Berlinale Tagebuch (9) Ausgebuht
Never believe the Hype. Jeder Musikmaniac weiß das. Nur die vom Film hinken mal wieder hinterher. Dabei hätte es wirklich spannend werden können, wenn "Baader" das geworden wäre, was sich viele von der unverkopften Herangehensweise seines Machers Christopher Roth erhofft hatten: Ein Film über Andreas Baader und die erste Generation der Roten Armee Fraktion, die Annäherung an einen Mythos und seine Verpackung, alles ein bisschen dreister und unverkrampfter als bisher, aus einem jüngeren Blickwinkel eben - es lebe die Popkultur.
Und so beginnt "Baader" denn auch. Es ist 1972, Frank Giering alias Baader sitzt im Dunkeln eines Autos, auf dem Schoß die Schlagzeilen der "Bild": "Baader will sich stellen ". Von wegen. Ein Polizist nähert sich, will die Papiere sehen, Schüsse fallen und Deutschlands Top-Terrorist düst davon. Ein schneller Start zu rockigen Klängen, dazu flimmert die Beute aus dem Archiv der "Tagesschau": Terroristenhatz von damals in betulichem Design. Klänge, Farben, Floskeln - alles holt einen wieder ein. Eine Zeit lang ist das ganz hübsch. Der Film springt zurück ins Jahr 1967, zeigt den 29-jährigen Baader, der Autos knackt, in den Knast geht dafür, herrlich aufsässig ist und einfach probiert, was geht. Ein Macker eben, mit coolen Sprüchen, in Lederjacke und roter Samthose. Baader hatte das Zeug zum Rock-Star, seine Band wurde die RAF.
Zehn Jahre lang recherchierte Werbefilmer Christopher Roth (Jahrgang 1964) Baaders Leben und folgt im Film akribisch dessen Chronologie. Zeigt Studentenproteste, den Tod von Benno Ohnesorg, dann taucht dieser grazile Hauch von einem Mädchen auf: Gudrun Ensslin. Laura Tonke spielt die sexy Pfarrerstochter, die Baader verfallen wird. Doch was für einem Baader? Giering gibt sich mal knuffig und maulig, wie ein kleiner Junge, der nur bei noch kleineren Mädchen landen kann. Doch im nächsten Moment dampft er unberechenbar, Größenwahn, Aggressivität und Macho-Allüren, so einer muss Chef sein. Und in seiner Firmament sind Bullen eben Schweine, Frauen Fotzen und der Staat der ärgste Feind. Den Kriminellen nimmt man Giering ihm ab, aber nicht den Dandy und Verführer.
Vorwärts, Geschichte wird gemacht: die Brandanschläge in Frankfurter Kaufhäusern, Baaders Verurteilung zu drei Jahren Haft, die Flucht nach Paris und die Verhaftung nach der Rückkehr. Die erste Begegnung mit Ulrike Meinhof, Baaders spektakuläre Befreiung aus der Haft. Beiläufig geschieht dies alles, als sei´s ein dummes Kinderspiel. Einen Endlosfilm (129 Minuten) ohne Endlosdiskussionen will uns Roth zumuten und so skandieren seine jungen Akteure ihre Parolen als wären es dada-Gedichte. Eine Zufallsgeburt: die Gründung der RAF - ein einziger Drogenrausch. "Vater hat uns fortgeschickt, weil wir vom Baum der Erkenntnis aßen," wird Ensslin nach einer bizarren Abschiedszene mit ihrem Vater sagen, dem sie mitten im Winter barbusig gegenübersteht. Und: "Das Böse ist der Preis der Freiheit". Ab geht´s in den Untergrund. Vom militärischen Drill unbeleckt, robbt Baader mit Samthose durch Jordaniens Wüstensand, die Mädels lümmeln barbusig in der Sonne - der Krieg lauert hinter den nächsten Düne. So was erheitert, na klar. Doch kaum wird es ernster, scheitert "Baader". Die Figuren fesseln nicht mehr, sind flach wie Abziehbilder - hüben wie drüben. Und je mehr sie Christopher Roth entgleiten, desto stärker konzentriert er sich auf exakte Daten, um sie letztlich auszuhebeln. Er zeigt den Staat, fixiert sich auf den BKA-Chef Herold, der im Film aus rechtlichen Gründen Kurt Krone heißt. Vadim Glowna spielt den aufrechten Sozialdemokraten mit ambivalenten, beinahe väterlichen Sympathien für Baader. Einmal werden sie sich treffen, zusammen im Auto eine Zigarette rauchen, ihre Positionen umreißen und sich den Krieg erklären. Als sei das nicht schon längst geschehen. Eine fiktive Szene, wie das Finale: durchsiebt vom Kugelhagel der Polizei stirbt Baader den Heldentod. Warum?
Macher Christopher Roth gelingt es auch auf der Pressekonferenz nicht, seine Absichten zu erklären. Also streut er Floskeln: "Ich wollte zum Nachdenken anregen". Aha. "Es sei ja ein Spielfilm, da müsse nicht alles authentisch sein. Ich wollte Baader total neu darstellen". Wozu hat er am Schluß ein Brecht-Zitat geparkt? "Damit es so 'ne stimmige Geschichte ist." Langsam schält sich heraus, was ihn an Baader faszinierte: "Dass er dreist genug war, ein Experiment zu wagen". Schwingt da etwa Sehnsucht mit, nach tiefen, starken, unbedingten Gefühlen? Nach Revolte und Herausforderungen, einem Weg aus diesem gegenwärtigen Einerlei? Keine Antwort. Baader als Pop-Ikone. Alles ist möööglich - zumindest in der heilen Werbewelt, der Roth mit seinem Film vielleicht entkommen wollte. Viele schlaue Köpfe gibt es da. Einer singt sogar: "Meide die Popkultur, dann geht es dir besser" (Peter Licht).