Benicio del Toro in "A Perfect Day" Hilfe, die Helfer kommen!

Eine Gruppe von NGO-Mitarbeitern macht sich in "A Perfect Day" während des Balkankriegs auf die Suche nach einem Seil. Klingt nach einer kleinen Geschichte, ist aber ganz großes Kino - dank Starbesetzung und starkem Drehbuch.
Benicio del Toro in "A Perfect Day": Hilfe, die Helfer kommen!

Benicio del Toro in "A Perfect Day": Hilfe, die Helfer kommen!

Foto: X Verleih

Der Mann ist tot. Aber er ist immer noch schwer. So schwer, dass das ohnehin schon dünne Seil reißt, welches Mambrú um den massigen Körper geschlungen hatte, um ihn aus dem Brunnen herauszuziehen. Die Leiche plumpst zurück ins Wasser. "Ein Fettsack", sagt Mambrú und meint es nicht einmal böse.

Denn ein von Feinden absichtlich platzierter Toter, der das Trinkwasser irreversibel verseuchen wird, wenn man ihn nicht binnen 24 Stunden herausfischt, ist nur eines von vielen Problemen, mit denen die Region kämpft.

"1995, irgendwo im Balkan" sind die vagen Angaben zu Zeit und Ort der Handlung, die Fernando León de Aranoas außergewöhnliche Romanverfilmung eröffnen. Kurz nach offiziellem Ende von Kroatien- und Bosnienkrieg fahren der Sicherheitschef eines NGO-Teams Mambrú ( Benicio Del Toro) gemeinsam mit seinen Kollegen und Kolleginnen B (Tim Robbins) und Sophie (Mélanie Thierry), dem Dolmetscher Damir (Fedja Stukan) und der Konfliktanalystin Katya (Olga Kurylenko) über verlassene Straßen, die vermint sein könnten. Sie wollen ein neues Seil besorgen.

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Drama über Balkankrieg: Ein alles andere als perfekter Tag

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Das Seil, das die Wasserversorgung wiederherstellen könnte, zieht sich als buchstäblicher Handlungsfaden durch die Geschichte eines einzigen Tages: Am Morgen reißt es. Dann versuchen B und Damir, in einem kleinen Dorfladen Ersatz zu kaufen, geraten aber zwischen die Fronten: "Sie brauchen ihre Seile, um Leute aufzuknüpfen", verdeutlicht der Dolmetscher knapp die feindliche Haltung der Anwohner, von denen nicht klar ist, zu welcher Seite sie gehören oder gehörten. Dann verweigert ein Soldat auf einem einsamen Grenzposten mitten in den Bergen ihnen die Herausgabe des Fahnenseils, denn "wenn Fahne unten, dann Feind gewonnen!". Dann führt ein kleiner Junge die Truppe mit dem Hinweis auf ein Seil in sein zerbombtes Heimatdorf und vergisst, ihnen zu sagen, dass an diesem Strick ein zähnefletschender Wachhund festgebunden ist.

Mambrú und B treiben zwar schließlich doch noch ein Seil auf, aber die wie eine Matroschka-Puppe ineinander verschachtelte Story reißt noch lange nicht ab. Es sind vor allem Beziehungen zwischen verfeindeten Einwohnern, Helfern und Soldaten, die das großartige Drehbuch nach dem Roman der spanischen "Ärzte ohne Grenzen"-Mitarbeiterin Paula Farias beschreibt: Wenn man an einer Ecke wackelt, wackelt es auch weit entfernt an einer ganz anderen.

Wenn man etwa den Blauhelmen vorflunkert, es seien Minen in der Brunnenleiche, damit die Soldaten sie herausholen, dann kann das später wegen nachvollziehbarer, aber unsinniger Gesetze auf einen zurückfallen.

Symptomatisch, ohne klischiert zu sein

Die Riege der Charaktere, die Farias und De Aranoa aufgebaut haben, ist dabei symptomatisch, ohne klischiert zu sein. Sie zeigt die Bandbreite der Gründe, die Menschen in gefährliche Krisengebiete ziehen, und wie Idealismus und Zielstrebigkeit von Pragmatismus und Galgenhumor torpediert werden. Da ist etwa die Konfliktevaluiererin, die mit den Worten "Aber die Verhandlungen laufen!" eine Straßensperrung durch einheimische Soldaten aufheben lassen will, aber vor der Realität echter Gewehre kapitulieren muss.

Dass sie Mambrús gehörnte Ex-Liebhaberin ist und wohl von "Models ohne Grenzen" stammt, wie Sprücheklopfer B konstatiert, verdeutlicht zudem die emotionale Ausnahmesituation, in der sich alle befinden: Wie soll man in einer kaputten Umgebung auch nur an "gesunde" Beziehungen denken?

Dass mit Robbins, Del Toro, Kurylenko und Thierry Nicht-Bosnier beziehungsweise Kroaten die Handlung gestalten, ist in diesem Film nicht der altbekannten, aber ja durchaus problematischen Methode geschuldet, Fremdes durch "einen von uns" erklärbar zu machen. Es bildet schlichtweg die vielsprachige Realität ab, die für Helfer und Helferinnen in diesen Gebieten gilt. Außerdem sind es die Einwohner selber, die am Ende die Seilgeschichte mit ihren eigenen Händen entwirren.

Robbins und Del Toro werden für diesen wunderbaren und von Alex Catalán in weiten, irrgartenartigen Totalen von oben gedrehten Film keine Oscar-Gagen bekommen haben. Sie machten dennoch mit, spielen gemeinsam mit dem Rest des Ensembles wuchtig, humorvoll, auf den Punkt. Und ziehen hoffentlich auch die Zuschauer vom Sofa, die für eine Balkangeschichte aus den Neunzigern normalerweise nicht mit der Wimper zucken würden.

Momentan wird überall über sichere Herkunftsländer und Kriegsfolgen diskutiert, Millionen Menschen sind von den Entschlüssen betroffen. "A Perfect Day" könnte bei solchen Diskussion helfen.

Im Video: Der Trailer zu "A Perfect Day":

A Perfect Day

ES 2015

Regie: Fernando León de Aranoa

Drehbuch: Fernando León de Aranoa in Zusammenarbeit mit Diego Farias - nach dem Roman "Dejarse llover" von Paula Farias

Darsteller: Benicio Del Toro, Tim Robbins, Mélanie Thierry, Olga Kurylenko

Verleih: X Verleih

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 12 Jahren

Start: 22. Oktober 2015

"A Perfect Day": Offizielle Website zum Film 
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