Animierte Filmfiguren Zombies in der Pixelhölle

Wie fremdartig und verheißungsvoll diese Welt doch glänzt, tropft und ventiliert! Hinter jedem illuminierenden Pflänzchen hockt ein anderes Reptil, unter jedem giftig grün leuchtenden Algenblättchen lungert ein Sammelsurium von Amphibienwesen. Eine wunderbare Mixtur aus Tiefseekosmos, Troparium und türkischem Dampfbad hat Regisseur James Cameron mit seinem zurzeit in den Kinos laufenden Großwerk "Avatar" kreiert.
Seit Mitte der Neunziger arbeitete er an dem Projekt. Damals kursierten ja noch Begriffe wie Cyberspace oder Virtual Reality, die von einer Wirklichkeit kündeten, die es mit dem Computer erst noch zu erschaffen galt. Klang interessant, dieser Cyberspace - aber wie konnte man denn da nun echte Menschen oder deren virtuelle Stellvertreter hinein verfrachten?
Vom ersten großen Cyber-Thriller "Matrix" (1999) bis zum mega-digitalen Monumental-Flop "Speed Racer" (2008) - bezeichnenderweise beide von den weltverlorenen Wachowski-Brüdern ersonnen - lässt sich feststellen: Tricktechnisch waren die Nullerjahre eigentlich nichts anderes als ein von viel grobem computergenerierten Unfug und von genauso vielen liebevollen digitalen Schöpfungsakten geprägter Versuch, endlich diese viel beschworene Realität hinter der Realität zu erobern.
Dass dies nun James Cameron als erstem wirklich gelingt, hat auch damit zu tun, wie er seine kreatürliche Kunstwelt quasi entgegengesetzt zu anderen Regisseuren gestaltet hat. Ohne blasphemisch zu sein: Wie Gott erschuf er erst die neue digitale Welt und dann die Wesen, die sich darin bewegen. Mittels des sogenannten Motion-Capture-Verfahrens übertrug er die Bewegungsabläufe menschlicher Stars auf deren computeranimierte Doppelgänger, die sich dann dank virtueller Kamera quasi frei im schon existierenden Pandora-Paralleluniversum bewegten. Der Mensch - bei Cameron ist er endlich nicht mehr Fremdkörper im digitalen Paradies.
Feinste Härchen voller Glück und Angst
Und das ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel. Denn seit dem ersten großen Cyber-Abenteuer "Matrix", in dem Maschinen den wie Nutzvieh gehaltenen Menschen eine digitale Illusion der Wirklichkeit vorgaukeln, verhieß die virtuelle Zweitwelt nichts Gutes für den Homo sapiens. Meist war er dazu verdammt, in einem Videospiel-Setting gegen eine Übermacht an martialisch munitionierten Gegenspielern anzutreten. Man nehme nur das Zombie-Massaker "Resident Evil" (2002), das wir hier stellvertretend für eine ganze Reihe hirnentkernter Game-Adaptionen nennen wollen.
Das Blöde bei der Sache mit den Computerspielen: Irgendwann kommt fast immer der Level, in dem man gekillt wird. So auch in Hironobu Sakaguchis "Final Fantasy" (2001), dem ersten voll computeranimierten Sci-Fi-Spektakel. Das war zweifellos ein wichtiger Schritt für die Eroberung des virtuellen Raumes, aber leider agierte die komplett digital erschaffene Heroin in dem Film emotional so gedrosselt wie eine dieser virtuellen Verkaufsdamen, mit der Online-Shop-Betreiber zurzeit der Internethausse ihre Ware an den Mann zu bringen versuchten.
Während die Menschen Anfang des neuen Jahrtausends in den computeranimierten Kinofilmen oft wie entseelte Monster daherkamen, wurden interessanterweise die Monster selbst immer beseelter. Zu verdanken ist das vor allem den beiden Trickfilmstudios Pixar und DreamWorks. Erstere schufen für "Monster AG" 2001 eine Truppe wuscheliger Helden, die bis ins letzte feinfühlig animierte Härchen mit Glück und Angst aufgeladen waren; letztere etablierten mit "Shrek" im gleichen Jahr ein sich im computergenerierten Schlammbad suhlendes Oger-Männchen als tragikomischen Superstar.
Die am Rechner geschaffenen adult movies wurden also immer infantiler, der computeranimierte Kinderfilm kam indes umso erwachsener und analytischer daher. In "Monster AG" oder "Shrek" gab es zu bestaunen, wofür die digitalen Zerstörungsorgien etwa eines Roland Emmerichs keinen Platz mehr boten: Charaktere.
Man vergleiche nur mal Pixars Apokalypsen-Märchen "Wall.E" aus dem Jahr 2008 mit Emmerichs gerade abgelaufenem Apokalypsen-Märchen "2012": Wo im Zeichentrickfilm mit Tiefenschärfe, Psychologie und Poesie ein kleiner rostiger Blechkasten zur Identifikationsfigur erhoben wurde, da versanken die menschlichen Figuren bei Emmerich in diffuser digitaler Schutt und Asche.
Megan Fox gegen Multifunktionsgerätschaften
Das Zeitalter, in der die Computersimulation allein schon eine Sensation ist, geht glücklicherweise gerade zu Ende. Wobei wir die großen getricksten Oho-Erlebnisse der Nullerjahre nicht missen wollen: Nicht die perfekte Welle in Wolfgang Petersens ansonsten vollkommen ereignislosem Schipper-Gimmick "Sturm" (2000), nicht das im ewigen Eis eingeschlossene New York in Emmerichs Öko-Schocker "The Day after Tomorrow" (2004) und erst recht nicht die grandios getricksten und vom Helden grandios durchschwungenen New Yorker Häuserschluchten in Sam Raimis "Spider-Man"-Saga (2002 - 2007).
Dies alles waren wichtige Etappen auf dem Weg in die neue Wirklichkeit des Kinos 2.0. Doch der Mensch verkam in diesen Special-Effects-Übungen eben meist zum Statisten. Will Smith konnte in "I, Robot" (2004) natürlich nicht gegen das Heer beängstigend beweglich gepixelter Kampfmaschinen anstinken, und auch der vielbeschworene Wunderkörper von Megan Fox hatte keine Chance gegen die agilen Fahrgestelle der Multifunktionsgerätschaften in "Transformers" (2007).
Als wenig ergiebige Strategie gegen die Übernahme Hollywoods durch die Maschinen bewies sich da die Strategie des Regisseurs Robert Zemeckis, der in den Nullerjahren nicht müde wurde, Megastars wie Tom Hanks oder Jim Carrey über die (nun eben von Cameron verfeinerte) "Motion-Capture"-Methode in fantastische Zeichentrickkontexte zu verpflanzen. Doch ob "Der Polarexpress" (2004), "Beowulf" (2007) oder jüngst "Die Weihnachtsgeschichte" - die talentierten Darsteller lärmten stets wie Untote durchs aufwändig am Rechner erschaffene Reich. Zombies in der Pixelhölle.
Der einzige Fall, wo es vor "Avatar" geglückt ist, der Schauspielkunst eines Hollywood-Stars mittels Bits and Bytes eine neue Richtung zu geben, stellt David Finchers Groteske "Der seltsame Fall des Benjamin Button" (2008) dar. Brad Pitt spielt darin virtuos die 90 Lebensjahre eines Mannes herunter, der alt geboren wird, um jung zu sterben. Mimik und digitale Manipulationen gehen hier perfekt zusammen und führen zu wahren kathartischen Rauschmomenten.
Das Ende des Kinos?
Gleiches gilt beim Weltenerschaffer Peter Jackson und seine Helden - die allerdings immer am vitalsten sind, wenn der Regisseur auf "totes Material" zurückgreift. In seinen Trickstudios in Neuseeland hat er es geschafft, komplett digital erzeugte Kunstfiguren als autonome emotionale Wesen entstehen zu lassen, die beim Zuschauer komplexe Gefühle hervorrufen: Soll man sich ekeln oder weinen, wenn man dem Gollum in der "Herr der Ringe"-Trilogie (2001 - 2003) begegnet? Soll man ihn streicheln oder sich vor ihm wegducken, wenn der zärtlich-robuste Riesenaffen in "King Kong" (2005) auf die Leinwand stapft? Das Monster, menschlich gesehen.
Dass Cameron nun pünktlich zum Abschluss des an digitalen Desastern und Glücksmomenten reichen Jahrzehnts seine Figuren so selbstverständlich und raumgreifend in seinem (zum Großteil in Jacksons Heimat Neuseeland produzierten) 3D-Pixelparalleluniversum walten und schalten lassen kann, hat vor allem damit zu tun, dass er die Errungenschaften der vergangenen Dekade perfekt kombiniert und auf die Spitze treibt. Der Unterschied zwischen wirklicher und animierter Welt ist bei ihm nahezu ausgelöscht.
Markiert "Avatar" also das Ende des Kinos, so wie wir es kannten? Überhaupt nicht, das Gegenteil ist der Fall. Der Film arbeitet vielmehr die Polarität des Mediums heraus, so wie es das Bewegtbild von Anbeginn geprägt hat.
Von den Straßen und Fabriken zu den Monden und Sternen: Seit zur vorletzten Jahrhundertwende in Frankreich die Gebrüder Lumière Dokumentationen über Fabrikarbeiter und der Regisseur George Méliès Thriller über Weltraumreisen gedreht haben, gibt es im Kino für beides Platz - realistische Weltabbildungen und fantastische Special Effects.
Für Letzteres legt "Avatar" jetzt allerdings die Latte hoch. Was übrigens sein Gutes für die Kinokunst insgesamt hat: Statt schlecht zu tricksen, dürften sich jetzt viele Regisseure wieder dem klassischen Erzählen zuwenden. So viel computergenerierten Müll wie in den Nullerjahren wird das Kino wohl nie wieder ausspucken.