
Ginsberg-Drama "Howl": Die Seele eines Dokumentarfilms
Beatpoeten-Drama "Howl" Heulen mit Hornbrille
Sie waren jung und sexy, verrückt und drogenabhängig, widerlich und schön: die Autoren der Beat Generation. Beat, das war ein Lebensgefühl, die Rebellion einer ganzen Generation gegen die Prüderie des Nachkriegs-Amerikas der fünfziger Jahre. Es waren Bohemians und Hedonisten, die ihre Sexualität frei auslebten, die Drogen nahmen, die gegen den Kapitalismus waren - und über all das offen schrieben.
Autoren wie William S. Burroughs, Jack Kerouac und Allen Ginsberg sorgten mit ihren Werken für Skandale, erschütterten nicht nur die Gemüter amerikanischer Kleinbürger, sondern beunruhigten auch den Staat - der einige ihrer Schriften wegen "Obszönität" verbieten ließ.
Diese Zeiten sind vorbei, die Beat-Poeten sind rehabilitiert und zählen heute zu den bedeutendsten Dichtern der US-Literatur des 20. Jahrhunderts. Und die Faszination für sie war nie größer. Erst im August 2010 erschien "Die Beats: Die Geschichte der Beat-Literatur - Eine Graphic Novel" auf Deutsch, eine Liebeserklärung an die wichtigsten Beatniks. In diesem Jahr soll außerdem der Dokumentarfilm "William S. Burroughs: A Man Within" in deutsche Kinos kommen, ein Film über den Beat-Autoren und Waffenfetischisten, der im Alkoholrausch seine Frau erschoss.
Ein regelrechter Hype scheint ausgebrochen um die jungen Wilden von damals. Vielleicht liegt es daran, dass die Generation Guttenberg, die für Leistungsdenken steht, keine Zeit mehr für Sex und keine politischen Ziele hat, sich nach der alten Bohème zurücksehnt?
Vielleicht liegt es an dieser Sehnsucht, dass mit "Howl" eine Hommage an ein Gedicht verfilmt wurde, das wie kein anderes den Zeitgeist der Beat Generation verkörpert, den Schmerz einer ganzen Generation: "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt, wie sie sich im Morgengrauen durch die Negerstraßen schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze." 1957 wurde Allen Ginsbergs Poem von der Polizei beschlagnahmt, gegen den Verleger wurde Anklage erhoben. Vor allem wegen Zeilen wie dieser: "Die sich in den Arsch ficken ließen von Motorradengeln und schrien vor Lust".
Schwarz-Weiß-Bilder, rauchige Luft, ein voller Zuschauerraum, und vorne steht ein junger, unscheinbarer Kerl. Mit Hornbrille und Hemd, etwas verloren wirkend, spricht er zaghaft diesen Satz, den ersten seines Gedichts. 1955 in der Six Gallery in San Francisco trägt der damals 29-jährige Allen Ginsberg "Howl" zum ersten Mal vor. Ein Mann mit Selbstzweifeln. Ein Mann, der schwul ist. Ein Mann, der im Amerika der fünfziger Jahre nach acht Monaten nur deshalb aus der Psychiatrie entlassen wird, weil er verspricht, heterosexuell zu werden. Das Versprechen hat er gebrochen.
Wie verfilmt man ein Gedicht?
Doch der Film ist kein Porträt Allen Ginsbergs. Es ist ein Film, der sein sehnendes, fiebriges Protestgeheul, seinen "Howl", zum Leben erwecken soll. Aber: Wie verfilmt man ein Gedicht? Die Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman haben es versucht. Beide sind klassische Dokumentarfilmer, für die Schwulenrechtler-Doku "The Times of Harvey Milk" (1984) gewannen sie den Oscar, auch ihre Werke "Paragraph 175" (2000) und "Gefangen in der Traumfabrik" (1995) wurden vielfach ausgezeichnet. Die beiden Filmemacher, selbst homosexuell, haben den Großteil ihrer Filme über die Diskriminierung Homosexueller gedreht.
Und so ist "Howl" nicht nur eine Hommage auf ein Gedicht, sondern auch ein Plädoyer für die Rechte von Schwulen, in den USA auch heute noch ein heftig umstrittenes Thema. Der Film besticht durch die schauspielerische Leistung James Francos, der im Februar auch in Danny Boyles Kletterer-Drama "127 Stunden", zu sehen sein wird, und bekannt ist aus "Spider-Man" und Gus Van Sants "Milk". Als Ginsberg schreibt und rezitiert Franco wie ein Wahnsinniger das neun Seiten lange Gedicht. Er trauert, zugleich schüchtern und trotzig, um seine unglücklichen Liebschaften, bis er in Peter Orlovsky schließlich den Partner findet, mit dem er bis an sein Lebensende 1997 zusammenbleiben wird.
Als Franco die Rolle angeboten wurde, sagte er zu den Regisseuren, der Film habe "the soul of a documentary" - die Seele eines Dokumentarfilms. Denn "Howl" ist ein Doku-Drama, das hauptsächlich auf Originaldokumenten basiert.
Aus vier verschiedenen Szenen besteht der Film, die immer wieder gegengeschnitten werden. Eine impressionistische Komposition, die sich jeder linearen Erzählstruktur verweigert. Im längsten Teil, einer Interviewsequenz, sieht man, wie sich Ginsberg (Franco) auf einem Sofa vor einer Rosentapete lümmelt. Die Worte, die er spricht, stammen aus einem Interview von 1957. Und es gibt die Gerichtsverhandlung, bei der endgültig bestimmt werden soll, ob "Howl" obszön ist und an deren Ende der Verleger Lawrence Ferlinghetti freigesprochen wird. Auch diese Szenen basieren auf Originaldokumenten. Zudem sieht man spärlich eingestreute Flashbacks aus dem Leben Ginsbergs.
Doch im Zentrum des Films steht das Gedicht selbst. Vorgetragen wird es von Ginsberg/Franco, bebildert wird es durch Animationssequenzen: Ginsberg tippt wie wild auf seiner Schreibmaschine, und aus den Tasten steigen seltsame Bilder auf; Skelette fliegen mit grünem Schweif, Nordlichtern ähnelnd, über den Nachthimmel einer Stadt; "mit Träumen, mit Drogen, mit Nachtmahren bei offenen Augen und Alkohol und Schwänzen und endlosen Ficks" hört man Ginsbergs sonore Stimme als monotones Lamento. Gelb-rote Strichmännchen fahren auf Motorrädern an Palmen einer Tequila-Sunrise-farbenen Straße vorbei, "die sich in den Arsch ficken ließen von Motorradengeln und schrien vor Lust"; ein Feuerwerk aus Spermien steigt in die Luft auf und explodiert, Penisse erstehen auf und vergehen wieder.
Es fehlt der Dreck
So eindrucksvoll James Franco auch den wortgewaltigen, sexuell erwachenden Ginsberg verkörpert, so sehr auch die Szenen der Gerichtsverhandlung amüsieren, in denen "Mad Men"-Star Jon Hamm als Anwalt im Don-Draper-Outfit versucht, der Staatsanwaltschaft entgegenzuwirken, die auf aberwitzige Weise zu ergründen versucht, welche Perversion sich hinter Ginsberg-Geschöpfen wie "Hipster mit Engelsköpfen" verbergen mag - so sehr wirken die animierten Szenen lächerlich und abgeschmackt, obwohl sie aus der Feder Eric Droopers stammen, der einst gemeinsam mit Ginsberg an dem Buchprojekt "Illuminated Poems" arbeitete.
Sie vermögen nicht, den Wahnsinn, den Dreck, die Hysterie, die Nacktheit und die Angst zu illustrieren, die das Gedicht "Howl" und die Rauschzustände der Beat Generation ausmachten. Dreckig und rau sind nur die Worte Ginsbergs, alles andere ist zu bunt, zu schön, zu glatt. Das gilt leider auch für die reale Handlung des Films: Getanzt wird zu biederem Saxophongedudel in Bars, die mit einer solchen Hochglanzoptik gefilmt wurden, dass selbst der Zigarettenqualm weich und rein erscheint. Selbst die durchgeknalltesten Beatniks wirken wie aristokratische Dandys.
Die Exzesse, sie werden einzig in den Animationen thematisiert. Und die haben bei weitem keine so bizarre Schlagkraft wie jene in David Cronenbergs Film "Naked Lunch", der Leben und Werk von William S. Burroughs verarbeitete. Auch Burroughs' Drogenwahnvorstellung wurde, wie "Howl", damals verboten. Begründung im Urteilsspruch: "Ein widerlicher Gifthauch ununterbrochener Perversion, literarischer Abschaum".
Die Regisseure wollten mit "Howl" die Beat-Rebellion wieder lebendig machen, die "sexy young poets" wieder auferstehen lassen. Gelungen ist ihnen ein Film, der zu sexy, zu jung und zu poliert wirkt, um dem Zeitgeist und seiner Gegenkultur wirklich auf die Spur zu kommen. So bleiben am Ende Ginsbergs Worte stärker als die Bilder, die Epstein und Friedman entwerfen. Was ist die Beat Generation, wird Allen Ginsberg im Film gefragt: Antwort: "Es gibt keine Beat Generation. Das sind nur ein paar Leute, die veröffentlichen wollen."