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GRAPHIK / HEARTFIELD Kampf ums Kleben

aus DER SPIEGEL 13/1967

Erst küßte der Ost-Berliner Künstler seine westdeutschen Gastgeber, dann schlug er ihnen vor, gemeinsam ein »schönes Lied« zu singen.

So herzlich handelte John Heartfield, 75, Erfinder des Rotfront-Emblems und des SED-Abzeichens, als er jetzt in Frankfurts politisch-literarischem »Club Voltaire« rund 200 seiner berühmten Photomontagen, Dada-Collagen und Buchumschläge präsentierte. Mit seiner ersten umfassenden Ausstellung in der Bundesrepublik ergriff der Graphiker, den Bertolt Brecht einst »einen der bedeutendsten europäischen Künstler« nannte, »Hände der Solidarität«.

Die Solidarität ist historisch: Linke aller Länder fühlen sich dem Altkommunisten (KPD-Mitglied seit 1918) verbunden, seit er mit vehementen Satiren die »Dritte Reichspest« (Heartfield) zu bekämpfen suchte.

Der Anti-Hitler-Kampf, in der Frankfurter Ausstellung am besten belegt, sah den Graphiker auf der Höhe seiner engagierten Kunst Heartfield ordnete disparate Elemente zu schlagkräftigen Bildern: Hitler läßt sich von einem überlebensgroßen Hintermann Banknoten in die lässig erhobene Grußhand legen ("Millionen stehen hinter mir"); internationale Athleten werden wie Tanzbären an den olympischen Ringen geführt, die Goebbels ihnen durch die Nasen gezogen hat ("Der Zweck vons Janze"); ein SA-Mann komplettiert Jesu Marterholz zum Hakenkreuz ("Zur Gründung der Staatskirche").

Der Autor dieser Tendenz-Plakate hatte als Designer für Einwickelpapier begonnen: Der Schriftstellersohn mit dem bürgerlichen Namen Helmut Herzfeld trat 1911 in die Dienste einer Mannheimer Druckerei für Verpackungsmaterial. Zwei Jahre später, in Berlin, malte er dann -- so sein Bruder Wieland Herzfelde, jetzt Literaturprofessor in Leipzig -- »Seen, viel Luft und großen Himmel darüber«.

Aus derart lyrischer Kunstpraxis wurde der Beardsley-Verehrer Herzfeld durch den Ersten Weltkrieg und die deutschen Hetzlieder gegen England aufgeschreckt. Aus Trotz beschloß er, fortan John Heartfield zu heißen, und simulierte so überzeugend eine Nervenkrankheit« daß die kaiserliche Armee ihn 1915 nach Hause schickte.

Doch Nerven-Krieger Heartfield ging auf seine Art an die Front. Zusammen mit dem gleichfalls dienstuntauglichen Zeichner George Grosz erfand er 1916, »an einem Maientage frühmorgens um fünf Uhr« (Grosz), die Photomontage und nutzte sie alsbald für Feldpostkarten an deutsche Soldaten: Die Künstler kombinierten Aufnahmen lebender und toter Helden mit Annoncen für Bruchbänder, Prothesen, Hundefutter und Spirituosen; aus den Schützengräben kamen ähnliche Grüße zurück. Heartfield heute: »Mit diesen Montagen schlugen wir die erste Bresche in die Lüge vom heroischen Krieg.«

Das Montage-Experiment entwickelte Heartfield, der mit Grosz die Berliner Dada-Gruppe gründete und 1920 auf der »Ersten Internationalen Dada-Messe« in Berlin ausstellte (Bildtitel Grosz ist groß und Heartfield ist sein Prophet"), systematisch weiter. Bald wurde er vom dadaistischen Alles-Kleber zum engagierten Spezial-Kleber und formulierte 1924 seinen ersten großen Angriff gegen den Krieg: Auf dem Bild »Nach zehn Jahren: Väter und Söhne« ziehen uniformierte Kinder, von einem General geführt, an einem Spalier von Skeletten vorbei.

Das Bild-Pamphlet stellte Heartfield im Schaufenster einer Berliner Buchhandlung aus. Als sich jedoch zu viele Menschen davor drängten, wurde es von der Polizei »in Rücksicht auf den Straßenverkehr« entfernt.

Andere Kampfbasen fand der Klebemann in kurzlebigen Zeitschriften ("Jedermann sein eigener Fußball«, »Neue Jugend«, »Pleite") und in den Produkten des Malik-Verlages. Für diesen Verlag, schon 1917 von John Heartfield selbst und seinem Bruder Wieland gegründet, illustrierte er Broschüren und entwarf Bucheinbände. Malik-Autor Kurt Tucholsky: »Wenn ich nicht Tucholsky wäre, möchte ich Buchumschlag im Malik-Verlag sein.«

1933 mußte Heartfield seinen Verlag schließen. Er selbst entzog sich der Verhaftung am Ostermorgen durch einen Sprung aus dem Fenster, versteckte sich ("Ich bin ja sehr klein") im Reklamekasten eines Friseurs, floh nach Prag und kämpfte dort mit Plakaten und Illustrationen weiter gegen Hitler. 1938 entkam er nach London.

Als Heartfield 1950 nach Deutschland, in die DDR, heimkehrte, war seine Kunst der Photomontage dort nicht geschätzt; sie galt als formalistisch und dekadent. So wurde der alte Kämpfer zwar zum Professor und Nationalpreisträger ernannt, aber vorwiegend beim Theater beschäftigt. Heartfield zu seinen Bühnenbildern für Shaw- und O'Casey-Stücke: »Man hat mir oft die falschen Hosen angezogen.

Die alten Zeilen lebten erst wieder auf, als der »harte Jonny« ("FAZ") 1957 Überreste seiner klassischen Montagen aus Moskau zurückerhielt, wo sie 1930 gezeigt worden waren. Er konnte viele Hauptwerke rekonstruieren und seither in Berlin, Peking, Warschau und Rom ausstellen. Besonders wichtig im »Kampf gegen den verfluchten deutschen und internationalen Faschismus scheint dem Künstler jetzt die Frankfurter Ausstellung.

Bei der Eröffnung freilich sah Heartfield nur Freunde: Er wünschte allen Besuchern »ein recht gutes Leben und recht viel Glück und einen schönen Frühling«.

* Für Rotfront und SED

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