August Diehl über Widerstand "Wir sind alle ziemlich große Jasager"

August Diehl spielt einen Kriegsdienstverweigerer, der von den Nazis ermordet wird: Was der Film "Ein verborgenes Leben" über das Heute aussagt, erzählt er hier.
Ein Interview von Hannah Pilarczyk
"So habe ich noch nie gearbeitet": August Diehl über seine Rolle als Franz Jägerstätter

"So habe ich noch nie gearbeitet": August Diehl über seine Rolle als Franz Jägerstätter

Foto: Vivien Killilea/ Getty Images

In "Ein verborgenes Leben" spielt August Diehl den österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, der 1938 als Einziger in seinem Dorf gegen die Vereinigung mit Deutschland stimmte. Nach Kriegsbeginn absolvierte der gläubige Katholik Jägerstätter die militärische Grundausbildung, lehnte die Einberufung zur Wehrmacht jedoch aus Gewissensgründen ab. Daraufhin wurde er inhaftiert und am 14. Juli 1943 in Brandenburg hingerichtet. "Ein verborgenes Leben" (lesen Sie hier die SPIEGEL-Kritik) wurde von Terrence Malick, dem großen Solitär des amerikanischen Kinos, geschrieben und inszeniert. Im Mai 2019 feierte "A Hidden Life", so der Originaltitel, seine Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes. Am 30. Januar ist er in Deutschland gestartet.

SPIEGEL: Herr Diehl, für Ihre Rolle in "Ein verborgenes Leben" werden Sie gefeiert, nicht zuletzt im Ausland sind Sie gewissermaßen neu entdeckt worden. Wann haben Sie gespürt, dass "Ein verborgenes Leben" ein besonderer Film für Sie wird?

Diehl: Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.

SPIEGEL: Nicht schon während der Dreharbeiten?

Diehl: Nein, die Arbeit am Set und das Ergebnis sind manchmal diametral entgegengesetzt. Ich habe viele Filme gemacht, die ich während des Drehs wahnsinnig genossen habe, die ich aber, als ich sie gesehen habe, nicht mochte. Und es gab Arbeiten, die ganz schwierig waren, bei denen ich am Schluss aber sagen musste: sauguter Film.

SPIEGEL: Sie arbeiten auch viel am Theater. Wie ist das hier im Vergleich?

Diehl: Am Theater ist man als Schauspieler für den Abend verantwortlich, im Film nicht. Es gibt Tausende Filme, die fantastisch sind, obwohl sie nur mit durchschnittlichen Schauspielern gedreht wurden. Das zeigt, dass das Medium Film uns nicht notwendigerweise braucht. Aber es gibt nicht einen einzigen Theaterabend auf der Welt, der trotz schlechter Schauspieler gut ist.

SPIEGEL: Fühlt es sich besser an, wenn man einen direkten Zugriff auf das Gelingen hat, wie im Theater?

Diehl: Ach, die Verantwortung bei Dreharbeiten abzugeben, kann auch schön sein – das erleichtert ja. Es gibt wenige Filme, bei denen ich sagen würde: Das war mein Film. Meistens habe ich das Gefühl, dass jemand einen Film macht und ich daran teilhaben darf.

Zur Person

August Diehl, geboren 1976 in West-Berlin, absolvierte nach dem Abitur die Schauspielschule Ernst Busch. Mit "23", seiner ersten Kinohauptrolle, erlebte er 1998 seinen Durchbruch und wurde mit dem Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Seitdem spielt er sowohl im Theater als auch in Film und Fernsehen. Zu seinen deutschen Filmen zählen "Wer wenn nicht wir" und "Der junge Karl Marx", zu seinen internationalen Rollen gehören Auftritte in "Inglourious Basterds" und "Salt". Im Fernsehen war Diehl zuletzt als Walter Gropius in der Bauhaus-Serie "Die neue Zeit" zu sehen.

SPIEGEL: "Ein verborgenes Leben" ist aber Ihr Film, oder?

Diehl: Ja, aber das hat etwas mit Terrence Malicks Art zu arbeiten zu tun. Es war früh klar, dass er wollte, dass Valerie Pachner (spielt Jägerstätters Frau Franziska, d. Redaktion) und ich eine große Verantwortung übernehmen und dass das meiste im Film aus unserer Improvisation herauskommen soll. Terry findet über die Schauspieler zu seinem Film.

SPIEGEL: Wie waren die Dreharbeiten mit Malick genau? Sie haben in Cannes bereits erzählt, dass Sie die meiste Zeit bei der Feldarbeit gefilmt wurden und dann plötzlich "der" Moment dagewesen sei, der für den Film entscheidend war.

Diehl: Bei diesem Dreh gab es auch Tage, an denen man nur Langweiliges produziert hat. Aber diese Art zu arbeiten ist toll, denn dadurch entsteht die Möglichkeit, loszulassen, nicht weiter etwas gutmachen zu wollen - das kann ja auch tödlich sein. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres, als einen Schauspieler zu sehen, der fleißig ist. Bei Malick eröffnen sich ganz andere Räume, bei ihm dauern die Takes 28 Minuten – im Durchschnitt! Das heißt, es gab bei uns auch welche, die 40 Minuten lang waren.

SPIEGEL: Das klingt wahnsinnig anstrengend. Was macht man so lange Zeit ohne Drehbuch und klare Regieanweisung?

Diehl: Stellen Sie sich vor, Sie drehen im Bauernhaus: Für die Dauer von zehn Minuten fällt einem schon ein, was man alles Unterhaltsames machen könnte. Nach zwölf Minuten kommt dann der Punkt, an dem man auch nicht weiterweiß. Dann geht man ein Stockwerk hoch, legt sich aufs Bett oder geht in den Stall und melkt eine Kuh. Irgendwann weiß man aber gar nicht mehr, was man noch machen könnte.

SPIEGEL: Und dann?

Diehl: Setzt man sich auf eine Bank, guckt ins Tal runter – und DAS ist genau der Moment, den Terry haben wollte! Der Moment ist aber nur so gut, weil man jemanden sieht, der zuvor wirklich gearbeitet hat. Das kann man ad hoc gar nicht so spielen.

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"Ein verborgenes Leben"

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Pandora

SPIEGEL: Wie groß war die Umstellung vom konventionellen Drehen auf die Malick-Methode?

Diehl: Ich hatte am Anfang meine Schwierigkeiten. Ich habe mich ständig gefragt: Worum geht es denn eigentlich? Bis ich gerafft habe: Es muss nicht immer um etwas gehen. Du lebst – und das wird gefilmt. Weil es keine Lichtumbauten oder ähnliches gab, waren wir den gesamten Tag lang "on camera". Das ging sogar so weit, dass ich auf einer Wiese einschlief, weil ich nicht mehr konnte, aufwachte und feststellen musste, dass die mich weiterhin gefilmt hatten.

SPIEGEL: Welche Rollen spielen Dialoge dann noch?

Diehl: Die sind für Terry nicht entscheidend. Wir haben die zwar am Band geprobt, sobald eine Einstellung vorbei war, wurde sie sofort wiederholt. Und dann noch mal und dann noch mal. Irgendwann kam dann die Anweisung: Spielt die Szene bitte genauso wie eben - aber denkt die Dialoge nur. Und dann gibt es auch viele Szenen, in denen andere mir etwas sagen, ich aber nicht antworte. Als Zuschauer denkt man: Mach doch mal was! Sag doch mal was! Gerade diese passive Verweigerung hat eine große Kraft.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das genau?

Diehl: Jägerstätter ist kein Aktivist, noch nicht einmal ein Widerstandskämpfer. Er sagt schlicht aus seinem persönlichen Empfinden heraus, dass er nicht mitmacht, und diese Entscheidung wird gegen seinen Willen zu einer politischen. Wenn man eine Brücke zu Heute schlagen will: Diese Art von Nein geht zunehmend verloren. Wir sind alle ziemlich große Jasager, wir springen alle auf denselben Zug auf, nutzen dieselben Kommunikationsmittel. Nein zu sagen ist unattraktiv, unpopulär, ja sogar ärgerlich.

SPIEGEL: Was ist zum Beispiel mit den immer stärker um sich greifenden Verschwörungstheorien unserer Zeit? Sind die nicht auch eine Art, Nein zu einer gesellschaftlichen Übereinkunft zu sagen?

Diehl: Ich meine ein anderes Nein, ein viel einfacheres, kindlicheres, ursprünglicheres. Jemand, der so naturverbunden ist wie Franz Jägerstätter in unserem Film, der den Zyklus der Jahreszeiten erlebt, ist mit dem Echten so stark verbunden, dass er den Befehl, er solle jetzt für sein Heimatland kämpfen und Menschen umbringen, nur ablehnen kann. Dahinter steckt keine Theorie, schon gar keine Verschwörungstheorie. Das ist für mich letztlich auch die Kraft des Films: Man muss kein Gandhi sein, um die Welt aus den Angeln zu heben.

SPIEGEL: Haben Sie selbst schon mal so Nein gesagt?

Diehl: Ich habe schon viele Arbeiten abgelehnt und das kein Mal bereut. Auch wenn Filme, die ich abgelehnt habe, später riesengroß und erfolgreich wurden, hat mich das nie tangiert. Da habe ich immer gedacht, dass die erfolgreich wurden, weil jemand anderes, der besser als ich gepasst hat, die Rolle gespielt hat. Wenn ich etwas bereut habe, dann waren es immer die Jas. Mit denen tue ich mich viel schwerer.

SPIEGEL: Sie spielen nun am Berliner Ensemble unter der Regie von Andrea Breth, mit der sie schon eine Urfassung von "Hamlet" gestemmt haben, in der Sie sechs Stunden lang Text spielen mussten. Gibt es einen größeren Kontrast zwischen zwei Regisseuren als zwischen Breth und Malick?

Diehl: Ja, zwischen Tarantino und Malick. Andrea Breth hat in ihrer Art zu gucken vieles mit Malick gemeinsam. Die Unterschiede möchte ich aber nicht missen. Der einzig wirklich lebensbereichernde Aspekt an Erfolg ist es, mit Menschen zusammenarbeiten zu können, die man sonst nicht treffen würde, und an deren ganz spezieller Sicht auf die Welt teilhaben zu können. Das ist das größte Geschenk, das es gibt.

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