"American Hardcore" Einmal Jackass, immer Jackass
Punk in den USA war anders: Lauter, schneller, aggressiver als der Vorläufer aus Großbritannien - eben hardcore. Er war der Lärm von überwiegend weißen Teenagern aus der Unter- und Mittelschicht, die keinen Bock hatten auf Konsum, Mainstream und Dauergrinsen. Erdrückt vom konservativen politischen Klima fand ihre Wut am Anfang der Reagan-Ära ein passendes Ventil. Hardcore-Punk breitete sich in Windeseile aus den Vororten von Los Angeles über die ganzen Staaten aus.
Ein halbes Jahrzehnt feierte sich die Subkultur mit einer Energie, die die Macher von einst noch heute begeistert: Musiker von Black Flag, Minor Threat und Bad Brains, um die wichtigsten zu nennen, die sich in der Dokumentation "American Hardcore" an ihre Jugend erinnern. Der Film von Paul Rachman und Steven Blush Blush gab mit seiner 2001 veröffentlichten Biographie "American Hardcore: A Tribal History" den Anstoß dazu gleicht zwar eher einer um Chronologie bemühten, unkommentierten Montage aus alten Konzertaufnahmen und aktuellen Interviews, denn einer klassischen Dokumentation. Trotzdem weiß sie zu begeistern, so lebendig transportiert sie Lebensgefühl und explosives Potential jener Subkultur, die derzeit wieder mal ein Revival feiert ein gemäßigtes, kommerzielles versteht sich.
Paul Rachman und Steven Blush waren in den achtzigern selbst in der Hardcore-Szene aktiv. Blush veranstaltete Punk-Konzerte in Washington und Rachman drehte Musikvideos. Bewaffnet mit einer Digitalkamera und einem Laptop mit Videoschnitt-Programm führten die beiden fünf Jahre lang mit ehemaligen Mitstreitern über hundert Interviews. Im Zentrum stand die Frage: Was macht ihr heute?
Manche sitzen im Schlips vor der Kamera, andere lümmeln vor Selbstgetöpfertem oder überladenen Plattenregalen. Doch alle schwärmen: "Ich bin immer noch der Jackass, der ich immer war, auch wenn ich nun sesshaft bin", sagt der einstige Roadie und heutige Reverend Hank Pierce. Und Vic Bondi (Articles of Faith) erinnert an die wohltuende Revolte gegen die Spießer von damals. " Jeder sagte, es sei "Morgen in Amerika". Jemand musste ihnen einfach entgegnen: It's fucking midnight!"
Aggression und Wut
Keiner, der vor 25 Jahren beherzt zum Instrument griff, dachte an Plattenverträge und Karriere. Wozu auch? Für die Plattenindustrie war der Haufen ungehobelter Außenseiter uninteressant. Für Letztere war die Musik jedoch noch mehr als nur Ventil ihrer juvenilen Wut, sie erlaubte jene Gruppendynamik, die Hardcore-Fans zu einer eingeschworenen Gemeinde über das ganze Land verband. "Don't fuck with me" lautete eines ihrer Motti, "Do it yourself" das andere.
Und das ging vom Organisieren der Konzerte bis zum eigenhändigen Zurechtschneiden der Plattenhüllen von 10.000 Singles wie Ian MacKaye (Teen Idles, Minor Threat, heute Fugazi) erzählt. Minor Threat waren es auch, die mit dem Song "Straight Edge" plötzlich eine andere Lebensphilosophie propagierten: Kein Alkohol! Keine Drogen! Das war neu für eine Generation, die mit der Hippiekultur und deren eskapistischen Slogans sozialisiert worden war. Statt Peace und Dröhnung standen nun Aggression und eine unbekümmerte "Scheißegal"-Haltung hoch im Kurs. Immer öfter kam es zu Gewaltexzessen auf den Konzerten und Schlägereien mit der Polizei.
So erzählt Henry Rollins beispielsweise, wie er sich, kaum war er Frontmann bei Black Flag geworden, sogleich im Fan-Gerangel die Nase brach. Und: Wie ihn Polizisten aufstachelten, damit er als Erster handgreiflich würde. War Rollins damals noch ein vergleichsweise schmales Hemd, enthüllen alte Konzertbilder, dass er über die Jahre seinen Körper den rauen Sitten anpasste: muskelbepackt und über und über tätowiert steht er zum Schluss mitten in jenem Sturm, den er auch mit seinen Texten intelligent zu schüren wusste.
Essenz der Subkultur
"American Hardcore" weidet sich jedoch weniger an Rollins früheren Metamorphosen, sondern feiert das Entstehen jeder neuen Hardcore-Band auf der Landkarte der USA. Zwar fehlen einige etwa die Misfits, Hüsker Dü, selbst die Dead Kennedys. Doch die Vielschichtigkeit der Dokumentation schmälert dies nicht. Mochten es eine Band wie Negative FX nur auf sechs Flyer, fünf Konzerte, ein Album und 18 Songs bringen, setzten andere wie die Bad Brains noch heute geltende Maßstäbe. "Don't care what they may say, we got the attitude" sang die einzige schwarze Hardcore-Band Bad Brains und traf damit die Essenz dieser Subkultur: die richtige Einstellung zu beweisen.
Die höchst kreative Zeit fand um 1986 ein jähes, wenn auch konsequentes Ende. Rachman gibt der Wiederwahl Reagans die Schuld daran - sie signalisierte den jungen Leuten, dass ihr Prostest vergebens war. Doch er lässt auch andere urteilen: keine Journalisten, sondern Insider. Schließlich entstand "American Hardcore" ist mit der gleichen Einstellung, wie damals die Musik keine langen und unnötigen Erklärungen, keine gefälligen Bilder und vor allem: kein technisch-optimierter Sound. "American Hardcore" ist ein sympathisches, mit einer Vielzahl von raren Konzertmitschnitten gespicktes, beileibe nicht vollständiges Zeitdokument. Ebenfalls typisch Punk: die beeindruckend lange Liste zu früh Verstorbener im Anhang.