Komödie "St. Vincent" mit Bill Murray Trinker mit Heiligenschein

Komödie "St. Vincent" mit Bill Murray: Trinker mit Heiligenschein
Foto: Sony Pictures
Komödie "St. Vincent" mit Bill Murray: Trinker mit Heiligenschein
Foto: Sony PicturesEs kursieren viele Anekdoten zu Bill Murray. Etwa die, dass der 64-jährige Schauspieler auf ein professionelles Management verzichtet und stattdessen nur einen Telefonanschluss mit Anrufbeantworter unterhält, auf dem Produzenten ihre Angebote hinterlassen können. Ob Murray darauf reagiert, gilt als ebenso unberechenbar wie seine Exkursionen in aller Welt oder seine spontanen Besuche bei wildfremden Geburtstagsgesellschaften. Im Fall von "St. Vincent" hat er offenkundig zurückgerufen, denn in der ebenso herzlichen wie unsentimentalen Komödie des Autors und Regisseurs Ted Melfi ist Murray in einer seiner raren Hauptrollen zu sehen.
Die hat Melfi ganz auf seinen erratischen Star zugeschnitten: Murray verkörpert Vincent McKenna, der allein mit seiner Katze ein abgewirtschaftetes Einfamilienhaus in Brooklyn bewohnt. Eine Arbeit hat Vincent nicht, sein Geld stammt aus einer aufgenommen Hypothek, und einen nennenswerten Teil davon davon investiert der starke Raucher und Trinker an der Bar, in Pferdewetten sowie in intime Verabredungen mit der schwangeren Stripteasetänzerin Daka (Naomi Watts). Auf den ersten Blick zeigt dieser chronisch übellaunige Mann seiner Umwelt gegenüber also kaum zwischenmenschliche Qualitäten.
Das ändert sich zunächst auch nicht, als die alleinerziehende Krankenschwester Maggie (Komödiantin Melissa McCarthy, hier überzeugend mit atypisch zurückgenommenem Spiel) und ihr 12-jähriger Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) im Nachbarhaus einziehen. Zur Begrüßung bricht Vincent gleich einen Streit vom Gartenzaun, was jedoch erstaunlicherweise weder Mutter noch Kind besonders verschreckt. Im Gegenteil, als Maggie eines Tages im Krankenhaus Überstunden machen muss, landet das Schlüsselkind Oliver in Vincents Lotterbude. Gegen Bezahlung lässt sich der finanziell klamme Grantler von Maggie als regelmäßiger Babysitter engagieren und nimmt den Jungen widerwillig in seine fragwürdige Obhut.
Nun betritt "St. Vincent" kein Neuland mit der Geschichte eines zynischen Erwachsenen, dessen harte Schale durch die Gegenwart eines Kindes allmählich emotional durchlässig wird. Ryan O'Neal etwa spielte zusammen mit Tochter Tatum ein rühriges Trickbetrüger-Gespann in "Paper Moon" (1973), Walter Matthau gab den miesepetrigen Ersatzvater in "The Bad News Bears" (1976) und "Little Miss Marker" (1980), und auch Gena Rowlands als unterkühlte Gangsterdame und unfreiwillige Ziehmutter "Gloria" (1980) ist unvergessen.
Die Trauer hinter der Fassade aus Wut
Dass "St. Vincent" in dieser Tradition bestens bestehen kann, verdankt sich nicht zuletzt der generationsübergreifenden Chemie zwischen Murray und Newcomer Jaeden Lieberher. Denn der von Lieberher gespielte Oliver ist zum Glück keiner dieser zuckersüßen Fratzen, die es so wohl eh nur im Kino gibt. Sondern ein empathischer, ernster Junge, der mit der Scheidung seiner Eltern und einer veränderten Lebensumgebung hadert.
Vor allem an seiner neuen, katholischen Schule hat Oliver es nicht leicht. Für den Umgang mit ruppigen Mitschülern hat Vincent sehr handfeste, wenngleich unpädagogische Ratschläge parat, und auch auf der Rennbahn teilt er bei einem frühen Drink seinen reichen Erfahrungsschatz. Oliver ist ihm dabei ein neugieriger und begeisterungsfähiger Begleiter, und mit seiner Beharrlichkeit legt der Junge nach und nach die Trauer hinter Vincents Fassade aus Wut frei. Warum dieses ungewöhnliche Vorbild durch Olivers Augen gesehen einen Heiligenschein verdient, gehört denn auch zu den schönsten Erkenntnissen des Films.
Als melancholischer Misanthrop mit mehr als einem Familiengeheimnis zeigt sich Bill Murray so spielfreudig und vielseitig wie selten. Fast vierzig Jahre sind seit seinem Durchbruch als Ensemblemitglied der legendären Fernsehshow "Saturday Night Live" vergangen, und hier lässt er lustvoll verschiedene Facetten seiner Karriere durchscheinen. So blitzt im rauchenden, trinkenden und fluchenden Vincent die anarchische, tänzelnde Verve des jungenhaften Starkomödianten aus "Stripes" (1981) oder "Ghostbusters" (1984) ebenso auf wie der Charme von Murrays widerwilligem Romantiker in "Groundhog Day" (1993) und der perfekte Minimalismus jener stoischen Helden, denen er in Filmen von Jim Jarmusch, Sofia Coppola und natürlich Wes Anderson denkwürdig Gestalt verlieh. Insbesondere Andersons frühes Meisterstück "Rushmore" (1998), in dem Murray als einsamer Industriekapitän Herman Blume eine späte Herzensbildung durch die Freundschaft zu dem linkischen Teenager Max Fischer (Jason Schwartzman) erfährt, darf als Inspiration für Melfis Film gelten.
Auch wenn "St. Vincent" ungleich konventioneller erzählt ist und einige dramatische Wendungen arg voraussehbar sind: Es bleibt dennoch ein reines Vergnügen zu sehen, wie Bill Murray mit unnachahmlicher Nonchalance Dosensardinen als Sushi serviert, und wie aus einer Handvoll verlorener Menschen eine liebenswert defizitäre Ersatzfamilie entsteht. Wenn diese sich am Esstisch versammelt, ist klar: Nichts ist heilig, alles wird gut.
USA 2014
Buch und Regie: Theodore Melfi
Darsteller: Bill Murray, Melissa McCarthy, Naomi Watts, Jaeden Lieberher
Produktion: Chernin Entertainment, Crescendo Productions, The Weinstein Company
Verleih: Sony
Länge: 103 Minuten
Start: 8. Januar 2015
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In "St. Vincent" spielt Bill Murray einen alternden Slacker, der keine Arbeit hat und sein Geld aus einer aufgenommen Hypothek bezieht.
Einen nennenswerten Teil davon investiert der starke Raucher und Trinker an der Bar, in Pferdewetten sowie in intime Verabredungen mit der schwangeren Stripteasetänzerin Daka (Naomi Watts).
Zunächst scheint sich nichts in Vincents Leben zu ändern, als die alleinerziehende Krankenschwester Maggie (Melissa McCarthy) und ihr 12-jähriger Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) im Nachbarhaus einziehen.
Doch als Maggie eines Tages im Krankenhaus Überstunden machen muss, landet das Schlüsselkind Oliver in Vincents Lotterbude.
Der Junge ist zwar ein süßer Knirps, doch er hat auch mit viel Trauer und Zurückweisung zu kämpfen.
Vor allem an seiner neuen, katholischen Schule (hier mit Chris O'Dowd als Lehrer) hat Oliver es nicht leicht.
Vincent nimmt sich widerwillig des Jungens an und findet für ihn lästige Arbeiten, die er übernehmen kann.
Doch auch zum Pferderennen nimmt er den Kleinen mit und erteilt ihm bald schon Ratschläge, wie er sich an der Schule besser durchsetzen kann. Der Anfang einer eigenartigen Freundschaft ist gemacht.
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