Regisseur Jafar Panahi Goldener Bär für die Meinungsfreiheit

Hana Saeidi, Nichte von Jafar Panahi: Tränen bei der Preisverleihung
Foto: AP/dpa"Ich bin nicht in der Lage, etwas zu sagen, ich bin zu ergriffen", schluchzte die kleine Hana am Samstagabend im Berlinale-Palast, als sie auf der Bühne den Goldenen Bären für "Taxi", den neuen Film ihres Onkels Jafar Panahi, entgegennahm. Panahi konnte den Hauptpreis des Filmfestivals nicht persönlich annehmen.
Der 54 Jahre alte Regisseur aus Iran darf nicht reisen. Die Regierung seines Heimatlandes belegte ihn wegen seiner immer wieder gesellschafts- und regimekritischer Filme wegen "Propaganda gegen das System" mit einem 20-jährigen Berufsverbot und verurteilte ihn 2010 zu sechs Jahren Haft. Zurzeit steht Panahi unter Hausarrest. Sein Pass wurde eingezogen.
Eine bedrückende, eine empörende Situation, die sich in den Tränen Hanas spiegelt. Es sind Tränen der Freude, darüber, dass die Welt am Schicksal ihres Onkels teilnimmt, stellvertretend für viele andere von Zensur, Unterdrückung und Repression bedrohte Künstler in Iran und allen anderen Ländern, die Kunst- und Meinungsfreiheit einschränken. Aber es sind vor allem auch Tränen des Unglücks.
Panahi dreht seine Filme im Verborgenen
Für die große Sympathie, die ihm international zuteil wird, ist Panahi selbst mitverantwortlich, denn er bleibt sichtbar. Immer wieder gelang es ihm in den vergangenen Jahren, trotz des Verbots, in aller Heimlichkeit und mittels mutiger Helfer, Filme zu drehen und sie außer Landes zu schmuggeln, teils auf abenteuerlichstem Wege.
Im Video: Regisseur schmuggelt verbotenen Film zur Aufführung
Die mit Digitalkamera und Handy gedrehten Filme sind eine pseudo-dokumentarische Chronik der Lebensumstände Panahis, der sich selbst zum Hauptdarsteller in einer teils authentischen, teils inszenierten Handlung macht. So gelangte 2011 "In Film Nist" ("Dies ist kein Film") zum Festival nach Cannes, der einen Tag des Wartens auf die Urteilsverkündung illustrierte. 2013 lief im Berlinale-Wettbewerb "Pardé" ("Geschlossener Vorhang"), der Panahis prekäre, von Paranoia geprägte Wohnsituation zeigte. Und nun "Taxi", der riskanteste von allen.
Denn während "In Film Nist" und "Pardé" in den Privaträumen Panahis gedreht wurden, spielt "Taxi" in der Öffentlichkeit, am helllichten Tage auf den Straßen Teherans. Der Regisseur montierte kleine Digitalkameras auf das Armaturenbrett eines ganz normalen Taxis, setzte sich selbst ans Steuer und filmte dann sich und seine Fahrgäste: Ein Höker, der mit illegalen westlichen Filmen auf gebrannten DVDs handelt und den prominenten Regisseur prompt als Partner gewinnen will. Zwei religiöse Freundinnen, die Goldfische in einem heiligen Brunnen aussetzen wollen. Ein Straßenräuber, der sich für drakonische Strafen für Straßenräuber ausspricht, wenn sie die Falschen, nämlich die Armen ausrauben.
Darsteller müssen mit Repressalien rechnen
Und eine Anwältin, die ihm Mut zuspricht. Gespielt wird sie von einer in Iran bekannten Menschrechtsaktivistin, die durch ihren mutigen Auftritt in "Taxi" ebenfalls Repressalien ausgesetzt sieht und mit Berufsverbot belegt ist. Auch Panahi selbst ist natürlich nicht vor einer weiteren Verschärfung seiner Haftbedingungen gefeit, je mehr Filme er dreht und ins Ausland bringen lässt.
Auch Hana, Panahis wunderbar naseweise, erst zehn Jahre alte Nichte, nimmt neben ihrem Onkel im Taxi Platz - und liest ihm die in der Schule gelehrten staatlichen Direktiven vor, die Filme in Iran für Verleih und Aufführung tauglich machen: Keine unverschleierten Frauen, kein "sordid realism", der also die Gesellschaft von ihrer dunklen und realen Seite zeigen könnte. Natürlich alles Verbote, die Panahi natürlich der Reihe nach bricht.
Das Schöne, das Bezaubernde an Panahis Filmen ist, dass die Notlage ihn nicht bitter oder gar zynisch gemacht hat. "Taxi" ist eine Hommage an viele iranische Filme, die auf den Straßen Teherans spielen, darunter Abbas Kiarostamis moderner Klassiker "Ten". Er zeigt, wie sich die Menschen in Iran mit Lakonie und Einfallsreichtum gegen die inhumanen Normen stemmen.
Panahi selbst gelingt das Kunststück, zugleich Subjekt, Regisseur und fiktive Figur seines eigenen Films zu sein. Indem er die Rolle des einfachen Chauffeurs einnimmt, mischt er sich symbolisch unter sein Volk. Er zeigt, dass er trotz seiner besonderen Situation, trotz seiner Prominenz nicht nur mitfühlt, sondern immer noch in ihrer Mitte ist.
"Taxi" ist ein zwangsweise unauffälliger, streckenweise sehr heiterer Film voller Situationskomik, der gerade durch seine betonte Leichtigkeit so berührend wird. Panahi für "Taxi" mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen, ist nicht nur künstlerisch gerechtfertigt, es belohnt auch den Mut des Filmemachers und seiner Kollaborateure, sich über die reale Bedrohung für Leib, Leben und Liebste hinwegzusetzen. Für das Recht, sich mit politischen Miss- und Zuständen künstlerisch auseinanderzusetzen.
Jafar Panahis Filme müssen sooft auf internationaler Ebene gewürdigt, gezeigt und prämiert werden, bis er seine Preise überall auf der Welt persönlich entgegennehmen kann, als freier Mann und Künstler. Erst dann können Hanas Tränen die der reinen Freude sein.
Weitere Gewinner:
Goldener Bär für den besten Film: "Taxi", Jafar Panahi (Iran)
Großer Preis der Jury, Silberner Bär: "El Club", Pablo Larrain (Chile)
Alfred Bauer Preis für neue Perspektiven, Silberner Bär: "Ixcanul", Jayro Bustamante (Guatemala)
Beste Regie, Silberner Bär (ex aequo): "Aferim!", Radu Jude (Rumänien), "Body", Malgorzata Szumowska (Polen)
Beste Schauspielerin, Silberner Bär: Charlotte Rampling, "45 Years" (Großbritannien)
Bester Schauspieler, Silberner Bär: Tom Courtenay, "45 Years" (Großbritannien)
Bestes Drehbuch, Silberner Bär: Patricio Guzmán, "El Bóton de Nacár" ("The Pearl Button") (Chile)
Silberner Bär für herausragende künstlerische Leistung (ex aequo): Sturla Brandth Grøvlen, Kamera, "Victoria" (Deutschland), Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk, Kamera, "Pod Electricheskimi Oblakami" ("Under Electric Clouds") (Russland/Ukraine)