Am Set von "The Avengers" Wenn das FBI den Filmset sichert

Am Set von "The Avengers": Wenn das FBI den Filmset sichert
Foto: MVLFFLLC/ MarvelEin paar harmlose Blätter Papier? Ja, genau. Es war nicht mehr als das. Schon komisch, mit welch banalen Mitteln man einen übermenschlich begabten Haufen von Superhelden plötzlich zum Stillstand bringen kann. Und dennoch mussten die "Avengers" kurz ihre Weltrettungsarbeit einstellen, als mitten in der Hochproduktionsphase das Drehbuch in die falschen Hände geriet.
Schuld daran war die Technik. Allerdings weder ein Hightech-Laser noch die neue Bio-Waffe eines Superfieslings, sondern ein kaputtes Kopiergerät. Das FBI rekonstruierte den Vorfall so: Samuel L. Jacksons Assistentin hatte einen irregeleiteten Druckbefehl ausgelöst. Ausgerechnet Jacksons Assistentin, könnte man meinen. Denn der hat im Film als Agent Nick Fury die Kommandozentrale der Superhelden-Organisation S.H.I.E.L.D. sehr fest im organisatorischen Griff. Wie auch immer: Jedenfalls sorgte seine Mitarbeiterin ungewollt dafür, dass das hochgeheime Skript in einem fremden Büro landete. Irgendwo außerhalb des festungsartigen Fabrikkomplexes in New Mexico, in dem die Marvel Studios das Hauptquartier eingerichtet haben für ihren bislang teuersten Kinofilm.
In dem beige getünchten Gebäude an der Comanche Road 81 in Albuquerque redet man eigentlich nicht über Geld. Vermutlich weil es selbstverständlich zur Verfügung steht: Experten taxieren das Budget von "The Avengers" auf einen Betrag, der irgendwo zwischen 220 und 260 Millionen Dollar liegt. Das ist keine unübliche Summe auf der Straße zum Blockbuster.

Marvel-Film "The Avengers": Scarlett im Catsuit
Ungewöhnlich ist aber, wie langfristig die Zielgruppe heißgemacht wurde auf das Abenteuer: Nach über zehn Jahren Planung und cleveren Epilogen in vier populären Franchise-Filmen um "Iron Man" (Teil 1 und 2), "Thor" und "Captain America", kann "The Avengers" als Groß-Event angepriesen werden und kommt zumindest in der Comic-Szene auch so an. Als Gipfeltreffen einer neuen Generation von Marvel-Männern. Und einer Scarlett Johansson im Catsuit, versteht sich.

Marvel-Comic-Verfilmung: Vermöbeln mit Wumms
Wer so viel investiert, verliert seine mutmaßliche Blaupause für den Erfolg nur äußerst ungern. Zumal der Finder des Drehbuchs, ausgerechnet ein junger Comic-Fan, beim Lesen des Skripts nicht nur seine Neugier stillte - sondern die Beute schnell zu Geld machen wollte. Er bot den heißen Stoff im Rahmen einer verdeckten Auktion auf Websites an.
"Der Film soll die Leute aus den Sitzen hauen"
Im Land der coolen Kinohelden verfiel man daraufhin in Panikmodus: Das FBI wurde eingeschaltet, die Dreharbeiten abrupt auf Eis gelegt. Zehntausende Dollar Verlust liefen am Tag auf, weil Stars und rund 400 Crewmitglieder plötzlich in der Einöde von New Mexico rumsaßen, nichts zu tun hatten - aber bezahlt werden mussten. Statt aufputschender Actionszenen standen aufreibende Krisensitzungen auf dem Programm: mit Plänen, den Plot radikal umzuschreiben, falls bis dato bestens gesicherte Geheimnisse in die Diskussionsforen der Hardcore-Fans durchsickern sollten.
Man kann das übertrieben finden. Andererseits: Was wäre Hollywood ohne Übertreibungen?
Joss Whedon sieht das Ganze allerdings eher gelassen. "Mich ärgerte der Verrat auch ein paar Minuten", erzählt der "Avengers"-Regisseur, "aber am Ende des Tages spielt das alles keine Rolle. Der Film soll die Leute aus den Sitzen hauen, nicht ein Bündel Papier im Vorfeld. Sonderbar ist es trotzdem, dass ausgerechnet diejenigen, für die wir uns alle anstrengen, nicht ein wenig mehr Geduld haben." Besagtes Bündel Papier stammt übrigens von ihm; Whedon zeichnet auch als alleiniger Autor von "The Avengers" verantwortlich. Anderthalb Jahre feilte er am Klassentreffen der Marvel-Ikonen und fand sich noch während des Drehs lange Zeit "in tiefer Nacht oft in einem leeren Burger-Imbiss wieder, um neue Szenen zu schreiben."
Kevin Feige ist der Gott dieses bewegten Comic-Universums
Schon 2001 stand der durch innovative TV-Formate wie "Buffy" oder "Serenity" zu Ruhm gelangte Filmemacher mit Marvel im Gespräch. "Ich hatte ihn für 'Iron Man' im Auge", sagt Kevin Feige, "und verlor nie den Kontakt - denn Joss hat mit seinen Serien längst bewiesen, dass er ein Intimkenner des Genres ist und ein differenziertes Ensemble unter Kontrolle halten kann."
Feige ist sozusagen der Chef des "Avengers"-Regisseurs. Er ist bei Marvel für die Gesamtstrategie der Filmsparte zuständig und damit so etwas wie der Gott des bewegten Comic-Universums. Seit den Neunzigern lässt er alte Helden entstauben und bringt sie einzeln oder in Truppenstärke ins Kino. Früher für andere Studios, die Erfolgsmarken lizenziert haben, wie "Spiderman" oder "X-Men". Inzwischen lenkt er die Marvel Studios, die unabhängig von der Mutterfirma Disney operieren und mit "Iron Man" ins eigenverantwortliche Produktionsgeschäft einstiegen.
"Die Entscheidung für 'The Avengers'", erinnert sich Feige, "fiel zur Halbzeit des 'Iron Man'-Drehs, als mir klar wurde, dass wir gerade alle Figurenrechte im Hause hatten. Eine Option war der Stoff zwar längst, doch wir wollten uns Zeit nehmen, in Ruhe die einzelnen Protagonisten vorzustellen. Wir wollten kein Kostümfest mit furioser Action. Sondern ein Spektakel, bei dem der Zuschauer zugleich eine emotionale Bindung zu seinen Helden aufbauen kann."
Solche Sätze betet ein echter Hollywood-Manager natürlich im Schlaf herunter. Vor allem, wenn die Sommersaison explosives Entertainment für Teenager verlangt und sich Produzenten von der schwer bewaffneten Konkurrenz absetzen müssen. Doch Feiges Worte sind mehr als nur wohlfeile Werbe-Lyrik. Er und Marvel haben sich aber einen Vertrauensvorschuss erarbeitet. Das Konzept, nicht nur auf Genre-Regisseure oder Megastars in den Hauptrollen zu setzen, funktioniert spätestens, seitdem man Robert Downey Jr. verpflichtete, der zuvor als schwierig und daher schwer vermittelbar galt. Doch mit dem Erfolg von "Iron Man" wurde der Superhelden-Darsteller endgültig zum Superstar.
Familienaufstellung der Action-Figuren
Downey Jr. kann sich hier auf dem Set oft nur im Stehen unterhalten - seine "Iron Man"-Rüstung schränkt seine Bewegungsfreiheit ein, hinsetzen ist nicht drin. Dafür funkelt der "Iron Man"-Panzer schön dunkelrot. Er weiß vermutlich, was er Marvel verdankt. Mit großer, aufrichtig wirkender Begeisterung schwärmt er von seinem Arbeitgeber: "Wir haben von Beginn an hart gekämpft, um uns von den Gut-gegen-Böse-Strukturen vieler Comic-Filme zu unterscheiden. Ja, ja, denkst du, am Anfang ist der Enthusiasmus immer groß. Doch dann merkte ich: Die meinen das ernst und ziehen alles durch, was sie sich vornehmen." Mit der Marvel-Familie, so nennt er "die".
Familie also. Darum steht jetzt "Group Hug" auf den roten Plastikausweisen, die in den Ateliers in Albuquerque um jeden Hals baumeln, ein Phantasietitel als Ablenkungsmanöver für Zaungäste. Group Hug, Gruppenumarmung. Ein Vorschlag von Chris Evans, heißt es, dessen Captain America die "Avengers" anführen wird gegen eine außerirdische Bedrohung und den Überfinsterling Loki. "Null Egos hier", fasst Evans den Korpsgeist zusammen und erinnert an die letzte, feucht-fröhliche Nacht. Per SMS hatte er den berühmten Schlachtruf "Avengers Assemble!" an die Kollegen geschickt, um gemeinsam die Bars zu stürmen.
Eine hübsche Anekdote. Noch hübscher anzusehen ist allerdings, wie am anderen Ende der Haupthalle, die allein so groß ist wie vier ganze Fußballfelder, Scarlett Johansson (als Black Widow) in die Attrappe eines Düsenjets klettert. Was dort genau gedreht wird? Das lassen sich die Beteiligten nur sehr langsam aus der Nase ziehen: Szenen der finalen Schlacht.
Dem letzten Schlagabtausch gehen im Film übrigens eine stattliche Reihe anderer Keilereien voraus. Ein Besuch beim Art Department zeigt, dass die Marvel-Leute auffällig viele Action-Choreografien entworfen haben, angesiedelt in Kalkutta, Moskau und New York, gekämpft wird auf Flugzeugträgern und in Freeway-Tunneln.
Ein Meer an Originalzeichnungen gibt es hier zu bestaunen, eine zeigt zum Beispiel eine Prügelei zwischen Thor und Iron Man im tosenden Gewitter, verweist also auf Animositäten der stolzen Weltenretter. Wie tief der Schrecken des geklauten Drehbuchs den Marvel-Leuten in den Gliedern sitzt, stellt man übrigens ebenfalls im Art Department fest: Mikro, Kamera, Papier und Stift sind streng verboten.
Vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme, weil dem Markt ja ohnehin die Übersättigung droht mit zu vielen Comic-Stoffen, wie auch Kevin Feige fürchtet. Der Marvel-Mann ist Manager genug, um zu wissen: Gegen die Kräfte des Marktes können selbst Superhelden nichts ausrichten. Andererseits: Ihm selbst, als Gott des Superhelden-Universums, ist das bereits gelungen.