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Stasi-Doku "Anderson" Der König hört mit

Im zweiten Teil ihrer "Trilogie des Verrats" nimmt sich Dokumentarfilmerin Annekatrin Hendel des Falls Sascha Anderson an. Der Schriftsteller hatte sich in der DDR als Popstar der Subversion gegeben - dabei war er auskunftsfreudiger Stasi-IM.

Die Stasi ist, medial betrachtet, ein Springteufel der Geschichte. Ab und zu poppt noch etwas auf, dann gibt es Enthüllung, Bekenntnis oder Dementi, Reue oder Rückzug, und die Sache ist erledigt. Die Stasi hat den Vorteil, dass man gut und böse viel klarer unterscheiden kann, als dass in den aktuellen Konflikten einer komplexen Welt möglich ist. Sie verbreitet ein wenig Grusel (die krustigen Geruchsproben in den Einweckgläsern!), beruhigt aber auch, weil von ihr keine Gefahr mehr ausgeht: Die alten Funktionäre in Hohenschönhausen mögen sich öffentlich starrköpfig zeigen. Dass sie zum Sturm auf Berlin bliesen, um ein Stasifat zu errichten, muss aber keiner fürchten.

Insofern kann man sich fragen, wozu es Annekatrin Hendels neuen Dokumentarfilm über Sascha Anderson braucht. Die Geschichte, die "Anderson" aufrollt, ist bekannt: Der König des literarischen Prenzlauer-Berg-Untergrunds nach der Biermann-Ausbürgerung stellt sich schließlich als dessen größter Verräter heraus, der Popstar der Subversion war zugleich die beste Quelle des überwachenden Staates. Hendel zitiert das entscheidende Fernsehbild von 1991, in dem der um Herablassung bemühte Wolf Biermann und der völlig aufgelöste Anderson in einer Theaterkantine aufeinander treffen, kurz nachdem Biermann - natürlich medienwirksam in seiner Büchner-Preis-Rede - die IM-Tätigkeit des einst geschätzten Kollegen öffentlich gemacht hatte.

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Filmporträt "Anderson": Von der Stasi zum Walser-Clan

Foto: Edition Salzgeber

Eine Qualität von "Anderson" besteht darin, dass der Film den Autor dieser Zusammenführung, den ehemaligen "Kennzeichen D"-Journalisten Holger Kulick, nicht als unabhängigen "Experten" versteht. In jeder gängigen Fernsehdokumentation würde Kulick, wie auch BStU-Chef Roland Jahn, als neutral-objektive Instanz gesetzt, die dem Zuschauer Wissen und Moral vermittelt. Bei Hendel wird Kulick aber zum Teil des Spiels: als Journalist, der alles zu Beiträgen verarbeitet hat, was er in die Finger kriegte.

Dieser Vorwurf kommt zwar vom notorischen Geschichtenerzähler Anderson, als der zu erklären versucht, warum er 1991 nicht reinen Tisch gemacht hat. Aber damit öffnet sich der Blick auf den Umgang mit den Stasi-Geschichten. Die Biermann-Anderson-Zusammenführung von Kulick mag ein sensationeller Moment Fernsehen sein, die "reine Psyche" (Anderson). Dass sich damit etwas klärte, eine seriöse Auseinandersetzung motiviert würde, wird wohl aber keiner behaupten.

Zementierte Bilder von DDR und Stasi aufbrechen

Hendels Antrieb, Andersons Fall noch einmal zu erzählen, ist der Versuch, die zementierten Bilder von DDR und Stasi aufzubrechen für differenzierte Lesarten. Schon in "Vaterlandsverräter", ihrem ausgezeichneten Vorgänger-Film, portraitierte Hendel einen IM, den Dichter Paul Gratzik. Anderson hatte darin einen Auftritt als von Gratzik protegierter Jungschriftsteller. Wo Gratzik als verwundeter, aber sturer Kämpfer für seine Weltsicht erschien, wirkt Anderson nun in seinem leicht nöligen Sächsisch und trotz eines ausgeprägten Kompensationslachens durchaus charismatisch.

Zur Erinnerungsanregung hat die Filmemacherin Anderson ihn in seine einstige Wirkungsstätte zurückversetzt - in die Küche des Liedermachers Ekkehard Maaß, wo sich einst ein subkultureller Literatenkreis traf. Die Küche ist, ein visuell reizvoller Einfall (Kamera: Frank Griebe, Jule Kramer, Jarek Raczek), im Studio wieder aufgebaut. Wenn man bedenkt, dass Maaß sich mit einigem Recht als Opfer begreifen kann, weil Anderson seinerzeit bei ihm "eingewohnt", ihm die Frau genommen und dann noch über ihn berichtet hat, dann ist der Abtransport der Küche zum Aufbau einer Bühne für den Spitzel allerdings ein grausamer Akt.

Regieeinfälle wie die Rekonstruktion der Küche führen wiederum ins Zentrum von Hendels "Trilogie des Verrats", dessen zweiter Teil "Anderson" ist: Filmemachen korrumpiert, insofern die beste ästhetische Entscheidung für den Film nicht immer die ethisch würdevollste ist. Ein Maler, der sein Bild nicht als Hintergrund für Andersons Auskünfte sehen wollte, hat nach der Premiere bei der Berlinale auf Verpixelung gedrungen.

An seine Grenzen stößt der Film schließlich auch, wenn er Andersons Geschichte nicht ins Heute verlängern kann, weil der Spion sein Privatleben schützen will. Dass Sascha Anderson, anders als der existentiell gebrochene Gratzik, als Schwiegersohn der illustren Walser-Familie ein wohlständiges Leben in der Nähe von Frankfurt/Main führt, muss Hendel dem Zuschauer "verraten" durch nebenher gefilmte Buchcover. Dabei wäre eine solch elitäre Karriere durch alle Zeiten und Systeme der aufregendere Stoff, als die kluge Neubewertung der letztlich abgeschlossenen DDR-Geschichte, die "Anderson" liefert.

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