geschlecht, Eliten und Unterschichten ist eine Chronik der jeweiligen kulturellen Vorurteile. Obgleich der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt eine bestimmte Denkstruktur für viele Irrtümer und Ideologieanfälligkeiten des Menschen verantwortlich macht, vermeidet er es, diese Einsichten auf sein eigenes Forschungsgebiet anzuwenden. Die biologische Evolution unseres Erkenntnisvermögens verlief so, daß wir im ersten Moment einem einfachen Ursache-Wirkung-Schema den Vorzug geben vor komplexeren Antworten; Rückkopplungen, ein vernetztes Denken, fallen uns schwerer als ein simples kausales Denkschema.

Da es sichtbare Unterschiede im Aussehen, in der Kultur, in Interessen und Kenntnissen zwischen den Rassen und den Geschlechtern gibt, führen diese zu dem kausalen Trugschluß, daß die sozial Überlegenen die größeren intellektuellen oder auch präzisere physische Fähigkeiten besäßen. Der weiße Mann, noch genauer der weiße Wissenschaftler mußte demnach die intellektuelle Avantgarde des Planeten sein.

Seit hundert Jahren versuchen deswegen weiße Wissenschaftler, diese Folgerungen unserer primitiven Logik zu untermauern. Schädelmessungen und Gewichtsvergleiche von Verbrechergehirnen und Hirnen von Genies wurden vorgenommen, französische mit deutschen Gehirnen verglichen und weibliche Gehirne mit denen von Schwarzen in eine Evolutionslinie gebracht, weil Frauen und Schwarze kindlichere Varianten der Menschheit darstellen sollten. In unserem Jahrhundert entwickelte man Intelligenztests, um den Nachweis substantieller angeborener Unterschiede zu führen.

Unsere tatsächlich angeborene Vorliebe, abstrakte Begriffe in Wesenheiten zu verwandeln, führte dazu, einen riesigen Komplex geistiger Fertigkeiten und Vielfalt in dem Kürzel »Intelligenz« zu verdinglichen, so der Biologe Gould, und dieses Ding dann unermüdlich zu messen.

Etwas Ähnliches machen Verhaltensforscher und Soziobiologen, wenn sie Fortpflanzungsstrategien postulieren, als hätte die menschliche Gesellschaft sich je beim Überleben danach gerichtet, das Erbgut gut verzinst als genetische Kapitalanlage in Nachkommen zu deponieren.

Nur innerhalb dieses Denkens, das in der menschlichen Geschichte einen ununterbrochenen Geburtenwettstreit zwischen einander feindseligen Kulturen sieht, kann es jemandem einfallen, daß Türkinnen mehr Kinder kriegen als deutsche Frauen, weil sie in dunklem Drang zur Machtübernahme ihr Erbgut schneller verbreiten wollen. Oder daß Deutsche ihr Fortpflanzungsverhalten einschränken, weil sie Fremden erlauben, sich zu reproduzieren.

Bereits im 19. Jahrhundert praktizierten die Franzosen die Zweikinderfamilie, und die deutsche Geburtenrate war 1931 so niedrig wie 1975, lange bevor Türken in Deutschland waren und lange bevor Feministinnen den Frauen das Kinderkriegen ausreden konnten. Für diese Entwicklung ist ein ganzer Komplex von ökonomischen und sozialpsychologischen Faktoren verantwortlich. Auch unter Hitler war diese Entwicklung nicht reversibel, weil Menschen nicht aus Patriotismus Kinder zeugen.

Die Zustimmung, mit der die Verhaltensforscher bei der Darbietung sozialdarwinistischen Gedankenguts rechnen können, liegt in der vordergründigen Anschaulichkeit und Plausibilität ihrer Thesen. Hat es nicht immer schon Kriege gegeben? Ist unversöhnlicher Fremdenhaß nicht ständig präsent?

Im Gegensatz zu anderen Erziehern des Menschengeschlechts, die alles Böse auf Milieu-Schäden und Erziehung zurückführen, erscheinen die Verhaltensforscher als nüchterne Realisten, denn sie behaupten, daß Religions-, Rasse- und Nationalitätenkonflikte, die wir täglich auf dem Bildschirm sehen, auf »anthropologische Konstanten« und damit nur schwer unterdrückbare Verhaltensprogramme zurückzuführen seien.

Aber unter den heutigen Menschen der Massenzivilisationen scheint die Neigung, sich dem Fremden gegenüber zu riskieren, mindestens so ausgeprägt wie die Schutzsuche im Uterus der eigenen Kultur.

Millionen Massentouristen träumen von nichts anderem, als fremde Kulturen zu besichtigen - ein Bedürfnis, das im Biedermeier noch hauptsächlich durch Abenteuerromane gestillt werden mußte. In den sozialistischen Ländern ist eine der größten Quellen der Bitterkeit das unbefriedigte Fernweh. Für die Fähigkeit, fremde Kulturen zu integrieren, spricht das Beispiel der Vereinigten Staaten, in denen krasseste ökonomische, kulturelle und rassische Unterschiede bisher keine einzige nationalistisch-militante Gruppe wie zum Beispiel die Eta in Spanien hervorgebracht haben.

Dem Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt schwebt eine Welt vor, in der nach der für ihn akzeptablen Lösung der südafrikanischen Homelands Kulturen und Rassen abgegrenzt nebeneinander koexistieren unter Wahrung der eigenen Identität. In einer solchen Konstellation könnten die agonalen feindseligen Tendenzen des Menschen am besten kontrollierbar bleiben.

Damit befindet er sich im Bereich der Wunschträume. Es gibt keinen auf Menschen anwendbaren wirksamen Arten- und Kulturenschutz. Die eine Weltkultur und Zivilisation ist bereits überall eingetroffen, und wo sie tatsächlich noch nicht hingelangt war, haben Forscher wie Eibl-Eibesfeldt mit ihren Film- und Photoexpeditionen alles getan, um die letzten Atemzüge der Steinzeit-Kulturen auf Video zu bannen und zu veröffentlichen.

Die Kulturvernichtung, aber auch der Kulturtransfer - vom Schamanismus bis »Dallas«, von der Chakrenlehre zur Teilchenphysik - sind auf diesem Planeten in vollem Gange. Die gigantische Ent- und Vermischung kultureller Komplexe bedingt geradezu die Herausbildung flexibler Identitäten, die sich nicht feindselig voneinander abgrenzen. Die Fundamentalismen - so hartnäckig sie auftreten - sind Rückzugsgefechte.

Wir müssen ohne die Hilfs-Ichs göttlicher Instanzen und ohne absolute Offenbarungen auskommen oder auf die Grundlagen unserer technischen Zivilisation verzichten. Die Zauberlehrlinge beginnen mit ihrer Vernunft allein zu sein, schreibt der Zoologe Rupert Riedl. Diese Vernunft - ebenso schreckenerregend erkenntnis- wie irrtumsfähig - ist unser Verhaltensproblem. Im Weltbildapparat eines Tieres ist die Fehlerquote klein. Reinen Unsinn zu glauben sei ein Privileg des Menschen, hat uns Konrad Lorenz belehrt. Es reizt sehr, diesen Aphorismus auf einige Ansichten der Verhaltensforschung zu übertragen.

M. Janssen-Jurreit
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