

Ein traditionelles Märchen neu zu erzählen, klingt zunächst nach langweiliger Folklore. Doch Anime-Ikone Isao Takahata hat den Stoff für sein Spätwerk ganz bewusst gewählt. Denn die Figur der Prinzessin Kaguya ist japanisches Kulturgut. Auch in Anime-Form taucht sie nicht zum ersten Mal auf. In der Serie "Sailor Moon", die neben den Studio-Ghibli-Filmen als einer der Wegbereiter der Anime-Kultur in der westlichen Welt gilt, erscheint sie ebenso, wie in zahlreichen Manga-Comics.
Die Figur basiert auf einem der bekanntesten japanischen Märchen, Taketori Monogatari, der "Geschichte vom Bambussammler". Die Handlung des Märchens ist recht schnell erzählt: Der Bambussammler Okina findet ein Miniatur-Waisenkind in einer strahlenden Blüte im Bambuswald und entschließt sich, das Kind als Gottesgeschenk bei sich aufzunehmen. Tatsächlich ist Kaguya ein Himmelskind, das des Mondes verwiesen wurde, und sie bringt Okina und seiner Frau Ona Glück und Reichtum.
In der Stadt soll sie zur Prinzessin erzogen werden, schon bald halten mehrere hochrangige Kandidaten um ihre Hand an. Denen gibt Kaguya einem nach dem anderen einen Korb, indem sie deren vollmundige Versprechungen beim Wort nimmt und sie so vor unlösbare Aufgaben stellt. Es ist ganz erfrischend zu sehen, dass diese japanische Prinzessin nicht auf Mr. Right wartet, sondern ihr Schicksal selbst mitbestimmt. Doch anders als bei Disney und Co. endet das Märchen nicht mit der Traumhochzeit, sondern nimmt eine melancholische Wendung, als Kaguya schließlich zum Mond zurückkehren soll.
Diese mitschwingende Melancholie ist ein typisches Merkmal von Isao Takahatas Werken. Sein vielleicht bekanntester Film, sicher aber der ergreifendste, war die Kriegserzählung "Die letzten Glühwürmchen", auch dieser prägend für die Legendenbildung um das von ihm mitgegründete Studio Ghibli. Nachdem mit Hayao Miyazaki der erste Altmeister mit "Wie der Wind sich hebt" sein laut eigener Aussage letztes Werk vorlegte, zog nun sein einstiger Förderer Takahata nach. Mehr als 14 Jahre sind seit seinem letzten Film verstrichen, doch das Warten hat sich gelohnt. Da stört es auch nicht weiter, dass der Zuschauer ein bisschen Zeit mitbringen muss, denn die Geschichte der kleinen Mondprinzessin streckt sich über 137 Minuten. Die sind dafür gefüllt mit dem alten magischen Gefühl der Ghibli-Filme.
Liebe zum Detail
In den meisten seiner Produktionen führte Takahata Auseinandersetzungen mit sozialen und politischen Themen der japanischen Gesellschaft und galt gar als Miyazakis soziales Gewissen. Bei aller Nostalgie für ein verlorenes Japan, die schon "Wie der Wind sich hebt" prägte, reibt sich der 79-jährige Takahata auch in seiner Erzählung von Kaguyas Geschichte an den gesellschaftlichen Widersprüchen des modernen Japans. Das Aufbegehren der Prinzessin gegen die Erwartungen ihrer irdischen Eltern und die um sie konkurrierenden Bewerber ist auch das Ringen einer jungen Frau mit der ihr zugedachten Rolle; es ist eine Gegenwehr gegen gesellschaftliche Konventionen.
Das Besondere an "Die Legende der Prinzessin Kaguya" ist aber die gestalterische Umsetzung. Neben den Elementen des japanischen magischen Realismus ist auch der gewählte Zeichenstil kunstvoll mit der Entwicklung der Geschichte verwoben. Mit dem Aufwachsen des Kindes zur jungen Frau, wird auch der Zeichenstil mehr und mehr erwachsen. Während die ersten Szenen ein wenig wie ungelenke Skizzen wirken, kommen später klarer definierte Formen und Farben ins Spiel und unterstreichen die Erzählung grafisch. Die Tuschezeichnungen sind stark an traditionelle japanische Kunst angelehnt und zollen so der langen Geschichte des Märchens Tribut. Acht Jahre lang hat das Ghibli-Team jedes einzelne Szenenbild von Hand gezeichnet. Diese Liebe zum Detail zahlt sich aus. Von der oft steril wirkenden Perfektion computergenerierter Figuren setzt sich der Film meilenweit ab.
Wie anrührend Kaguyas Legende mit einfachen Mitteln erzählt ist, unterstreicht einmal mehr die Sonderstellung von Studio Ghibli in Zeiten, in denen ohne 3D und Hollywoodstars zur Synchronisation kaum ein Animationsfilm produziert wird. Die Wahl des Märchens vom Mond und der Prinzessin und die stilistische Umsetzung ist damit nicht nur als Takahatas Hommage an traditionelle japanische Erzählkultur zu verstehen; sondern vor allem als Hommage an die vergängliche Kunst des handgezeichneten Anime-Films, den er selbst mitgeprägt hat.
Originaltitel: Kaguya-hime no Monogatari
Japan 2013
Drehbuch: Isao Takahata, Riko Sakaguchi
Regie: Isao Takahata
Mit: Tatsuya Nakadai, Shichinosuke Nakamura, Kengo Kôra, Nobuko Miyamoto, Takaya Kamikawa, Tomoko Tabata
Produktion: Studio Ghibli
Verleih: Universum
Länge: 137 Minuten
Start: 20. November 2014
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"Die Legende der Prinzessin Kaguya" erzählt die Geschichte von Kaguya: Sie wird des Mondes verwiesen - und in einem Bambusstrauch von ihren irdischen Eltern entdeckt.
Der Bambussammler Okina entdeckt Kaguya und beschließt, sie bei sich aufzunehmen. Gemeinsam mit seiner Frau Ona zieht er das Kind auf. Eine gute Entscheidung, denn...
... die Kleine ist nicht nur ein Geschenk des Himmels. Sie bringt dem Ehepaar auch Glück und Erfolg.
Der Film "Die Legende der Prinzessin Kaguya" feierte im Jahr 2013 in Japan Premiere. Erst jetzt ist der Film des Studio Ghibli auch in Deutschland zu sehen.
Der Film basiert auf einem der bekanntesten japanischen Märchen, der "Geschichte vom Bambussammler". Für Regisseur Isao Takahata ist es der erste Film seit 14 Jahren. Das Warten hat sich gelohnt.
Kaguya soll in der Stadt zur Prinzessin erzogen werden. Das richtige Outfit ist da von entscheidender Bedeutung.
Als Kaguya älter wird, machen ihr mehrere Prinzen einen Heiratsantrag. Doch die junge Frau lehnt ab - indem sie die Männer beim Wort nimmt und damit vor unlösbare Aufgaben stellt.
Das Herausragende an dem Film "Die Legende der Prinzessin Kaguya" ist die gestalterische Umsetzung: Der Zeichenstil ist kunstvoll mit der Entwicklung der Geschichte verwoben.
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