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Anna und Dietrich Brüggemann: Familienfilme der anderen Art

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Filmemacher Brüggemanns "Deutschland hat seit dem Krieg eine Ich-Schwäche"

Sie sind das neue Dreamteam des deutschen Kinos: Die Schauspielerin Anna und der Regisseur Dietrich Brüggemann. Im Interview fordern die Geschwister mehr Filme über normale Mittelschichtsmenschen - und lästern über Til Schweiger und das Plattenbau-Kino.

SPIEGEL ONLINE: Frau Brüggemann, Herr Brüggemann, in Ihrem neuen Film "3 Zimmer/Küche/Bad" erzählen Sie von Freunden in Berlin, zwischen 20 und 30, die ständig umziehen. Warum fällt es dieser Generation so schwer, zur Ruhe zu kommen?

Anna Brüggemann: Ich weiß nicht, ob das nur für unsere Generation so typisch ist oder ob das allgemein am Alter liegt. Früher hat man eben die Verlobung gelöst, heute gibt es mehr Möglichkeiten. Unsere Generation kann es sich leisten, einen ziemlich hohen Glücksanspruch zu haben, höher vielleicht als der unserer Eltern.

Dietrich Brüggemann: Das ist ja nicht nur eine Generationen-Frage, sondern auch ein Schicht-Phänomen. "3 Zimmer/Küche/Bad" spielt im deutschen Mittelstand, das ist eine Schicht, die im deutschen Kino viel zu kurz kommt. Der deutsche Film guckt ja immer an die Ränder der Gesellschaft. Auf der einen Seite gibt es ernste Sozialdramen, Plattenbau und Nazis, und auf der anderen Seite die völlig entfremdete Phantasiewelt der Til-Schweiger-Komödien. Dabei sind wir doch eine typische Mittelstandgesellschaft, auch die meisten Filmemacher kommen aus dem Mittelstand. Aber sie schauen da nicht hin.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?

Dietrich Brüggemann: Keine Ahnung. Das kann man wahrscheinlich sogar kollektiv-psychologisch erklären - dass Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg eine gewisse Ich-Schwäche hat und sich nicht zu sich selbst bekennen kann. Ist jetzt eine steile These, zu der es sicher viele Gegenargumente gibt. Ich weiß es nicht genau, ich kann nur versuchen, in diese Lücke zu stoßen.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt in Deutschland auch das gegenteilige Phänomen: Die Filmemacher schauen ganz genau hin und sezieren dann völlig kaputte Mittelschichtsfamilien.

Anna Brüggemann: Stimmt, da wird eine unglaubliche Kälte hergestellt. Ich denke dann immer: Nee, das glaub ich jetzt auch nicht.

Dietrich Brüggemann: Oh ja, das deutsche Sprachlosigkeitskino. Gerade sehen wirklich fast alle Filme aus wie Berliner Schule: Die Figuren stehen schweigsam in leeren Räumen rum, das aber unglaublich schön quadriert. Damit kannst du mich wirklich jagen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor zwei Jahren gesagt, es entwickle sich gerade etwas jenseits der Stilrichtung der Berliner Schule. Was hat sich da inzwischen getan?

Dietrich Brüggemann: Der deutsche Film geht immer weiter auseinander, kunstbefreites Spaßkino auf der einen und spaßbefreites Kunstkino auf der anderen Seite. Dazwischen tut sich eine Lücke auf, die immer größer wird, in der aber auch immer mehr heranwächst. In meiner Generation, bei den jüngeren Filmemachern, formiert sich gerade eine Art Bewegung, wir tun uns zusammen, sind befreundet. Zum Beispiel Axel Ranisch, der "Dicke Mädchen" gemacht hat oder Sven Taddicken mit "Emmas Glück" und "12 Meter ohne Kopf", auch David Sieveking, dessen Doku "Vergiß mein nicht" gerade auf dem Filmfest in Locarno ausgezeichnet wurde. Das sind Filme, die Humor haben in dem Sinne, dass sie die Widersprüche des Lebens zulassen und mehrere Perspektiven auf einen Sachverhalt gleichzeitig und gleichwertig zeigen. Andreas Dresen ist so eine Art Godfather für uns. Der will auch immer unterhalten, egal, wie schwer das Thema ist.

SPIEGEL ONLINE: "3 Zimmer/Küche/Bad" nimmt auch verschiedene Perspektiven ein. Die Freunde, von denen Sie erzählen, stehen gleichwertig nebeneinander. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über eine Clique zu machen, die ständig umzieht?

Dietrich Brüggemann: Der Film ist ganz klar vom eigenen Leben inspiriert. Und Umzüge sind erzählerisch interessant, weil sie immer Knotenpunkte sind im Leben, an denen Leute zusammenkommen und sich etwas ändert. Das ständige Umziehen in Berlin ist fast ein Ritual: Zimmerpalme in den Teppich wickeln, Kisten packen und stapeln. Die kleinen Lastwagen der Firma Robben & Wientjes, die mit den blauen Robben drauf, gehören fest zum Stadtbild. Das war ein richtiger Optimierungsprozess, es gab so viele freie Zimmer, da konnte man sich jedes Jahr was Besseres, Hübscheres suchen. Das ist inzwischen vorbei, auch in Berlin findet man nicht mehr so leicht eine Wohnung.

Anna Brüggemann: Stimmt, das wird immer schwieriger. Ich bin inzwischen relativ gesettelt, habe Mann und Kind, aber muss gerade wieder umziehen, weil wir eine größere Wohnung brauchen.

Dietrich Brüggemann: Ich bin nicht so gesettelt wie Anna, ich geh jetzt erst einmal für drei Monate in die USA und danach mal schauen. Mein jetziges WG-Zimmer ist Nordseite, da scheint wenig Sonne rein, das könnte man optimieren...

SPIEGEL ONLINE: Wie arbeiten Sie als Geschwister zusammen?

Anna Brüggemann: Das läuft immer ähnlich: Die Grundidee kommt von Dietrich. Meistens spring ich sofort drauf an, und wir beginnen, das Thema weiterzuspinnen. Zuerst entwickeln wir die Figuren. Die in "3 Zimmer/Küche/Bad" haben zum Beispiel alle irgendwo Charakterzüge von Freunden und Bekannten von uns. Es hat wirklich diebischen Spaß gemacht, das aufzuschreiben: "Thomas sagt da jetzt einfach gar nichts, der kriegt das gar nicht mit." Das Drehbuch schreibt Dietrich dann alleine. Die göttlichen Dialoge stammen von ihm.

Dietrich Brüggemann: Den Stoff zusammen zu entwickeln, funktioniert sehr gut, da verstehen wir uns einfach. Schreiben kann ich nur alleine. Das ist wie ein Boot bauen und es steuern: Das eine geht besser zu zweit, das andere besser alleine.

SPIEGEL ONLINE: Kein Streit unter Geschwistern?

Anna Brüggemann: Ganz selten. Wir pflegen auch ungefähr den gleichen Freundeskreis. Unsere Freunde sind uns immens wichtig, und wir arbeiten auch mit ihnen zusammen.

Dietrich Brüggemann: Das überschneidet sich wirklich. Einige von uns teilen sich ein Büro. Da sitzen unter anderem Anna und ich, Vincent Assmann, der meine Filme schneidet und fast wie ein Bruder für mich ist, und Vincents Schwester Marlene, auch Cutterin, die wiederum eine von Annas besten Freundinnen ist. Auch unsere Kostümbildnerin und den Sounddesigner kennen wir ewig. Viele unserer Freunde machen eben auch Filme, wir kennen uns seit der Filmhochschule oder der Schauspielschule. Da ist klar, dass man zusammenarbeitet.

SPIEGEL ONLINE: Herr Brüggemann, Sie haben vor ein paar Monaten einen Text zum Thema Urheberrecht geschrieben. Darin beschreiben Sie, dass es für Filmemacher zwei Seiten des Urheberrechts gibt: Einerseits ist es ihnen unmöglich, bestimmte Songs oder Klingeltöne in ihren Filmen zu verwenden, andererseits schaffen sie selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk.

Dietrich Brüggemann: Stimmt. Und wie ich in meinem Text geschrieben habe, finde ich, dass alle mal wieder ein bisschen runterkommen sollten. Diese verfrühte Panik, jetzt das Ende der Kunst auszurufen, nervt. Keiner weiß, wie sich das noch entwickelt und vor allem weiß man bei den meisten Songs und Filmen nicht, ob derjenige, der sie illegal runtergeladen hat, sie auch gekauft hätte.

Anna Brüggemann: Ich sehe das nicht ganz so locker wie Dietrich. Ich bin gegen illegal downloaden. Das ist doch verrückt: Die Leute geben so viel Geld für Hardware aus wie Computer, Lautsprecher und Fernseher, aber sind kaum bereit, für das zu zahlen, wofür man das Zeug eigentlich braucht: Musik und Filme. Wenn fünf Leute meinen Film runterladen, finde ich das nett und sehe es als Kompliment. Wenn das 50.000 machen, finde ich es doof.

Dietrich Brüggemann: Ich glaube nicht, dass wir von den illegalen Downloads wirklich betroffen sind. Am meisten trifft das amerikanische Serien von HBO oder AMC. Und die machen trotzdem noch verdammt viel Geld. Wir verdienen ja so oder so nicht viel mit unseren Filmen. Ich komme klar, ich kann im Gegensatz zu vielen anderen immerhin davon leben, aber reich werde ich so sicher nicht. Deswegen hab' ich auch Lust, mal mit mehr Geld eine große, erfolgreiche Komödie zu machen, die trotzdem schlau ist.

Das Interview führte Lisa Goldmann

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