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SCHALLPLATTEN NEU IN DEUTSCHLAND Kaum verändert

Charlie Haden: »Liberation Music Orchestra«. Impulse AS 9183 (Electrola Import); 21 Mark.
aus DER SPIEGEL 53/1970

Die »Befreiungsmusik« des einstigen Ornette-Coleman-Kontrabassisten Charlie Haden ist die bisher schärfste Attacke von Free-Jazz-Musikern gegen den American Way of Life. Nach Melodien von Revolutionsliedern aus dem spanischen Bürgerkrieg ("Lang lebe die 15. Brigade"), nach dem »Lied der Einheitsfront« von Brecht und Eisler, versetzt mit Fetzen aus kubanischen Aufstandssongs und dem Soundtrack des Films »Sterben für Madrid« blasen die Spieler der Haden-Band einen subversiven »Song für Ché«.

Dabei haben Charile Haden, 33, und die Komponistin Carla Bley die alten Originalarrangements der linken Hymnen (etwa den Klaviersatz des Eisler-Stückes) kaum verändert. Dennoch ist es Musik von heute -- und das liegt an den wütenden Improvisationen der Musiker, unter ihnen so prominente Solisten wie Gato Barbieri (Tenorsaxophon) und Don Cherry (Kornett).

Zur besten Aufnahme ("Circus »68 »69") wurde Haden vom Parteikonvent der US-Demokraten 1968 in Chicago angeregt: Bei einer Diskussion über den Vietnam-Krieg, als liberale Delegierte den Bürgerrechtssong »Wc Shall Overcome« anstimmten, wurden sie mit dem Schlager »Happy Days Are Here Again« niedergebrüllt. Wie damals die verfeindeten Deputierten, so plärren nun bei Haden zwei Gruppen des Orchesters gegeneinander -- vermischt mit dem Trillern der Polizeipfeifen.

Kein Wunder, daß fünf Plattenfirmen den politisierten Jazz nicht veröffentlichen wollten; die sechste, der Weltkonzern ABC-Paramount« tat es nur widerwillig und mit Abstrichen. Erst nach langen Diskussionen akzeptierten die ABC-Manager den Titel »Befreiungsmusik«; seinen rebellischen Begleittext mußte Haden ändern. »Um sicherzustellen, daß die Aufnahmen nicht noch im Kopierstudio verändert werden«, flog der Bandchef von New York nach Los Angeles und überwachte die Produktion. Reklame für die Platte hat die Firma bis heute nicht gemacht.

»Das alles beweist nur«, sagt Haden, »daß wir auf dem richtigen Weg sind. Von nun an spiele Ich nur noch für die Beendigung des Rassismus, der Armut und der Ausbeutung in Amerika.« Hadens Pläne: Free Jazz nach Black-Panther-Songs und nach Motiven der französischen Studentenrevolution.

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