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FORSCHUNG Kerne verschmolzen

Tannen, an deren Zweigen zarte Erbsenschoten grünen, Stauden, an denen gleichzeitig Kartoffeln und Tomaten reifen -- Science-fiction? US-Forscher erprobten ein Verfahren, das solche Kreuzungen möglich macht.
aus DER SPIEGEL 37/1972

Begonnen hatte vor 100 Jahren der Augustinerprior Gregor Johann Mendel auch nicht anders: Die Wissenschaftler nahmen zwei verschiedene Pflanzen, die eine hochstämmig mit kleinen Blättern, die andere buschig und großblättrig. Und diese Eigenschaften miteinander zu vermählen, war das Ziel des Experiments.

Doch auf welche Weise die Forscher am Brookhaven National Laboratory in Upton (US-Staat New York) die beiden verschiedenwüchsigen Tabakstauden zusammenbrachten, das war neu: Es gelang ihnen, die Zellkerne der Elternpflanzen mit dem darin bewahrten Erbmaterial direkt -- ohne Umweg über die Befruchtung -- zu verschmelzen. Und zum erstenmal wuchsen aus solcher Kombination von Zellkernen lebens- und fortpflanzungsfähige Bastard-Pflanzen (Hybride) heran.

»Als ersten wichtigen Schritt« auf dem Weg zur Herstellung »künstlichen Erbmaterials«, so ein Kommentar des New Yorker Genetikers Adrian Srb, werteten Fachleute das Experiment von Upton, nachdem die Forscher Dr. Peter Carlson, Rosemarie Dearing und Dr. Harold Smith die Ergebnisse in den »Proceedings of the National Academy of Science« veröffentlicht hatten. Und auch die Upton-Wissenschaftler selber beurteilen die Aussichten optimistisch. »Ich glaube«, erklärte Genetiker Carlson, »daß sich nun jede Pflanze mit jeder anderen kreuzen läßt.«

Bislang waren die Versuche der Botaniker, die Eigenschaften von Pflanzen durch Kreuzung zu verbessern, stets von zwei Handikaps begleitet worden: Die Zucht mittels klassischer Befruchtungstechnik war zeitraubend (weil häufig das Ziel erst nach vielen Generationsfolgen erreicht wurde) und das Resultat oft ungewiß.

Zwar konnten die Züchter auf diese Weise tausendfach Erfolge verzeichnen, von winterhartem Weizen bis hin zu Super-Reis- und -Maissorten, die weltweit zu einer »grünen Revolution« geführt haben. Doch die Wissenschaftler stießen an eine Grenze, als sie darangingen, Pflanzen zu kreuzen, die verschiedenen Arten angehörten. Zwar gelang in diesen Fällen meist noch die Kreuzung der beiden Elternpflanzen. Aber die Samen der Bastarde waren taub -- so wie auch Maulesel, Kreuzungsprodukt von Pferd und Esel, unfähig sind, sich fortzupflanzen.

Die Ursache solcher Unfruchtbarkeit entdeckten die Forscher, als sie das Erbmaterial untersuchten: In den Zellkernen der Bastarde war zwar wie üblich der halbe Chromosomensatz der Elternpflanzen vorhanden. Doch unterschieden sich die Chromosomensätze, beispielsweise in der Anzahl der Erbträger, so deutlich voneinander, daß es zu einer Fortpflanzung nicht kommen konnte.

Diese genetische Barriere (die in der Natur der Reinhaltung der Art dient) konnten die New Yorker Biologen nun umgehen. Ihre Leistung bestand darin, bei dem -- theoretisch schon lange für realisierbar gehaltenen -- Vorhaben die richtige Versuchsanordnung auszutütteln.

Nachdem sie die beiden Tabakpflanzen »Nicotiana glauca« und »Nicotiana Langsdorffii« als Elternpaar gewählt hatten, fanden Carlson und seine Mitarbeiter ein geeignetes Enzym, das imstande war, die Zellwände der von den Elternblättern abgekratzten Zellen aufzulösen. In einer anderen Nährlösung wurden sodann jene Hybrid-Zellen, bei denen sich die Zellkerne mit ihren Erbanlagen wunschgemäß verschmolzen hatten, zum Wachstum angeregt (jede vierte der vorhandenen Zellkombinationen hatte sich kreuzweise verschmolzen).

So entwickelten sich Keimlinge, die -wie bei der Veredelung von Obstbäumen -- auf vorhandene Tabakpflanzen aufgepfropft werden konnten. Die verpflanzten Triebe wuchsen zu Bastardgewächsen heran, deren Merkmale exakt mit denen einer Vergleichspflanze übereinstimmten, die mit klassischer Befruchtungstechnik parallel herangezogen worden war, um das Experiment zu überprüfen.

Den Erfolg der Kreuzung durch Verschmelzung der Zellkerne fanden die Genetiker bestätigt, als sie das Erbgut ihres Labor-Bastards unter dem Mikroskop untersuchten. In den Zellen der durch Kernfusion entstandenen Pflanze fanden sich sämtliche Chromosomen beider Elternstauden -- eine Art Garantie dafür, daß bei weiterer Fortpflanzung gleichsam reinrassige Bastarde nachwachsen.

»Phantastische Möglichkeiten«, etwa die Ernteerträge zu steigern oder gar neuartige Nahrungspflanzen heranzuzüchten, sah denn auch Ralph W. Richardson, Direktor der Rockefeller Foundation, schon heraufziehen, als er von dem Upton-Experiment erfuhr. Nahrungspflanzen, die zugleich unter und über der Erde Früchte tragen, also etwa »Kartomaten« (Kartoffel-Tomaten-Stauden), halten Experten auf lange Sicht für durchaus denkbar.

Vorerst freilich soll die »parasexuelle Bastardisierungstechnik«, wie die New Yorker ihr Verfahren nennen, der Verbesserung traditioneller Pflanzenarten dienen: Sie könnte die klassische, zeitraubende Kreuzungsmethode bei solchen Pflanzen verbessern, die für den weltweiten Nahrungsmittelbedarf wichtig sind, etwa dürrebeständigem Weizen oder ertragreicheren Reissorten.

Daß bei der Anwendung der Fusionskreuzung unerwartete Schwierigkeiten auftreten könnten, glauben die US-Forscher nicht. »Die noch bestehenden Probleme«, so Pflanzengenetiker Carlson, »sind höchstens technischer und nicht theoretischer Art.«

Auch die mögliche Ausbeute der Kreuzungstechnik beurteilt der Biologe zuversichtlich. »Vielleicht erhalten wir bei 100 Versuchen nur einen brauchbaren Bastard«, so Carlson, »doch das ist genug.«

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