Zur Ausgabe
Artikel 17 / 57

KEINE BOMBEN AUF MARIAS HÄUSCHEN

aus DER SPIEGEL 7/1963

Nach vierwöchigem Aufenthalt in der Bundesrepublik, nach Lyriklesungen, die demnächst auf einer Philips -Langspielplatte nachzuhören sind ("Jewtuschenko in Deutschland - Stimmen der Zeit"), nach Prominentenbesuchen von Beltz bis Böll, nach Bundestag-Besichtigung und Schwabing-Erlebnis reiste Sowjetpoet Jewtuschenko

mit seiner Frau Galina letzte Woche nach Paris weiter. In der »Zeit« legte der Dichter, der zuletzt noch - aus dem Fundus des Hamburger Thalia-Theaters kostümiert - auf dem »Nienstedtener Markt, einem hanseatischen Karnevalsball, getanzt hatte, seine »Gedanken beim Abschied aus Deutschland« nieder:

Während ich diese Zeilen im Hamburger Hotel »Prem« schreibe, sehe ich aus dem Fenster Kinder, die auf der zugefrorenen Alster Schlittschuh laufen... Mir ist der Gedanke schrecklich, daß dieser Fluß und dieses Klirren der Schlittschuhe und das Lachen der Kinder - daß all dies in einem einzigen Augenblick und auf immer verschwinden kann wie ein Gespenst.

Wir Erwachsenen müssen um dieser Kinder willen einander vertrauen...

Niemand will den Krieg, und dennoch kann der Krieg jeden Augenblick ausbrechen.

Was soll man machen, um das zu verhindern?

Ich habe hier in der Bundesrepublik mit einem großen Grundbesitzer, einem Jäger, gesprochen. In seinem Arbeitszimmer hängen lauter Hirschgeweihe.

Ich sagte ihm, daß ich nicht Vegetarier sei, daß mir die Jagd dennoch gelegentlich unmenschlich erscheine.

Er brach nicht in Lachen über meine poetische Sentimentalität aus, sondern dachte nach und sagte: »Wissen Sie, Herr Jewtuschenko, das Geheimnis besteht darin, daß die Hirsche, wenn man auf sie schießt, mehr oder weniger weit entfernt sind. Wenn dagegen ein Hirschkalb zu mir ins Haus gerät, so gewöhne ich

mich an es, es wird mir ganz vertraut, und niemals werde ich auf es abfeuern können...«

Da dachte ich darüber nach, daß die Menschen so oft nur darum aufeinander schießen, weil sie weit voneinander entfernt sind, und daß sie sich, wenn sie sich näherkämen, vermutlich verbrüdern würden...

Ich weiß, daß ich niemals auf Heinrich Böll werde schießen können, der mir auf immer vertraut geworden ist, Böll mit seinem guten und müden Gesicht eines Geistlichen und Arbeiters. Ich weiß, daß ich niemals eine Bombe auf das Häuschen werde werfen können, in dem die ganz von innen strahlende Maria Schell ihr Kind in den Schlaf wiegt,

oder auf die Straße, wo eine Frau geht, in deren Augen Rätsel von Jahrhunderten verborgen sind - Barbara Rütting...

Als ich von Hamburg nach Bonn fuhr, da sah ich unterwegs mächtig sich bewegende Panzer, aus denen ganz junge Gesichter hervorguckten. Und kurz davor war es eine wundervoll harmlose Landschaft gewesen.

Ich will nicht die Pose eines einseitig anklagenden Demagogen einnehmen.

Ich dachte nur bekümmert darüber nach, daß die Landschaften aller

Länder der Welt in gleicher Weise durch diese unnötigen Details verdorben werden. Ich bin davon überzeugt, daß jeder x-beliebige Deutsche, der in meinem Lande wäre und unterwegs ebenfalls Panzer sähe, auch nicht gerade besondere Freude empfinden würde. Aber Panzer poltern auf den Straßen aller Länder.

Und all das hat nur einen Grund: Das gegenseitige Mißtrauen.

Und dabei kann es beseitigt werden.

Als ich viermal öffentlich auftrat, in Tübingen, München und Hamburg, da empfand ich anfangs immer die Kühle abwartender Gespanntheit. Dann verschwand diese Kühle - und der Saal hauchte mir den warmen Atem des Vertrauens entgegen ...

Nach meinem Auftritt in München fuhr ich im Auto zusammen mit Maria Schell.

Ich war sehr aufgeregt.

Maria sah das und ergriff meine Hand.

Sie hielt sie während der ganzen Fahrt.

Und mir wurde leichter zumut.

Unsere Hände verstanden einander, obwohl ich Kommunist bin und sie vom Kommunismus so weit entfernt ist wie Goethes Margarethe von Fidel Castro...

Es muß gesagt werden: Während meiner Reise verschwand bei mir einige Voreingenommenheit selbst über den deutschen Charakter.

Die Meinung ist weit verbreitet, daß die Deutschen ein kühles Volk seien.

In meiner Gegenwart wird das jetzt niemand mehr zu behaupten wagen...

Ich erhielt während meines Aufenthaltes eine große Menge äußerst warmherziger Briefe und die verschiedensten Geschenke, von Blumen bis zu Jamaika-Rum. Ich erhielt zum Beispiel zum Geschenk eine abstrakte Plastik, die aus demselben Metall gemacht ist wie Raketen.

Ich bin überzeugt, daß, könnte man alle existierenden Raketen in abstrakte Werke umschmelzen, sogar Chruschtschow zum Anhänger der abstrakten Kunst werden würde!...

Ich sehe erneut aus dem Fenster des Hotels »Prem«, und wieder sehe ich deutsche Kinder sorglos Schlittschuh laufen.

Irgendwo in Moskau laufen jetzt russische Kinder ebenso sorglos Schlittschuh.

Ich fühle mich für ihr Schicksal verantwortlich.

Ich habe den Wunsch, daß sie alle glücklich seien...

Kostümball-Gäste Jewtuschenko und Frau (l.) in Hamburg*

* Mit Schauspielerin Eleonore Schroth.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 17 / 57
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren