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Die Filme von Hof: Beiläufig charmant, wirklich witzig

Foto: Hofer Filmtage

Junger deutscher Film in Hof Unsere lächerlichen Fratzen

Wie geht's dem deutschen Kino? Gar nicht mal übel! Das bewiesen die Filmtage in Hof, wo der heimische Nachwuchs zeigte, was ihm so durch die Köpfe spukt: Säufer und Transvestiten zum Beispiel. Oder ein Baby der Schauspielerin Karoline Herfurth, das sprechen kann - und saukomisch ist.

Verbrutzelte fränkische Bratwürste, bunt gefärbte Bäume in Hügellandschaft und die Herbstkollektion des jüngeren deutschen Filmschaffens, dafür treffen sich Kinobegeisterte zu den Filmtagen in Hof - und im besten Fall gibt es während des Festivals Talente zu entdecken, von denen keiner je gehört hat. Diesmal konnte man zum Beispiel baff vor Staunen und japsend vor Vergnügen den sexuellen Verwirrungen mittelalter, mittelreicher Berlinbewohner zugucken, deren Treiben aus der Sicht eines Säuglings kommentiert wurde.

Der Film heißt "Mittelkleiner Mensch", er dauert nur 30 Minuten, er erzählt von besten Freundinnen, die mit dem gleichen Mann Sex haben; von netten, blöden Spieleabenden in Berliner Altbauwohnungen; und von der Kunst, Geständnisse in trauter Partyrunde zu platzieren wie Silvesterkracher. Man sieht noch ziemlich unbekannten jungen Schauspielern dabei zu, wie sie beherzt und genau aus dem alltäglichen deutschen Beziehungsschwachsinn eine echte Komödie basteln, und dazu singt irgendein melancholischer Sänger Liedzeilen wie "Es ist Freitagabend, und wir haben uns nix zu sagen".

Neuer Mut zur Leichtigkeit

"Mittelkleiner Mensch" ist beiläufig charmant und wirklich saukomisch, in Hof war er ein Überraschungshit. Der Kurzfilm ist das Regiedebüt der Schauspielerin Karoline Herfurth, die viele Kinozuschauer kennen aus Tom Tykwers "Parfum" und Caroline Links "Im Winter ein Jahr". In Hof konnte die 28-Jährige ihr Werk, in dem ein Baby die Rolle des Erzählers spielt, nicht selber vorstellen, weil sie schwangerschaftshalber in Berlin bleiben musste - der Umstand sorgte natürlich für Gelächter im Publikum.

Als man sie von Hof aus ans Telefon kriegt, klingt sie ehrlich überrascht. "Ich hätte nie gedacht, dass es dieser Film in ein Festivalprogramm schafft", sagt Herfurth, und dass sie eher zufällig in die Rolle der Regisseurin geraten sei. Begonnen hat "Mittelkleiner Mensch" als Demo-Video, das sie für eine Freundin fabrizierte, "dann wurde die Sache größer und größer". Entstanden ist die Kurzkomödie ohne Fördermittel, befeuert wird sie durch eine prachtvoll aufgelegte Darstellercrew; sie verblüfft durch ihr Gespür für Timing, Rhythmus und weiblichen Eigensinn - und bietet Stoff für eine Fernsehserie, die intelligent und witzig zu einer deutschen Antwort auf "Girls" und andere neuere TV-Hits aus den USA geraten könnte.

Von einem Mut zur Leichtigkeit, der grundsätzlich schon mal sehr erfreulich ist, zeugten auch ein paar der herausragenden abendfüllenden Spielfilme, die in Hof zu sehen waren.

Große Hollywoodvorbilder wie "Short Cuts" oder "Babel" dürften die Regisseurin Daria Onyshchenko dazu animiert haben, sich in "Eastalgia" die clever ausbalancierte Montage von drei Stories vorzunehmen. Sie spielen in den Städten München, Kiew und Belgrad, handeln von Fernweh und Heimatlosigkeit und sind nur locker durch ein paar kaputte Familienbande miteinander verknüpft. Onyshchenko stammt aus der Ukraine und hat in München Filmregie studiert, "Eastalgia" ist ihr Debüt.

Sensible Heteros, starke Schwule

Man sieht unter anderem den wunderbar angeschrammten Schauspieler Karl Markovics in der Rolle eines ausgemusterten Boxchampions, man sieht herbe nächtliche Großstadtansichten, und man sieht viel Leidensdruck in toll ausgeleuchteten Gesichtern. Einmal bekommt der Chauffeur Bogdan (Ivan Dobronravov) Streit mit der Mafiabraut (Viktoria Varley), die er durch Kiew kutschiert und heftig begehrt. Mitten im Stau steigt er auf einer Brücke zornig aus, wirft den Autoschlüssel ins Wasser und stapft davon. Sehr pathetisch und sehr lustig geht es in "Eastalgia" zu, als Zuschauer ist man gebannt und bestens unterhalten von dem, was einem dieser schöne, störrische Film erzählt.

Heiter und bloß nicht verkniffen cineastisch wollte der inzwischen sehr altgediente Festivalleiter Heinz Badewitz, Jahrgang 1941, diesmal sein Festival präsentieren. Dafür holte er sich die Schauspielerin Jessica Schwarz, die den Filmpreis der Stadt Hof bekam, der mit null Geld und viel Ehre verbunden ist. Schwarz hielt eine nette, öde Rede, die nichts mit Hof zu tun hatte, aber mit allerlei Danksagungsgelaber ein bisschen so klang, als übte sie für die Oscar-Verleihung.

Sehr viel eifriger betätigte sich der Filmtage-Stargast Rosa von Praunheim in Hof als großer Weltumarmer. Praunheim zeigte unter dem Motto "Rosas Welt" 70 meist kurze Filme, unter anderem über "starke Schwule", "starke Frauen" und "sensible Heteros". Was Praunheim da zusammenpuzzelt in einer Handvoll Spielfilmen und vielen Video-Essays, in denen allerliebst über Nachbarn, Freunde, Künstler und sexuelle Obsessionen schwadroniert wird, fügt sich zu einem wackligen, wirren, oft umwerfend komischen Porträt bundesdeutscher Gegenwart. Der Schlüssel zu seinen Filmen, behauptete Praunheim in Hof, sei "das Geheimnis der Liebe zu allem, was sich bewegt".

Mit ähnlicher Zuneigung wie Praunheim und doch mit sehr viel mehr dramaturgischer Entschiedenheit schaut Regisseur Antej Farac auf Gestrandete und skurrile Pfauenexistenzen. "Annelie" heißt der Spielfilm, den Farac, in Mostar im ehemaligen Jugoslawien geboren und in München ausgebildet, in Hof vorstellte. "Annelie" zeigt kaputte Menschen, die in der reichen Stadt München in einem abgewrackten ehemaligen Hotel namens Annelie einquartiert wurden: eine keineswegs solidarische Gemeinschaft aus Gestrandeten, Säufern und Transvestiten.

Man blickt in die zerstörten Gesichter dieser Frauen und Männer, auf ihre geschundenen Körper, und man hört ihrem nicht selten stumpfsinnigem Gerede zu. Nach und nach aber erweist sich "Annelie" als böse, herzzerreißende Halunkenstory voller drastischem Humor. Der Schauspieler Georg Friedrich ist der selber völlig heruntergekommene Erzähler in dieser Proletenpassion. Er berichtet davon, wie die Bewohner der Elenden-Bruchbude sich gegenseitig das Leben schwer machen, von Saufgelagen in einem Kiosk-Hinterzimmer und von Toten, die achselzuckend aus dem Haus geschafft werden. Er führt dem Kinozuschauer aber auch kleine Idyllen vor: Auf dem Dach des Pennerquartiers zum Beispiel treffen sich ein Mann und eine Frau täglich zum Sonnenbad. Und er schildert uns Zuschauern den Schock, der die Bewohner des Hauses niederschmettert, als sie eines Tages auf Geheiß der Behörden ausziehen müssen.

"Annelie" ist eine Katastrophenkomödie, der man ansieht, dass Farac bisher vor allem Dokumentarfilme gedreht hat. Er wolle von den Zuständen erzählen, "in denen Sozialhilfeempfänger in Deutschland leben", sagt der 40-Jährige, "das wird jetzt Hartz IV genannt und hat nicht mehr viel mit dem Begriff Sozialhilfe zu tun, es ist eher eine Sozialstrafe". Die meisten seiner Helden sind offensichtlich Laiendarsteller und in dem Milieu zu Hause, das sein Film schildert. "Annelie" aber erzählt von all dem realen Horror mit einer radikalen Unverschämtheit und einer Rock'n'Roll-Energie, die den Film zu einem wirklich herausragenden Erlebnis dieser Hofer Filmtage machten: Es sind böse, lächerliche, grandiose Fratzen, die den besten unserer Filmemachern in diesem Herbst durch den Kopf spuken.

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