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DDR KUBA Kaum zu ertragen

Literatur machen ist Parteiarbeit. Kuba
aus DER SPIEGEL 48/1967

Er hieß Kurt Barthel und nannte sich Kuba. Er verfaßte Verse und hielt sich für einen Dichter. Sein Vorbild war der kommunistische Poet Louis Fürnberg. Sein Glaubensbekenntnis war das Fürnberg-Lied: »Die Partei, die Partei, die hat immer recht.«

Deshalb war auch Kurt Barthel, 53, der Partei immer recht. Sie dankte ihm zu Lebzeiten mit vier Nationalpreisen, einem Ehrendoktortitel, dem Dramaturgenposten am Volkstheater Rostock, einem Vorstandssitz im Schriftstellerverband und einem Platz im SED-Zentralkomitee. Und als er am vorletzten Sonntag starb, rief sie ihm im »Neuen Deutschland« nach: »Ein Genosse ist von uns gegangen, der uns die Einheit von Kämpfen und Dichten vorgelebt hat.«

Zu dieser Einheit hatte Kurt Barthel erst auf Umwegen gefunden. Der Eisenbahner-Sohn aus Gamsdorf bei Chemnitz erlernte den Beruf des Dekorationsmalers, ehe er zu reimen begann. Er trat der Sozialdemokratischen Partei bei, ehe er in den dreißiger Jahren zu den Kommunisten stieß. Er ging in die englische Emigration, ehe er sich 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands niederließ.

Aus der Fremde brachte er sein erstes Dichtwerk mit, ein pathetisch gemeintes Epos mit dem Titel »Gedicht vom Menschen« (1939 bis 1947). Darin heißt es: »Um den Globus hat sich meine Hand gespannt. Liegt wie eine Mädchenbrust in meinen Händen. Hab an seinen Gipfeln meine Hand verbrannt und den Brand gelöscht an seinen Gipfelbränden.«

Dafür bekam Kuba seinen ersten Nationalpreis, und angespornt von dieser Anerkennung, schrieb er sich fortan

* Unmittelbar vor seinem Tod im Frankfurter Zoo-Gesellschaftshaus.

Zeile um Zeile an die Spitze der Parteiliteraten. Er verfaßte Dramen über den Seeräuber Störtebeker, den er zum Vorkämpfer des Sozialismus machte, und über die Erdölsucher von Mecklenburg ("Terra incognita").

Er dichtete eine sowjetische Stalin-Kantate für den ostdeutschen Hausgebrauch nach, schrieb Filmdrehbücher ("Vergeßt mir meine Traudl nicht"), modelte den Text zur Verdi-Oper »Nabucco« um und strich bei dieser Gelegenheit aus dem Gefangenenchor der jüdischen Sklaven den der SED unbequemen Satz: »Bald ist Juda vom Joch des Tyrannen befreit.«

Den Sinn seiner Neufassung erklärte er einem Rundfunkreporter so: »Verdi schrieb diesen Chor ausgesprochen um Südtirol. Demnach ist auch der Text. Hier handelt es sich in diesem Chor nicht so sehr um die Juden in Babylon, als um Südtirol.«

Auch sonst erfüllte Kuba seiner Partei jeden Wunsch. Als die SED-Führung dem westlichen Rock"n"Roll-Vormarsch mit der volkseigenen Tanzschöpfung »Lipsi« entgegentrat, lieferte Barthel den Text:

Sommerzeit -- Nike rief und die »Möwe schrie.

Himmelweit, Meerestief Ostseemelodie ... Wieg dich Herz. Schmieg dich Herz. Flieg mein Boot dahin.

Wellen auf. Wellen ab -wie ich glücklich bin!

Als Sekretär des Schriftstellerverbandes verfaßte er Flugblätter gegen die Aufständischen vom 17. Juni 1953. Und Bert Brecht meinte ihn, als er schrieb: »Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes in der Stalinallee Flugblätter verteilen, auf denen zu lesen war, daß das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch verdoppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?«

Als es darum ging, die gegen den Parteizwang aufbegehrenden DDR-Schriftsteller zur Räson zu bringen, war es Barthel, der sich auf dem 6. SED-Parteitag 1963 zum Sprecher des reaktionären Flügels machte. Er bezichtigte alle DDR-Schriftsteller, die sich von den Schreibschablonen der SED zu befreien suchten, der »literarischen Schwarzmalerei«, berief sich wieder einmal auf sein Vorbild Fürnberg und rezitierte ein Fürnberg-Gedicht aus dem Jahre 1957 gegen die aufsässigen Partei-Poeten: Das schreibt und verkündet sein Unbehagen

und bläht sich mit Benn und Kafka und Proust

und fordert und konspiriert und schmust. Und ist langweilig kaum zu ertragen.

Auch dem Klassenfeind jenseits der Staatsgrenze trat Kuba im Parteiauftrag entgegen. 1965 stellte er sich im West-Berliner Studentendorf Siegmunds Hof einer Diskussion über DDR-Literatur. Der Vortrag eigener Gedichte zwar brachte ihm keinen Beifall. Heiterkeit erregte er, als er auf eine Frage nach dem Brecht-Gedicht zum 17. Juni sagte: »Und dieses Gedicht zum 17. Juni 1953 von Bertolt Brecht, tja ... das ist ein wunderbares Bonmot von Brecht, und äh ... ich habe überhaupt keine Lust und keine Urs ... keine Ursache, mit ... Bert Brecht hier eine Kontroverse anzufangen.«

Als Argument für den Mauerbau trug er vor: »Die Mauer, hören Sie mal, diese Mauer haben wir überhaupt nicht gebaut. Die früheren Offiziere ... also die Mauer ... die wurde errichtet, als bei uns in immer größer werdendem Maße in Berlin Großbrände ausbrachen ...«

Wieder nach Westen zog Kuba auch in diesem Jahr. Zur Feier des sowjetischen Oktoberfestes stellte er aus eigenen und anderen Werken eine Revolutions-Revue zusammen, mit der das Rostocker Volkstheater linksorientierte Bundesbürger erfreuen sollte. Titel: »50 rote Nelken«.

Am vorletzten Sonntag trat die Kuba-Kompanie auf Einladung der August-Bebel-Gesellschaft im Frankfurter Zoo-Gesellschaftshaus vor 1100 Zuschauern auf. Doch mitten im Programm erhob sich Tumult. Studenten, von der Polizei später als »Mao-Anhänger« bezeichnet, protestierten gegen die nach ihrer Auffassung zu zahmen Texte und forderten das Ensemble auf« Arbeiter-Kampflieder anzustimmen.

Der Aufruhr hatte sich noch nicht gelegt, da sank, in der ersten Reihe« Kuba vom Stuhl: Daß ausgerechnet Westdeutsche die Texte des roten Revolutionärs nicht rot genug fanden, war für das seit langem kränkelnde, »rastlose Kämpferherz« ("Neues Deutschland") offenbar zuviel. Auf dem Weg ins Frankfurter Hospital zum Heiligen Geist blieb es stehen.

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