Berlinale-Tagebuch Lieber Bushido als Buck

Wem gehörte der vierte Berlinale-Tag? Detlev Buck mit seinem holzschnittartigen Jugenddrama "Knallhart" jedenfalls nicht. Dann schon eher dem altersmilden Robert Altman, der in "A Prairie Home Companion" dem Radio ein filmisches Denkmal setzt.
Von Daniel Haas

Wem die HipHop-Videos von Bushido & Co. zu brutal sind, der kann sich jetzt von Detlev Buck aufklären lassen: In Deutschland herrscht Krieg. Die Fronten verlaufen entlang der Klassengrenzen, und nirgendwo lässt sich dies besser erkennen als in der Hauptstadt. Auf der einen Seite die gut gebildete
Rucola-Gesellschaft aus Zehlendorf, auf der anderen die Proll-Kampfhund-Szene, die in Neukölln ihr tristes Dasein im Jogginganzug fristet.

Hätte Buck nur einmal reingeschaut bei MTV oder Viva: Dort hätte er gesehen, dass die Verelendung einer Generation und ihrer Wohnquartiere längst zum Stilprinzip der Popkultur geworden ist. "Mein Block", Gangs, Drogen, Gewalt:
Die Migrantenkinder haben daraus die Motive einer düsteren Verfalls-Epik gemacht, die in Clip- und Songform die Verhältnisse spiegelt.

Wer braucht also den kinematografischen Sozialkundelehrer, der "Knallhart",
so der Titel des Films, die Geschichte von Michael (David Kross), einem deutschen Jungen erzählt, der mit seiner Mutter (Jenny Elvers-Elbertzhagen) von Zehlendorf nach Neukölln ziehen muss, dort von einer Jugendgang abgezockt wird und Schutz bei einem Drogendealer sucht? Die Jugendlichen, auch die gut bürgerlichen, jedenfalls nicht: Sie haben die Abstiegs- und Elendsdramen schon in Dutzenden Hits und Videos mitverfolgt. Man muss ihnen nicht erklären, dass ein Juristensohn aus Dahlem andere Chancen hat als ein Deutschtürke aus dem Wedding.

Wenn schon Kriegsfolklore, dann bitte gleich ein richtiges Märchen. Mit tragischen Helden und großer Liebe, furiosen Kämpfen und einem tieftraurigen Ende. Ken Chaige hat mit "Wu Ji - Die Reiter der Winde", der gestern im Rahmen des Wettbewerbs präsentiert wurde, so eine Filmfabel geschaffen.
Bildmächtig verstrickt er eine Konkubine (Cecilia Cheung), einen General (Hiroyuki Sanada) und dessen Sklaven (Jang Dong-Kun) in ein Liebesdrama, an dessen Ende Tod und Erlösung zusammenfallen.

Dass die Heldin, als Kind hungernd über Schlachtfelder streifend, ihr Liebesglück für ein Stück Kuchen an eine Fee verkauft, verschafft dieser Kino-Oper einen kritischen Nebenton. Die Logik von Unrecht und Gewalt lässt
sich eben in allen Stillagen bebildern, man braucht dafür keine knallhart dokumentarische Attitüde.

Die Kämpfe, die Robert Altman austrägt, sind, so scheint es, nur noch rein ästhetischer Natur. Bereits in "The Company", seinem letzten Film, widmete er sich ganz den Konflikten, die eine Kunstform bestimmen. Damals war es das Ballett, diesmal ist es das Radio, dem er mit "A Prairie Home Companion"
eine wunderbare Hommage gewidmet hat. Es war der leichteste und zugleich anspruchsvollste Film des Tages, mit furiosen Darstellern (Merryl Streep, Tommy Lee Jones, Kevin Kline, Lily Tomlin) und einer raffinierten Konstruktion, durch die gleich drei Medien zusammenkommen.

Denn "A Prairie Home Companion" ist eine Reflexion über das Radio mit den Mitteln des Theaters im Film. Er spielt am Abend der Jubiläumsvorstellung der titelgebenden Radioshow, die seit Jahrzehnten auf einer kleinen Bühne in St.Paul/Minnesota aufgeführt und aufgezeichnet wird. Was die Darsteller
nicht wissen: Der Sender wurde an ein Medienunternehmen in Texas verkauft, der Auftritt ist die Dernière. Virtuos blendet Altman zwischen Bühnengeschehen und backstage hin und her, collagiert ein humorig-melancholisches Potpourri aus kleinen Dramen und Krisen, Leidenschaften und Enthüllungen.

Die Sendung gibt es übrigens wirklich. Ihr Moderator ist der in den USA gefeierte Buch-Autor Garrison Keillor, der "A Prairie" seit 1974 betreut und sich in Altmans Film selber spielt. Jeden Samstag hören der Live-Übertragung fünf Millionen Menschen zu, auf 558 Sendern landesweit. Der Film malt das Ende
dieser amerikanischen Radioinstitution aus und erzählt damit en passant nicht nur vom Älterwerden eines bestimmten Genres, sondern auch ihrer Künstler.

Wenn sich Streep und Tomlin als singendes Country-Schwesternpaar an die alten Zeiten erinnern, dann ist dies auch ein Kommentar zur Rollenpolitik, wie sie das aktuelle Filmgeschäft praktiziert. Erfahrene Darstellerinnen jenseits der 40 erleben wie die Heldinnen immer öfter ihre Abschiedsvorstellung; ein junges, an Action und Schauwerten orientiertes Kino hat für sie kaum mehr Verwendung.

Apropos Besetzung: Hier hat Detlev Buck in seinem Beitrag für das Berlinale-Nebenprogramm "Panorama" tatsächlich Mut bewiesen. Jenny Elvers-Elbertzhagen als Zehlendorf-Exilantin, die den Culture Clash mit der Neuköllner Basis verkraften muss, das ist gewagt und erstaunlich gut gelungen. Wer weiß: Vielleicht hat sie ja bald einen Gastauftritt - in einem Sido-Video.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren