Neuer "Bibi & Tina"-Film ... dann lieber Wassergraben

Eine Kinoreihe, die zum Pop-Phänomen wurde: Mit "Tohuwabohu Total" startet jetzt der vierte und letzte "Bibi & Tina"-Spielfilm. Die inhaltliche Neuausrichtung geht allerdings schrecklich schief.
Neuer "Bibi & Tina"-Film: ... dann lieber Wassergraben

Neuer "Bibi & Tina"-Film: ... dann lieber Wassergraben

Foto: DCM

Es könnte ja alles viel, viel schlimmer sein für Eltern von Töchtern zwischen drei und 14 Jahren. In einer finsteren Parallelwelt hätte es die vier "Bibi & Tina"-Filme nie gegeben, und man müsste mehrmals täglich die Originalversion des Hörspiel-Titelsongs ertragen, dieses hüftsteif vor sich hinstampfende, unangenehm knödelnde: "Das sind Bibi und Tina auf Amadeus und Sabrina..."

Müssen wir in der realen Welt zwar auch. Aber wenigstens gibt es seit 2014, seit dem ersten Teil der Film-Tetralogie, eine lässig vor sich hinrockende Coverversion von Peter Plate, der ehemaligen Hälfte von Rosenstolz, der für alle vier Filme die Songs schrieb. Unfassbar eigentlich, dass dieser Song mit Textzeilen, die Eltern nachts bis in die tiefsten Albträume verfolgen - "...sie jaaagen den Wind, die reiiiiten geschwind, weiiiil sie Freunde sind" -, dass dieser Song in seiner modernen Fassung richtig cool klingt. Was viel über die Film-Inkarnation von "Bibi & Tina" sagt.

Die ist ein nämlich ein echtes Pop-Phänomen. 2016 stieg das Soundtrack-Album des dritten Teils, "Bibi & Tina: Mädchen gegen Jungs", auf Platz eins der Albumcharts ein, während der Film mit über zwei Millionen Zuschauern der zweiterfolgreichste deutsche Film des Jahres wurde. Hinter dem Erfolg des Albums stand Peter Plate. Hinter dem Erfolg des Films Detlev Buck, der alle vier Filme inszenierte und ein Händchen für Pferdefilme hat. Das bewies er schon 2007 mit "Hände weg von Mississippi", seinem ersten Versuch im Genre.

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"Bibi & Tina: Tohuwabohu Total": Zum letzten Mal "hex, hex!"

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Man darf sich also nicht wundern, dass die Filmreihe nach dem eigentlich vorgesehenen Abschluss einer Trilogie nun doch weiter fortgesetzt wurde. Grund dafür ist aber nicht etwa der große Erfolg, sondern die Flüchtlingskrise. Sagt zumindest Detlev Buck. Darum, und um das ebenso brisante Thema Zwangsehen, geht es auch tatsächlich in "Tohuwabohu Total". Das ist geradezu rührend gut gemeint, geht aber schrecklich schief.

Der Stresstest für das Erzählkonzept kann ja auch nicht ausbleiben, wenn in die ewig sonnendurchflutete Märchenwelt von "Bibi & Tina", mit ihren Wäldern und Wiesen, ihren Ponyhöfen und Schlössern, knalligen Farben und nie endenden Sommerferien, wenn in dieses Bilderbuchdeutschland plötzlich syrische Flüchtlinge stolpern und ein Mädchen, das seine Heimat Albanien aus Angst vor einer Zwangsverheiratung verlassen hat.

Bibi (Lina Larissa Strahl) und Tina (Lisa-Marie Koroll) begegnen dieser Adea (Lea van Acken) während eines Ausflugs mit ihren Pferden. Anfangs gibt sie sich noch halbherzig als Junge aus, aber die Wahrheit kommt bald als Licht, zumal Adea von ihrem Onkel und zwei Cousins verfolgt wird. Als die drei sich abends in einer Scheune verstecken, entdecken sie noch zwei weitere Flüchtlinge: Sinan und Karim aus Syrien. Schon klar, dass Bibi und Tina sich alsbald für ihre neuen Freunde mächtig ins Zeug legen.

Gemeinsam mit Tinas Freund Alex (Louis Held), der unterwegs noch einen Bus mit afrikanischen Musikern aufgegabelt hat, geht es in Richtung Schloss Falkenstein, wo ein großes Multikulti-Musikfest steigen soll. Dort allerdings ist der Immobilienhai Dirk Trumpf am Werk, der Alex' Vater Graf Falko (Michael Maertens) nicht nur eine teure Sanierung des alten Gemäuers aufschwatzt, sondern aus Sicherheitsgründen auch eine Mauer um das Gelände ziehen will.

Hat es Donald Trump also auch noch in einen harmlosen deutschen Kinderfilm geschafft. Wobei man davon ausgehen darf, dass die Einsprengsel schriller Polit-Satire eher zur Erheiterung der erwachsenen Begleiter des Stammpublikums gedacht ist. Die hatten die Macher auch bei den früheren "Bibi und Tina"-Abenteuern schon im Blick. In "Mädchen gegen Jungs" gab es einen französischen Jungen, der sich als Verwandter von François Truffaut vorstellte. In "Tohuwabohu Total" tanzt Trumpf nun in Anspielung auf Chaplins "Der große Diktator" mit einer Weltkugel.


"Bibi & Tina: Tohuwabohu total"

GER 2016
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Detlev Buck, Bettina Börgerding
Darsteller: Fabian Buch, Winnie Böwe, Louis Held, Lisa-Marie Koroll, Michael Maertens, Emilio Sakraya, Lina Larissa Strahl
Produktion: Boje Buck Produktion, DCM Productions, Kiddinx Studios, ZDF
Verleih: DCM Film Distributions
FSK: ab 0 Jahren
Länge: 111 Minuten
Start: 23. Februar 2017


Es sind diese kleinen Inseln popkultureller Doppeldeutigkeit, für die zum "Bibi & Tina"-Besuch verdammte Eltern sehr dankbar sind. Aber wie fügen sich schwere Motive wie Flüchtlingskrise und Zwangsehe in diesen Kosmos ein?

Bei "Bibi Blocksberg" und "Benjamin Blümchen", den von Elfie Donnelly erfundenen Figuren, die seit vier Jahrzehnten nicht aus deutschen Kinderzimmern wegzudenken sind, gab es schon immer Reflexionen gesellschaftlich wichtiger Themen. In ihren Hörspielen nahm die Autorin Konsumterror, Geschlechterklischees und die politische Klasse auf die Schippe. Den Autor einer wissenschaftlichen Studie verleitete das - unter Verkennung der satirischen Qualität - sogar zu der erstaunlichen Erkenntnis , die Hörspiele könnten die Entwicklung von Kindern zu mündigen Bürgern behindern.

Die von Rechteinhaber Kiddinx lange nach Donnellys Abgang aufgelegte Nebenreihe "Bibi & Tina" jedoch war schon immer nahe dran an der Harmlosigkeit der "Immenhof"-Filme aus den Fünfzigerjahren. "Trippel Trappel Pony", trällerten deren Heldinnen Dick und Dalli, "Hufe klappern, Pferde traben, springen über'n Wassergraben", antwortet der Titelsong von "Bibi & Tina". Auch Bucks zeitgeistig aufgepeppte Filmversionen können das Erbe des Heimatfilms nie ganz verleugnen.

Im Video: Der Trailer zu "Bibi & Tina: Tohuwabohu Total"

Dass an galoppierendem Eskapismus auch heute großer Bedarf besteht, zeigen aktuelle Pferdefilme wie "Ostwind" und "Wendy". Moderne Interpretationen wie "Hördur" oder "Von Mädchen und Pferden" über eine lesbische Reitlehrerin beweisen dagegen, dass sich das Genre durchaus für aktuelle Debatten öffnen lässt.

Buck gelingt das mit "Bibi & Tina: Tohowabohu Total" nicht. Sympathisch ist sein Film, wenn er für ein offenes, tolerantes Deutschland wirbt, in dem coole und selbstbestimmte Mädchen leben. Verharmlosend allerdings, wenn kulturelle Vielfalt reine Behauptung bleibt, weil alle trennenden Elemente einfach mal schnell weggetanzt und -gezaubert werden. Klar, wenn Bibi mit einem "Hex, hex!" allen Migranten per Zauberspruch Deutsch beibringt, erübrigt sich ein Integrationskurs.

Ärgerlich wird es, wenn sich herausstellt, dass in der Filmwelt doch nicht alle Kulturen gleichwertig sind. Über die von Albanien nämlich darf herzlich gelacht werden. Nicht nur, weil Adeas Onkel und Cousins als ausgemachte Deppen herumstolpern und für comic relief sorgen sollen. Sondern weil Albaniens Kultur und seine Menschen als so hoffnungslos rückständig gezeichnet werden, dass man sie ohnehin nicht ernst nehmen muss.

Besonders schlimm aber ist das letzte Drittel des Films, wenn Bibi, Tina und ihre Freunde in Albanien "einmarschieren" und "in der Pampa" für Entwicklungshilfe sorgen. Das Wort "einmarschieren" fällt im Dialog tatsächlich, und das zeugt dann doch von fataler Geschichtsvergessenheit. Schließlich wurde Albanien 1943 von deutschen Truppen besetzt. Um die heftige Gegenwehr von albanischen Partisaneneinheiten zu unterbinden, führten die Deutschen die sogenannte "Sühnequote" ein: Für jeden getöteten Deutschen sollten 100 Albaner sterben. Aus der Drohung machte die Wehrmacht im Dorf Borova grausame Realität. Die jüdische Bevölkerung in Albanien blieb übrigens vom Holocaust weitgehend verschont, weil ihre Mitbürger sich weigerten, sie auszuliefern.

Die in "Tohuwabohu Total" zum Ausdruck gebrachte deutsche Überlegenheitshaltung ist nicht nur völlig unangebracht. Sie passt auch überhaupt nicht zu der eigentlich fröhlichen - und wichtigen - Multikulti-Botschaft, die der Film verbreiten will.

Vielleicht hätten Bibi und Tina doch einfach weiter übern Wassergraben springen sollen.

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