Autoren Kind unter Killern
Siegessicher war John Grisham, 38, derzeit der erfolgreichste Thriller-Autor der Welt, aus dem tiefen Süden nach New York gekommen, um dort noch die oberste Stufe der Berühmtheit zu erklimmen: Zugunsten krebskranker Kinder hatte Manhattans versnobte Caritas-Boheme 500 Dollar pro Ticket für die Voraufführung des Films »Die Firma« bezahlt; und sich dafür einen Abend erhofft, der Wohltätigkeit und Nervenkitzel politisch korrekt kombiniert.
Beim anschließenden Galadiner sollte der Autor der millionenfach verkauften Romanvorlage endlich vom Provinz-Parvenü zur festen Society-Größe promoviert werden: gefeiert als der Wundermann, der aus dem Nichts die Bestseller-Listen stürmte, und nun auch noch als Hollywoods verläßlichster Stofflieferant.
Im Kino war dann aber nur ein flauer, langatmiger Abklatsch des Thrillers zu sehen. Gleich drei Drehbuchschreiber hatten Grishams Vorlage verhunzt und aus der spannenden Einer-gegenalle-Story einen betulichen Durchschnittskrimi gestrickt - mit müden Witzen, unnützen Mätzchen und einem widersinnig umgeschriebenen Schluß.
Auch Kino-Beau Tom Cruise kann wenig retten. Hollywoods heldischer Sauberjüngling spielt den jungen Juristen, der langsam dahinterkommt, daß die respektable Anwaltskanzlei, in der er schuftet, eigentlich eine gigantische Geldwaschanlage für die Mafia ist.
Unter der Regie von Sydney Pollack ("Tootsie«, »Jenseits von Afrika") schafft er es aber nicht, aus der von Grisham psychologisch knapp skizzierten Figur einen Leinwandcharakter zu entwickeln, mit dem sich das Publikum identifizieren kann.
Clean und clever hetzt er durch die verflachte Story. Dabei bleibt er so naiv und voll reinen Glaubens an das Böse im Feind wie ein Laienprediger in Grishams strenggläubiger Südstaatenheimat. Ganz so, als habe die Scientology, deren Aushängeschild Tom Cruise ist, inzwischen nicht nur Einfluß auf das Privatleben, sondern auch auf sein Rollenspiel genommen.
Am Tag nach der Vorführung verbirgt Grisham seine Enttäuschung hinter aufgesetzter Nonchalance und diplomatischen Floskeln. Im grünlichen Designer-Anzug und seit Tagen unrasiert, präsentiert er sich in einer Suite im Waldorf-Tower ungeniert als gewiefter Erfolgsautor mit publicityträchtiger Aufsteigerstory.
Routiniert erzählt er von der Kindheit, von den bewunderten Eltern - arm, aber gottesfürchtig - und davon, daß seine Mutter »nie ans Fernsehen, aber dafür an Bücher glaubte«.
Der Sohn eines kleinen Bauunternehmers wurde Anwalt, bearbeitete in einem Vorort von Memphis die schmutzigen kleinen Provinz-Katastrophen und zog nebenbei als Abgeordneter ins Parlament des Staates Mississippi. Langsam kamen ihm die Ideale abhanden. »Nur als Hobby und eigentlich zum eigenen Spaß« begann er zu schreiben. Jahrelang tippte Grisham in aller Herrgottsfrühe auf dem Computer an der »Jury«, seinem Erstling.
Es ist die nahezu authentische Geschichte eines Schwarzen, der im Gerichtsgebäude zwei heruntergekommene Weiße abknallt, die im Suff seine kleine Tochter vergewaltigt und gefoltert hatten. Der verzweifelte Vater hatte sich schon vor der Tat von einem weißen Anwalt die Zusicherung geholt, daß er ihn verteidigen werde. Der Roman über den unauflöslichen Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit ist Grishams persönlichstes, sein ehrlichstes Buch: Er beschreibt einen Fall aus seiner eigenen Praxis. 5000 Exemplare wurden am Anfang von der »Jury« verkauft, 1000 erwarb der Autor selbst. Und doch hält Grisham dieses Buch für sein »bestes«. Alle anderen seien ihm »immer schlechter« geraten. Dabei läuft jeder neue Thriller besser als sein Vorgänger, und auch »Die Jury« hat im nachhinein davon profitiert.
In zwei Jahren haben sich Grishams vier Titel in über 25 Millionen Exemplaren verkauft und den Autor zum heißesten Namen auf dem Buchmarkt gemacht. Gerade hat er einen der lukrativsten Deals der Branche abgeschlossen: sechs Millionen Dollar Vorschuß für seine nächsten drei Thriller.
Auch die Summen für die Filmrechte an seinen Werken steigen stetig. »Die Firma« kaufte Hollywood für 600 000 Dollar, noch ehe der Thriller überhaupt in den amerikanischen Buchhandlungen stand. »Die Akte« verdealte Grishams Agent dann schon für 1,28 Millionen, und sein bislang letzter Coup, »The Client« war den Studio-Bossen gar 2,5 Millionen Dollar wert.
Der Umworbene hat dennoch kein Mitspracherecht bei der Verfilmung seiner Stoffe. Den Mißmut über die Leinwand-»Firma« versteckt der Autor hinter maliziöser Doppeldeutigkeit: »Solange die Veränderungen in einem Film das Tempo der Story nicht verlangsamen, sind sie mir recht.«
Dabei müßte es doch kinderleicht sein, einen Grisham zu verfilmen. Der Jurist schreibe Bücher, so die gängige Einfachstformel der Kritik, die nichts anderes seien als Drehbücher ihrer selbst: keine Tiefe, keine Details, nur Handlung und Klischees.
Die griffige These geht knapp, aber bedeutsam an der Wahrheit vorbei. Grishams Helden, allesamt einsame Kämpfer gegen wütendes Geschick und ein Meer von Plagen, sind tatsächlich Schattenrisse und leben einzig in der sie ausfüllenden Phantasie des Lesers. Im Film, einem Medium mit anderen Gesetzen, zählen aber nicht Behauptung und Andeutung, da zählt die Anschauung. Und die braucht Zeit.
Zeit verschwendet Grisham in seinen Romanen nie. Denn seine Zehn Gebote heißen unisono Spannung: »Für das Tempo einer Geschichte muß man die Charaktere der Figuren opfern, mit ausführlichen Beschreibungen kann ich mich nicht aufhalten. Es ist die Handlung, die den Thriller vorantreibt, es sind nicht die Menschen.«
Die sind Staffage und - leichter noch als Aschenputtels Erbsen - in grundgut und schrecklich schlecht zu sortieren. Der Leser leidet nicht um sie, sondern mit ihnen. Sie sind nicht aus sich selbst interessant, sondern nur durch das, was ihnen zustößt. Und das ist bei Grisham vorhersehbar gleich.
Gnadenlos jagt er seine Helden - allesamt sympathisch, schlau und aufrichtig - durch die Seiten. Jeder ist auf der Flucht vor der Mafia. Denn jeder kennt ein todbringendes Geheimnis. Um die lästigen Mitwisser unschädlich zu machen, mordet der Mob in Serie.
Weil ein Feind nicht reicht, mischen auch FBI und CIA mit. In ihren Reihen tummeln sich - spannungsfördernd - Verräter, Versager und Verbrecher. Und so kämpfen die vielfach verfolgten Geheimnisträger gegen den Rest einer verläßlich zwielichtigen Welt.
Am Ende sind die Opfer die Sieger und diktieren sogar den Behörden die Bedingungen. Ihre Unschuld haben sie dabei längst verloren. Der junge Anwalt aus der »Firma« zockt erst einmal vom FBI Millionen ab, bis er den Beamten endlich die Beweise gegen die Mafia übergibt. Die bedenkliche Botschaft: In einer unübersehbar bedrohlichen Welt, in der auf den Staat und seine Gesetze kein Verlaß mehr ist, überlebt nur, wer sich sein Recht selber sucht.
In Grishams Sommer-Seller »Die Akte«, in Deutschland derzeit bis zu 10 000mal pro Woche abgesetzt, nimmt es Darby Shaw, eine junge Jurastudentin, mit dem Reich des Bösen auf*. Nur so zum Spaß hat sie ein kleines Dossier, die Akte eben, zusammengestellt, in dem sie durchspielt, wer für die spektakulären Morde an zwei der höchsten amerikanischen Richter verantwortlich sein könnte. Denn die Neubesetzung ihrer Posten durch den erzkonservativen Präsidenten verschiebt die liberale Mehrheit im höchsten amerikanischen Gericht.
Mit bösem Zynismus schlachtet Grisham auch in diesem Thriller sein einziges _(* John Grisham: »Die Akte«. Aus dem ) _(Amerikanischen von Christel Wiemken. ) _(Hoffmann und Campe, Hamburg; 480 Seiten; ) _(44 Mark. ) Thema aus: das marode amerikanische Rechtssystem. Er zeigt noch einmal, wie skrupellos aalglatte Juristen mit immer neuen Eingaben, Widersprüchen, Prozessen und Verfügungen das Recht aushöhlen.
»Ich war froh, in den Beruf hineinzukommen«, bekennt der Aussteiger-Autor heute, »aber mindestens genauso froh, wieder herauszukommen.« Es gebe einfach zu viele Anwälte in den USA, »die alle das große Geld machen wollen«.
Gelegenheit dazu gebe es genug: »Die Amerikaner sind paranoid, was ihre Rechte betrifft.« In kaum einem anderen Land wird so viel und um so hohe Schadensersatzsummen prozessiert wie in den Vereinigten Staaten. Stoff für weitere Justiz-Thriller hat Grisham reichlich gesammelt. Ein anderes Sujet kommt nicht in Frage: »Ich kenne die Grenzen meines Talents.«
Der gläubige Baptist, der »immer viel spendet« und sich zuweilen mit Gattin Renee, Popcorn und Cola zu Hause vorm Videorecorder entspannt, ist ein puritanischer Pflichtmensch. Genießen gilt nicht. Sex kommt in seinen Büchern nur in Andeutungen vor, die selbst Erstkläßler leicht verkraften. »Ich kann darüber nicht schreiben«, bekennt er tapfer. Renee, die ihren John seit 20 Jahren kennt und seit 12 Jahren mit ihm verheiratet ist, ergänzt treuherzig: »Von Sex hat er keine Ahnung.«
Kenntnisse dieser Art brauchte sich der Vater zweier Kinder für seinen neuesten Mega-Seller gar nicht erst anzueignen. In »The Client« ist ein elfjähriger Junge das erbarmungswürdige Opfer der Mafia-Hatz.
Mark Sway wird Zeuge, wie sich ein verkommener Anwalt mit den Abgasen seines Autos umbringen will. Mark versucht vergebens, den Selbstmord zu verhindern, erfährt aber vom umnebelten Juristen kurz vor dessen Exitus immerhin noch ein schreckliches Grisham-Geheimnis: Der Winkel-Advokat verrät dem Jungen, wo sein wichtigster Mandant, ein Mafia-Killer, die Leiche seines letzten Opfers verscharrt hat.
Mark weiß: Nur wenn er schweigt, ist sein Leben sicher. Mit seinem letzten Dollar heuert der frühreife Boy, der schlauer ist als FBI und CIA zusammen, eine Anwältin an. Die heißt nicht nur Reggie Love, sondern ist auch sonst ein Klischee-Verbund von beeindruckenden Ausmaßen. Mütterlich und streng, gewieft und mitfühlend. Aber auch sie kann es nicht verhindern, daß ihr kleiner Klient seinen Fall selbst in die Hand nimmt und dabei natürlich alle austrickst. Ein Grisham-Held gibt nie auf.
Ein Grisham-Leser auch nicht. In weniger als vier Monaten verkaufte sich »The Client« in den USA mehr als 2,6millionenmal. Und schon sitzt der Autor an seiner nächsten Story: »Aber das Buch, das ich beginne, wenn ich mit einem anderen fertig bin, ist nie das Buch, das ich dann auch als nächstes veröffentliche.«
Und so lagern einige unvollendete Etüden in seinem Schreibtisch. Er hat sie alle begonnen, um sofort das große Loch zu füllen, in das er nach jedem Thriller zu fallen droht.
Der Ex-Anwalt, der den Glauben an das Recht verloren hat und damit zum Multimillionär wurde, wird weiterschreiben; und sich weiter darüber ärgern, daß er nun selbst »eine Menge Anwälte bezahlen muß, die alle meine Verträge kontrollieren«.
Joachim Kronsbein
* John Grisham: »Die Akte«. Aus dem Amerikanischen von ChristelWiemken. Hoffmann und Campe, Hamburg; 480 Seiten; 44 Mark.