
"Auf der Suche nach Oum Kulthum": Ein Traum von einer Künstlerin
Legendäre Sängerin Oum Kulthum Wenn sie sang, schwiegen die Männer
Einmal im Monat, und das 30 Jahre lang, stand für die Dauer einer Radiosendung die arabische Welt still. An den Küsten, in den Wüsten, in den Dörfern und den großen Städten lauschten die Armen und die Reichen, die Gebildeten und die Analphabeten Poesie in arabischer Sprache, gesungen von einer Stimme, über die ein Komponist einmal sagte: "Etwas Schöneres gibt es nicht!"
Die Stimme von Oum Kulthum, der Sängerin aus einem kleinen Dorf im Nildelta, die seit den Dreißigern von Kairo aus über Kurzwelle die arabische Welt in Ergriffenheit vereinte und sogar die Menschen in Israel zu Tränen rührte, sang von Liebe und Leid, von den Gefühlen einer Frau - und die patriarchalischen Gesellschaften standen Kopf. Wenn Oum Kulthum sang, schwiegen die Männer.
Es war zu erwarten, dass die iranisch-US-amerikanische Fotografin, Film- und Videokünstlerin Shirin Neshat die Lebensgeschichte von Oum Kulthum als feministische Biografie erzählen würde. Schon in ihrem ersten Spielfilm "Women Without Men" verknüpfte sie nicht nur vielschichtige Geschichten über Frauen in Iran miteinander, sondern inszenierte das auch noch als Hommage an die von ihr verehrte Schriftstellerin Shahrnush Parsipur.

"Auf der Suche nach Oum Kulthum": Ein Traum von einer Künstlerin
Eine emphatische Annäherung an eine Sängerin, die sich früh vom Einfluss der Männer befreite und die ungebrochen glücklich verlaufende Karriere in die eigene Hand nahm, erschien so nur folgerichtig. Oum Kulthum als Stimme, der niemand ins Wort fällt, als Mythos, an dem niemand zu kratzen wagt, als Heldin aus dem Volk, der Könige und Präsidenten zu Füßen lagen: Nichts wäre einfacher, als dieses Bild mit einem bombastischen Biopic auszumalen und den Patriarchen in Ost und West auf die heutigen Staffeleien zu stellen.
Ein unheimliches Vorhaben
Aber so einfach macht es sich Shirin Neshat nicht. Sie ordnet keine lebensgeschichtlichen Details in einer großen Idol-Erzählung, sondern geht vielmehr ihrer eigenen Faszination für Oum Kulthum nach, ihrem eigenen Bedürfnis nach weiblichen Ikonen, die sich sowohl den arabischen Heldenerzählungen wie auch den Vorurteilen der westlichen Welt gegenüber als widerspenstig erweisen.
Sie erschafft dazu die Figur einer iranischen Filmregisseurin namens Mitra (durch den charakteristischen Lidunterstrich deutlich als Alter Ego von Neshat kenntlich gemacht), deren Vorhaben eines feminstischen Biopics über Oum Kulthum ihr im Laufe der Dreharbeiten selbst unheimlich wird. Neshat und ihr Partner Shoja Azari entwickeln mit Kameramann Martin Gschlacht außerordentlich komplexe, fast surreale Bilder, in denen Film-im-Film, Dreharbeiten, Traumräume und verschiedene Erzählzeiten immer wieder ineinanderkippen.
"Auf der Suche nach Oum Kulthum"
Deutschland, Österreich, Italien, Marokko 2017
Originaltitel: "Looking for Oum Kulthum"
Regie und Drehbuch: Shirin Neshat, Shoja Azari
Darsteller: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh
Verleih: NFP
Länge: 90 Minuten
FSK: ab 0 freigegeben
Start: 7. Juni 2018
Während die junge Oum von Vater und Bruder als Junge verkleidet wird, um auftreten zu können, bewegt sich die alte Sängerin nebenan einsam durch unbelebte herrschaftliche Räume, während Mitra mal der einen, mal der anderen Version der Sängerin in deren immer schon mythisch verklärte Geschichten hinterher geht. Verfolgt wird sie dabei ihrerseits von den Vorwürfen ihres pubertierenden Sohns, die er per SMS auf die Filmsets schickt.
Filmische Lüge für die persönliche Wahrheit
Immer wieder wird die Verführungsmaschinerie des Kinos, die die Trance einer Stimme in das Abfilmen von Publikumsgesichtern zu übersetzen versucht, in der ernüchternden Produktionswirklichkeit einer Filmemacherin gespiegelt, die versucht, als Künstlerin ernst genommen zu werden.
Vielleicht sind Neshats Dialoge in dieser komplexen feministischen Selbstreflexion zu platt, die Feindbilder zu klar, die eigene, wenn auch gebrochene, Identifizierung mit Kulthum zu vermessen. Als clever gebauter cineastischer Bilderrausch funktioniert dieses Anti-Biopic hervorragend. Mitra greift am Ende zu einer filmischen Lüge, um sich vom Kulthum-Mythos zu befreien - und fängt sich von dieser selbst dafür einen Arroganz-Vorwurf ein.
Ihr Plädoyer für das Sichtbarmachen von weiblichen Geschichten aus Fleisch und Blut überzeugt trotzdem - als Wertschätzung für eine weibliche Stimme, der auch dann noch zugehört wird, wenn sie bricht oder aus Protest verstummt.